Neuordnung und Dezentralisierung der Verantwortung für die Verkehrs-Infrastruktur

1. Abstufung von Bundesstraßen
Eine Abstufung eines großen Teils der Bundesstraßen an die Länder würde die...

Verantwortlichkeiten klarer regeln und mehr Ehrlichkeit in den durch Finanzknappheit gekennzeichneten Straßenbau bringen. Bei den meisten Ortsumfahrungen an Bundesstraßen handelt es sich nicht um Vorhaben von bundesweiter Bedeutung. Die 850 Ortsumfahrungen machen aber die überwiegende Mehrheit der im Bundesverkehrswegeplan enthaltenen Straßenbauprojekte aus.

Der Bund sollte sich auf das Autobahnnetz und die wirklich fernverkehrsrelevanten Bundesstraßen beschränken. Der Bund sollte ein klares und abschließendes Bundesnetz definieren. Dieses Netz muss eine ausreichende Erschließung des gesamten Bundesgebietes gewährleisten, die Herstellung gleicher Lebensverhältnisse in ganz Deutschland bleibt Ziel der Verkehrswegeplanung.

Da im Osten Deutschlands und einigen dünn besiedelten Regionen im Westen das Autobahnnetz sehr lückenhaft ist, sind auch ausgewählte Bundesstraßen Teil des Bundesnetzes. Würden alle Bundesstraßen abgestuft, würden die Länder finanziell sehr stark belastet. Deswegen würde aus diesen Regionen erheblicher
Druck aufgebaut werden, vom Bund finanzierte Autobahnen zu bauen. Eine Ausweitung des Autobahnnetzes ist aber nicht sinnvoll, auch angesichts
des demografischen Wandels mit in einigen Regionen rückläufigen Bevölkerungszahlen.


Für die genaue Abgrenzung müsste es klare und eindeutige Kriterien geben, damit ein "Bundesnetz" neu und nach fachlichen Kriterien, statt wie bisher nach historischen Entwicklungen, definiert werden kann. Damit würde man gleichzeitig einen Anstoß zur überfälligen Reform der Bundesverkehrswegeplanung geben. Derzeit beruht der Bundesverkehrswegeplan – vor allem bei den Straßen – auf den Meldungen, manche sagen Wunschlisten, der Bundesländer. Wenn
der Bund hingegen ein Bundesnetz definieren würde, wäre dies hinfällig. Die Entfrachtung des völlig überladenen Bundesverkehrswegeplans würde damit die
Chance für eine wirkliche verkehrsträgerübergreifende Planung der Bundesverkehrswege bieten.


Für die Länder wäre mit der Abstufung ein Zugewinn an Gestaltungsspielraum verbunden, insbesondere auch für die Landesparlamente. Ein Gewinn für die
Länder ist die Abstufung aber nur dann, wenn die Länder mit angemessener, aber auch nicht zu großzügiger finanzieller Kompensation ausgestattet werden. Im Ergebnis sollte der Straßenbau nicht ausgeweitet werden. Ohne finanziellen Ausgleich wären die Länder aber schlichtweg finanziell überfordert. Aus eben diesem Grund lehnen diese die vom Bund gewollteAbstufung auch ab. Die Kompensationszahlungen des Bundes müssten verlässlich und kontinuierlich
erfolgen. Einmalzahlungen wären kontraproduktiv, weil die Landesfinanzminister diese Gelder dann sicherlich nicht kontinuierlich für Verkehrsinvestitionen zur Verfügung stellen würden. Zu vermeiden ist, dass AnwohnerInnen an abgestuften Bundesstraßen für Sanierung und Umbau zukünftig an den Kosten beteiligt werden, dies ist bislang nur an Bundesstraßen ausgeschlossen.


Verkehrspolitisch sinnvoll wäre die Abstufung, weil es große Synergien mit Landes- und kommunalen Straßen gibt. Statt teurer Prestigeprojekte auf Kosten des
Bundes zu forcieren, hätten die Länder dann Anreize, auf eine effiziente Mittelverwendung zu achten. Es gibt viele Fälle von Straßenplanungen, in denen es aus finanzieller Sicht und auch aus Gründen des Naturschutzes sinnvoller wäre, statt neuer Trassen eine bestehende Straße auszubauen. Solange sich die aber in
der Baulast des Landes oder einer Kommune befindet, werden solche – deutlich billigeren – Lösungen nur in sehr seltenen Ausnahmefällen realisiert.


Eine Gefahr ist allerdings die Verknüpfung der Abstufung mit der dann nach Aussagen von Sachverständigen leichteren Öffnung der Autobahnen für die Beteiligung Privater in Öffentlich-Privaten-Partnerschaften (ÖPP), entweder über zusätzliche ÖPP-Projekte, oder durch eine Privatisierung des gesamten Autobahnnetzes. Zeigt sich, dass die Abstufung der Bundesstraßen vor allem vorangetrieben wird, um die Privatisierung der Autobahnen voranzutreiben, sollte zur Verhinderung einer Privatisierung gegen eine Abstufung votiert werden.


Zur zukünftigen Vermeidung "erzwungener" Autobahnbauten insbesondere in den Stadtstaaten, wie bei der A 100 in Berlin, sollte eine Öffnungsklausel vorgesehen
werden, damit diese alternativen Verkehrsprojekte realisieren können. Dabei sollten auch Flächenländer mit großen Ballungsräumen, insbesondere das Ruhrgebiet, berücksichtigt werden.


2. Abgabe regionaler Schienenstrecken
Neben Bundesstraßen sollten auch nur regionale Bedeutung besitzende Schienenstrecken an die Länder abgegeben werden. Einerseits würde man auf diese Weise diese dem Zugriff der Börsenbahn entziehen. Andererseits böte dies die Möglichkeit, endlich klare Zuständigkeiten für den regionalen Schienenverkehr
in der Hand der Länder zu bekommen. Die sind zwar über das Regionalisierungsgesetz (RegG) mit Mitteln für die Bestellung von Verkehren ausgestattet. Die Finanzierung der Strecken ist aber unklar.

Eine Abgabe muss nicht zwingend an die Länder erfolgen, auch eine Abgabe an andere Gebietskörperschaften ist möglich. Gewährleistet sein muss aber, • dass der Bund wie für abgestufte Bundesstraßen eine finanzielle Kompensation gewährt;


• dass die übernommenen Strