Privatisierung im Straßenbau

 Auch die neue Bundesregierung will, wenig überraschend, mehr Straßenbau. Wo das Geld dafür her kommen soll, darüber wird vor und hinter den Kulissen kräftig gestritten. Klar ist, dass (noch) mehr privates Kapital für den Straßenbau gewonnen werden soll. Unklar ist, ob die Nutzerfinanzierung (Maut) ausgeweitet wird.

 

Verkehrsminister Ramsauer hat hier bereits ordentlich für Verwirrung gesorgt. Klar scheint zu sein: er selber will eine Pkw-Maut – bzw. eine Vignette. Genau das schließt der Koalitionsvertrag aber aus. Deswegen wird die Pkw-Maut zwar immer wieder ins Spiel gebracht, dann aber gleich wieder dementiert. Die Bevölkerung soll so wohl langsam mürbe gemacht werden. Im Zuge der aktuellen Debatte um die Haushaltssanierung könnte die Vignette für Autobahnen schnell auf die Tagesordnung kommen.

 

Im Folgenden zunächst ein Blick 11 Jahre zurück auf den „Startschuss“ für die „2. Phase“ der Nutzer- und Privatfinanzierung im Straßenbau, die von rot-grün eingesetzte Pällmann-Kommission. Anschließend folgt eine Erläuterung der beiden derzeit praktizierten Modelle der Privatfinanzierung, den sog. A- und F-Modellen. Abschließend eine Positionierung zur Pkw-Maut bzw. –Vignette.

 

Hintergrund: Pällmann-Kommission

 

Auch die rot-grüne Bundesregierung sah die finanziellen Beschränkungen nicht als eine Chance für eine grundlegende Neuorientierung ihrer Investitionspolitik, sondern empfand sie lediglich als Einschränkung ihrer Handlungsfähigkeit. Um mehr Mittel für Verkehrsinvestitionen bereit stellen zu können, rief sie deshalb im Sommer 1999 die Pällmann-Kommission ins Leben, die neue Finanzierungsmodelle im Verkehr aufzeigen sollte. Die Kommission unter Ihrem Vorsitzenden Dr.-Ing. E.h. Wilhelm Pällmann erhielt dabei auch den Auftrag, Möglichkeiten zur Beschaffung der im Straßenbau angeblich fehlenden Summe von 2 Mrd. Euro jährlich zu erarbeiten – so die Vorgabe. Die Verkehrsträger Schiene und Wasserstraße wurden ebenfalls behandelt, auf die entsprechenden Aussagen wird hier aber nicht näher eingegangen.

Die Vorschläge der Pällmann-Kommission

Der Abschlussbericht der Pällmann-Kommission wurde am 5. September 2000 vorgestellt. Darin wurden folgende wesentlichen strukturellen Änderungen vorgeschlagen:

 

1.   Eine Umstellung von der reinen Haushalts- zu einer Nutzerfinanzierung, in die der Bund mit der Einführung der Lkw-Maut und der Re-Investition der Einnahmen daraus für Verkehrswege einsteigt.

2.   Das organisatorische Herauslösen des Fernstraßennetzes aus der direkten Bundesverantwortung mit dem Ziel, verstärkt privatwirtschaftliche Effizienzeffekte realisieren zu können.

3.   Eine Ausweitung der Privatfinanzierung im Verkehr durch private Betreibermodelle. Dazu soll das die Betreibermodelle regelnde Fernstraßenbauprivatfinanzierungsgesetz (FStrPrivG) so modifiziert werden, dass es ”prinzipiell auf alle Maßnahmen des Fernstraßenbaus” angewendet werden kann.

4.   Die Neudefinition des Bundesstraßennetzes mit dem Ziel, solche Straßen, die nicht dem überregionalen Verkehr dienen, an Länder und Kommunen zu übertragen.

 

Zehn Jahre nach Vorlage des Schlussberichts der Pällmann-Kommission lässt sich feststellen, dass die Bundesregierung zwar nicht in Allem den Vorschlägen der Kommission gefolgt ist bzw. folgen will, aber dennoch einige wesentliche Elemente übernommen hat:

 

1. Umstellung von Haushalts- und Nutzerfinanzierung:

Insbesondere die langfristige Umstellung von der Haushalts- auf eine Nutzerfinanzierung ist mit Einführung der Lkw-Maut zum 1. Januar 2005 ein Stück vorangekommen. Dabei werden nicht alle resultierenden Einnahmen auch wieder für Investitionen in den Verkehr genutzt: Neben den Kosten für das technische System zur Erfassung der Maut in Höhe von ca. 700 Mio. € jährlich fließt werden 600 Mio. € als Kompensation an das nationale Spediteursgewerbe ausgezahlt. Außerdem wurden die vorherigen Haushaltsmittel praktisch komplett um die Mittel gekürzt, die nun aus der Maut finanziert werden. Die Hoffnung der Straßenbaulobby, mit der Lkw-Maut gäbe es mehr Geld für den Straßenbau, hat sich also nicht erfüllt.

 

Dass die Einnahmen nicht nur für Straßenbauinvestitionen, sondern auch für die Schiene verwendet werden, widerspricht zudem Ansatz einer verkehrsträgerbezogenen Nutzerfinanzierung, wie sie die Pällmann-Kommission vorgeschlagen hat. Hier setzt nun die aktuelle Koalition an, die die verbleibenden Einnahmen aus der Lkw-Maut komplett dem Straßenbau zukommen lassen will.

 

Zu einer vollständigen Umstellung auf eine Nutzerfinanzierung müsste die Lkw-Maut einerseits auf das gesamte Straßennetz ausgeweitet und nicht nur auf Autobahnen erhoben werden, sowie andererseits nicht nur Lkw ab 12 Tonnen zulässigem Gesamtgewicht (zul. gG), sondern alle Fahrzeuge einbeziehen. Letzteres würde eine Pkw-Maut beinhalten, vor der die Politik (noch?) deutlich zurückschreckt. Wahrscheinlicher ist, dass die Lkw-Maut langfristig zumindest für kleinere Lkw ab 3,5 t zul. gG und auch auf Bundesstraßen erhoben wird. Im Gegensatz zur Erhöhung der Maut ist eine solche Ausweitung im schwarz-gelben Koalitionsvertrag auch nicht ausgeschlossen!

 

2. Privatisierung des Fernstraßennetzes

Ein direktes Herauslösen des Fernstraßennetzes aus der Bundesverantwortung ist nicht in Sicht, wird in Fachkreisen aber durchaus diskutiert. Auch bei den Verhandlungen im Zuge der Föderalismusreform II (s.4.) wurde dies durchaus diskutiert. Das damit verbundene Ziel, im Fernstraßenbau verstärkt ”privatwirtschaftliche Effizienzeffekte” zu realisieren, war ein Anlass für die Gründung der Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaft mbH (VIFGmbH). Der VIFG werden vom Bund alle Einnahmen aus der Lkw-Maut zugewiesen, die wieder in Verkehrswege reinvestiert werden sollen. Die Mittel fließen aber nicht direkt, sondern über den Bundeshaushalt.

 

Die VIFG agiert als Gesellschaft des Bundes zwar in staatlicher Regie, kann aber bei der Baudurchführung privatwirtschaftliche Elemente nutzen, wovon sich der Bund u.a. Kostenersparnisse erhofft. Die neue Koalition versucht erneut, die VIFG eigenständiger zu machen, u.a. sollen die Mittel direkt zugewiesen werden und nicht den „Umweg“ über den Bundeshaushalt machen. Außerdem soll die VIFG kreditfähig gemacht werden (um mehr investieren zu können). In den letzten Jahren wurden solche Versuche immer vom Finanzminister gestoppt. Umstritten ist, ob diese Kreditfähigkeit bedeuten würde, dass die VIFG dann ein Schattenhaushalt wäre. Nach der im Grundgesetz verankerten Föderalismusreform II („Schuldenbremse“) dürfen solche Schattenhaushalte eigentlich nur noch 2010 eingeführt werden.

 

3. Mehr Privatfinanzierung im Verkehr:

Auch die Privatfinanzierung im Straßenbau beinhaltet eine Finanzierung durch die Nutzer. Hierbei handelt es sich um isolierte Streckenabschnitte, für die Mautstationen bzw. elektronische Erfassungsgeräte errichtet werden müssen. Eine Ausweitung dieser privaten Betreibermodelle wird seit jeher von allen Bundesregierungen unterstützt. Das zugrunde liegende Fernstraßenbauprivatfinanzierungsgesetz (FStrPrivG) wurde bereits mehrfach modifiziert- allerdings nicht im Sinne der Pällmann-Kommission, dass es auf alle Maßnahmen des Fernstraßenbaus angewendet werden kann. Vielmehr wurden lediglich die bestehenden Regelungen klarer und für die Bauwirtschaft berechenbarer gefasst. Dies war aus Sicht des Bundes und der Bauwirtschaft notwendig geworden, da nach den alten Bestimmungen überhaupt erst zwei Projekte realisiert sind und weitere Projekte zwar immer wieder genannt werden, sie allesamt von einer Realisierung weit entfernt sind.

 

Um weitere privat finanzierte Straßenbauprojekte zu ermöglichen, entwickelte der Bund das sog. A-Modell, auf, dass als Mischform aus Nutzerfinanzierung über die VIFG und privatem Betreibermodell gemäß FStrPrivG (F-Modell) angesehen werden kann. Dieses Programm beinhaltet den Ausbau längerer Autobahnabschnitte von vier auf sechs Spuren durch private Betreiber. Diese refinanzieren sich nicht über eigene Mautstationen wie bei den Betreibermodellen gemäß FStrPrivG. Vielmehr überlässt der Bund ihnen die auf den entsprechenden Streckenabschnitten anfallenden Einnahmen aus der Lkw-Maut in der Vertragslaufzeit von i.d.R. 30 Jahren. Zusätzlich zahlt der Bund in der Bauphase direkt bis zu 10 % der Baukosten als Zuschuss. Ursprünglich geplant war, dass dieser Zuschuss bei 50% liegen sollte – offiziell begründet übrigens als Ausgleich für die entgehenden Einnahmen der nicht mautpflichtigen Pkw. Im Endeffekt kommt der Bund somit für alle Kosten der Maßnahme auf, wenn auch zeitversetzt durch den Verzicht auf die ihm zustehenden, zukünftigen Einnahmen aus der Lkw-Maut.

 

Für das A-Modell gibt es keinen neuen gesetzlichen Rahmen. De facto können nun prinzipiell alle Baumaßnahmen an und auf Autobahnen nach diesem Modell gestaltet werden. Damit ist die Forderung der Pällmann-Kommission, alle Maßnahmen des Fernstraßenbaus für private Betreibermodelle zu öffnen, erfüllt. Offen bliebe aber, wozu es dann überhaupt noch umständliche Mautstationen auf privat betriebenen Strecken gemäß FStrPrivG geben sollte.

 

 

4. Bundesstraßen an die Länder abgeben

Eine Diskussion um die Bedeutung der Bundesfernstraßen für den Bund und eine mögliche Neuabgrenzung der Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern wurde bei der Föderalismusreform II versucht, ist aber auch da erneut gescheitert. Da dies praktisch nur mit Zustimmung der Länder möglich ist, ließen diese sich wohl nur mit einem finanziellen Ausgleich für die neuen Aufgaben  ”überzeugen”. (s. dazu Beitrag im VZ 01)

 

Hintergrund F-Modell

Bereits seit 1994 gibt es das Fernstraßenbauprivatfinanzierungsgesetz (FStrPrivFinG), dass Errichtung und Betrieb privat betriebener Mautstrecken regelt. Aber erst nach der Änderung des FStrPrivFinG 2002 wurden die bislang einzigen beiden Mautstrecken (die Tunnel in Lübeck und Rostock) realisiert. Bei diesen beiden handelt es sich um kommunale Projekte, die nicht in der Baulast des Bundes stehen.

 

Zulässig sind diese echten Mautstrecken nur an

-     Brücken, Tunneln und Gebirgspässen im Zuge von Bundesautobahnen sowie

-     mehrstreifigen Bundesstraßen mit getrennten Fahrbahnen für den Richtungsverkehr.

 

Diese Begrenzung des Rahmens möglicher Projekte geht auf die EU-Richtlinie 1999/62/EWG zurück, die eine doppelte Belastung der Nutzer von Verkehrswegen nur in den auch im FStrPrivFinG festgelegten Fällen erlaubt, denn mit der Lkw-Maut (und früher der zeitabhängigen Vignette) zahlen Lkw in Deutschland bereits eine Gebühr für die Nutzung der Autobahnen.

 

Ein weiterer Grund für die nur sehr zögernde Realisierung von Mautstrecken ist, dass es sich bei den vom Bund vorgeschlagenen Projekten zwangsläufig um sehr teure Projekte wie Tunnel und Flussbrücken handelt. Dies ist zwar gesetzlich begründet, dennoch scheint der Bund bei der Auswahl der Projekte insbesondere solche vorgeschlagen zu haben, bei denen die voraussichtlichen Verkehrszahlen den Bau nicht vordringlich erscheinen ließen. Anders formuliert: Statt Strecken mit voraussichtlich hohen Verkehrszahlen und damit hohen zu erwartenden Einnahmen für private Betreiber anzubieten, wurden der Bauwirtschaft regelmäßig nur ”Ladenhüter” angeboten. Diese drängte deshalb die Bundesregierung schon lange, rentablere Projekte für private Betreibermodelle zu öffnen.

 

Problematisch für potenzielle Betreiber ist außerdem, dass parallel laufende Straßen mautfrei bleiben. Dies war der „Todesstoß“ für die meisten Projekte. Andere konnten (leider) durch die Konjunkturprogramme aus Haushaltsmitteln finanziert werden. Denn zu bedenken ist, dass Mautstrecken bei der Bevölkerung sehr unbeliebt sind.

Hintergrund A-Modell

Das Bundesverkehrsministeriums stellte im Oktober 2001 erstmals das A-Modell vor (das damals noch ”Bauen Jetzt!” hieß). Bei diesem Modell geht es um den Ausbau 4-spuriger Autobahnen auf 6 Spuren. Im Gegensatz zu privatfinanzierten Projekten nach dem F-Modell werden beim A-Modell keine Mautstationen errichtet werden. Die Abrechnung erfolgt vielmehr über das elektronische Erfassungssystem der Lkw-Maut. Die eigentlich dem Bund zustehenden Einnahmen werden auf diesen Strecken dann für die Laufzeit von 30 Jahren den privaten Betreibern zur Refinanzierung ihrer Investitionen überlassen. Da keine Mautstationen errichtet werden, entrichten Pkw keine Nutzergebühren. Mit der Begründung, diesen Ausfall von Einnahmen durch Pkw zu kompensieren, wollte der Bund den privaten Betreibern ursprünglich einen Zuschuss von 40-60% der Baukosten gewähren. Bei den Bieterwettbewerben zeigte sich aber, dass die Betreiber diesen Zuschuss nicht bzw. nur in sehr geringem Ausmaß benötigen (durchschnittlich 5% der Baukosten). Das liegt insbesondere daran, dass es sich bei diesen Projekten um die absoluten „Rennstrecken“ handelt, also die Hauptachsen, auf denen so viel Verkehr rollt, so dass sich die Betreiber vermutlich eine goldene Nase verdienen werden (s. u.).

 

Durch die langfristige Zweckbindung der Einnahmen beschneidet der Bund seinen Handlungsspielraum. Dies ist angesichts der enormen Verschuldung des Bundes nicht zu akzeptieren. Das hat sogar die (alte) Bundesregierung eingesehen, sie schreibt in ihrem Zwischenbericht zur Evaluierung der ersten Projekte des A-Modells vom Januar 2008, dass nur maximal 15% der Mauteinnahmen langfristig durch die Verpflichtungen aus den A-Modellen gebunden werden sollen – bislang hält auch die neue Koalition daran fest. Mit dem Bundeshaushalt 2010 sind die langfristigen Verpflichtungen von ca. 4,6 Mrd. € auf fast 7 Mrd. € gestiegen – für ganze acht Straßenprojekte.

Kritik des Bundesrechnungshofes an A- und F-Modell

Am 5. Januar 2009 legte der Bundesrechnungshof in seiner Funktion als Wirtschaftlichkeitsbeauftragter der Bundesregierung ein Gutachten zu ÖPP im Straßenbau vor. Das Gutachten des Bundesrechnungshofes ist ein Verriss erster Klasse für die Privatisierungsbemühungen der Bundesregierung im Straßenbau. Natürlich schreibt der Bundesrechnungshof das nicht so. Er ist ja höflich – und außerdem eine Institution des Bundes. Deswegen hier eine „Übersetzung“ des Gutachtens:

 

  • Die vom Bund errechnet Wirtschaftlichkeit der Projekte sieht der BRH skeptisch  - das bedeutet, dass mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Bundesmittel verschwendet werden.
  • Der BRH setzt die A-Modelle mit der privaten Vorfinanzierung gleich – die wurden wegen der Nachteile für den Bundeshaushalt gestoppt, das gleiche sollte mit den A-Modellen passieren
  • beim Wirtschaftlichkeitsvergleich hat die Bundesregierung Äpfel mit Birnen verglichen: die um 55 bis 75% höheren Verkehrsprognosen der Bieter wurden mit den eben erheblich niedrigeren des Bundes verglichen. Der BRH führt dazu aus, dass entweder die Betreiber insolvent werden (wenn die Prognosen des Bundes eintreffen) – oder dem Bund erhebliche wirtschaftliche Nachteile drohen (wenn die der Betreiber eintreffen)
  • die Kaptalkosten der Privaten sind deutlich zu hoch – deswegen sollte der Anteil privaten Kapitals sehr niedrig gehalten werden
  • wegen der Vorgaben durch Planfeststellungsbeschlüsse und Richtlinien zum Straßenbau gäbe es fast keine Möglichkeit für die Betreiber, Baukosten zu sparen – die wesentlichste Begründung für ÖPP im Straßenbau entfällt damit
  • die andere Begründung, dass durch die A-Modelle der Bau vorgezogen werden kann, verwirft der BRH genauso, denn erstens ist das nicht der Fall – und zweitens selbst wenn es stimmen würde, dann dürften Haushaltsfragen nicht über ÖPP entscheiden, sondern allein eine größere Wirtschaftlichkeit – und darum ist es schlecht bestellt.

 

Fazit

Ein Modell ohne Übernahme des Verkehrsmengenrisikos und mit einem nur sehr niedrigen Anteil privaten Kapitals hätte nichts mehr mit dem zu tun, was die Bundesregierung als A-Modell bezeichnet. Das A-Modell ist gescheitert.

 

Auch das F-Modell ist gescheitert. Eine kräftigere Watsche als die Fundamentalkritik des BRH an der Projektauswahl und zur Unfähigkeit, alternative Umfahrungsstrecken zu verhindern, hätte sich die Bundesregierung und die beiden Kommunen mit F-Modell kaum abholen können. Nicht umsonst bezeichnete ein führender Vertreter der Bauindustrie die ja auch mal als F-Modell geplante zweite Rügenanbindung als „Totgeburt von der Stunde Null an“.

 

Überhaupt ist festzustellen, dass die Liste der eventuellen F-Modelle ständig kürzer wird. Ob die nach den Kriterien des BRH wirtschaftlich zu betreiben sein werden, ist stark zu bezweifeln, im Fall des A8-Albaufstieg tut das der BRH sogar selber.

 

Der BRH will auf keinen Fall, dass der Anwendungsbereich ausgeweitet wird, weil sonst ein Flickenteppich mit Mautstellen droht. Seine Idee, das Modell zu verbessern, kommt aber einer Bankrotterklärung gleich: anstatt einer festen Laufzeit sollen die Privaten die Strecke einfach so lange betreiben dürfen, wie sie ihr Geld wieder reingeholt haben. Das heißt also Maut für immer!

 

Das F-Modell muss gestoppt werden. DIE LINKE hatte dazu einen Gesetzentwurf (Bundestagsdrucksache 16/4658) eingebracht, der natürlich abgelehnt wurde.

 


Übersicht über Modelle der Nutzer- und Privatfinanzierung im Straßenbau (eigene Darstellung)

 

Modell

zuständig für Bau, Unterhalt und Betrieb der mautpflichtigen Straße

Finanzierung der Baukosten von - erstmaligem Neu- / Ausbau

Finanzierung Unterhalt / Betrieb

mautpflichtig

Mauterhebung

Einnahmen stehen zu

Lkw-Maut

Bund (Auftragsverwaltung durch die Länder)

Bund 100%

Bund

Lkw > 12 t zul gG

überwiegend elektronisch, Streckenkarten „vom Automaten“ gibt es aber auch

Bund; abzüglich der Kosten für Erhebung der Maut sowie eines festen Abführungsbetrages werden die Mittel an die VIFG weitergeleitet

A-Modell

privater Betreiber für Laufzeit der Konzession

(30 Jahre)

Bund 40-60%

privater Betreiber 40-60%

privater Betreiber

Lkw > 12 t zul gG.

s.o.

Bund, dieser reicht sie an die VIFG weiter (s.o.), die die auf den betreffenden Strecken erzielten Einnahmen an die privaten Betreiber abtritt

F-Modell

privater Betreiber für Laufzeit der Konzession

(30 Jahre)

privater Betreiber 100%, abzüglich möglicher Bundeszuschüsse von max. 20% sowie Landeszuschüssen und EU-Geldern (EFRE-Programm)

privater Betreiber

alle Fahrzeuge

Mautstationen, für Vielfahrer elektronisch

privater Betreiber

 

Position zur Einführung einer Pkw-Maut oder sonstiger Varianten einer Nutzerfinanzierung für Pkw

 

Eine Pkw-Maut würde diejenigen besonders treffen, die sich jetzt schon kaum noch ein Auto leisten können. DIE LINKE lehnt deswegen nicht nur eine Pkw-Maut kategorisch ab, sondern widersetzt sich auch vehement allen Bestrebungen, Autobahnen oder andere Straßen zu privatisieren. Die beiden privat finanzierten Tunnel in Rostock und Lübeck sollten Allen, die weiterhin von privaten Straßen träumen, ein mahnendes Beispiel sein. Straßen gehören wie Schienen, Schulen, die Wasserversorgungen usw. als Teil der Daseinsvorsorge klar in die öffentliche Hand. Die Lkw-Maut als Instrument zur Herstellung der Wettbewerbsgleichheit mit der Schiene hingegen wollen wir ausweiten.

Pkw-Maut soll mehr Geld für Straßenbau bringen

Bereits die Grundannahmen, die der Idee einer Pkw-Maut zu Grunde liegen, sind falsch. Die Bundesregierung geht nämlich davon aus, dass der Verkehr auf der Straße weiter erheblich wachsen wird. Dies kann und nicht eintreten, weil Deutschland den Anforderungen des Klimaschutzes nicht gerecht werden kann. Auch mit Elektroautos oder anderen alternativen Antrieben lässt sich das „Problem“ auf absehbare Zeit – mindestens bis etwa bis 2030 - nicht beheben. Dazu kommt der voraussichtlich massive Anstieg des Ölpreises, wenn die Wirtschaftskrise überwunden ist. Bereits jetzt liegen wir wieder bei 70- 80 Dollar das Fass.

 

Weil aber der Straßenverkehr eben nicht so stark bzw. eigentlich gar nicht mehr wachsen darf, braucht man auch keine zwei bis drei Milliarden Euro pro Jahr mehr für den Bau neuer Straßen. Genau dafür will die Bundesregierung aber die Pkw-Maut erheben! Das ebenfalls gerne genannte Argument, im Ausland müsse man ja auch für die Straßen zahlen, die „Ausländer“ aber nicht bei uns, darf nicht zählen: Erstens werden laut ADAC nur 5,2% aller Fahrten auf dem deutschen Straßennetz durch ausländische Fahrzeuge durchgeführt. Zweitens würden unter Verweis auf die „Ausländer“ ja eben auch alle inländischen Fahrzeuge belastet.

 

Dazu kommt, dass eine Pkw-Maut zwei weitere große Schwächen hat:

Problem Datenschutz

Lkw-FahrerInnen werden immerhin nur in der Dienstzeit „überwacht“. Anders sieht es aber bei den BürgerInnen aus. Eine echte Pkw-Maut würde bedeuten, dass alle Autofahrerinnen und Autofahrer ständig geortet werden können.

Problem Technik und Kosten

Zum anderen ist eine Pkw-Maut mit sehr hohen Systemkosten verbunden. Bei Lkw sind die Kosten zwar auch (zu) hoch, hier rechnet es sich aber insgesamt. Denn die Zahl der Lkw auf deutschen Autobahnen ist erheblich niedriger als die von Pkw. Es gibt derzeit gut 190.000 mautpflichtige deutsche Lkw, aber ca. 45 Millionen Pkw! Die Lkw fahren außerdem erheblich mehr, so dass sich die Kosten pro Fahrzeug auf viel mehr gefahrene Kilometer verteilen. Als letztes kommt noch hinzu, dass Pkw eine viel niedrigere Maut zahlen würde. Statt durchschnittlich etwa 18 Cent pro Kilometer wären es bei Pkw nur 3 Cent. Wenn nun jemand, was sicher nicht so selten ist, lediglich 1000 Kilometer im Jahr auf Autobahnen unterwegs ist, müsste er insgesamt nur 30 Euro zahlen. Man kann natürlich sagen, dass das verkraftbar wäre. Es geht aber darum, dass die sog. OBUs (On-Board-Unit) in den Lkw pro Stück mit Einbau etwa 1.000 € kosten. Dazu kommt noch, dass fast alle 45 Millionen Pkw in eine Datenbank aufgenommen werden müssten und alle vermutlich monatlich eine Rechnung bekommen. Auch das UBA zweifelt die Angabe, dass die Systemkosten für Pkw nur doppelt so hoch liegen würden wie für Lkw an.

Der administrative Aufwand und die Kosten wären jedenfalls enorm – und stünden in keinem Verhältnis zu dem finanziellen Ertrag. Auch würde nach Angaben von Insidern allein der Einbau von OBUs in alle Pkw etwa drei Jahre dauern!

Vignette noch schlimmer

Die einzige theoretisch positive Wirkung einer Pkw-Maut ist der Anreiz, auf Autofahrten zu verzichten. Dies aber nur, wenn es eine echte Maut geben würde. Die ist aber technisch noch gar nicht so weit – weil natürlich auch die Regierung weiß, dass die Systemkosten mit der jetzigen Technik viel zu hoch sind. Deswegen würde es zunächst eine Vignette geben, d.h. man zahlt ca. 100 Euro im Jahr und darf dann fahren so viel man will. Das wäre genau das Gegenteil eines positiven Anreizes, sondern würde eher dazu führen, dass man die 100 Euro wieder „reinfahren“ will. Oder man fährt „herum“ - um die Mautstrecken - und weicht auf Bundesstraßen aus. Das aber wiederum würde die Unfallzahlen erhöhen und die Umweltbilanz  verschlechtern. Außerdem wäre dies sozial besonders ungerecht: Diejenigen, die drei Mal im Jahr Verwandte besuchen, würden genau so viel zahlen wie Geschäftsleute oder Pendler, die die Vignette ganz oder zum Teil als Fahrtkosten über die Steuer erstattet bekämen.

Energiesteuer rauf?

Als Anreiz dafür, weniger zu fahren, gäbe es außerdem eine ganz einfache Lösung, die sogar den Spritverbrauch der Fahrzeuge ganz direkt berücksichtigt: die Mineralölsteuer. Angesichts des auch von uns immer wieder vorhergesagten, in absehbarer Zeit zu erwartenden Ölpreisanstiegs auf 200 $ scheint eine zusätzliche Steuererhöhung politisch allerdings kaum durchzustehen - auch wenn der Bundespräsident das gefordert hat.

Maßnahmenpaket für Klimaschutz im Verkehr statt Mauteinnahmen für mehr Straßenbau

Vor allem aber würde beides, die Pkw-Maut und die Erhöhung der Energiesteuer, Geringverdienende überproportional belasten, wie eigentlich jede gewollte Verhaltenssteuerung über Preise. Auch wenn wir den Autoverkehr reduzieren wollen und vor allem die negativen, insbesondere Umweltfolgen drastisch reduziert werden müssen, sollte DIE LINKE besonders darauf achten, dass dies sozial ausgewogen geschieht.

 

Anstatt die Anstrengungen für den Klimaschutz einseitig auf die NutzerInnen abzuwälzen, müssten die Fahrzeughersteller über strenge Verbrauchs-Grenzwerte für neue Autos an die Kandarre genommen werden – was noch die alte Bundesregierung mit „Autominister“ Gabriel leider verhindert bzw. erheblich verwässert hat. Flankiert sollte das von Tempolimit, Änderung der Dienstwagenbesteuerung, Umstellung der Kfz-Steuer etc.

 

Statt mehr Straßen brauchen wir eine sozial-ökologische Verkehrswende. Wir müssen die Mobilitätsbedürfnisse der Menschen vor allem durch mehr öffentlichen und mehr Schienenverkehr, durch Barrierefreiheit und Sozialtickets befriedigen. All das würde zu deutlich mehr Lebensqualität führen.

Gerrit Schrammen, Verkehrsreferent der Bundestagsfraktion DIE LINKE

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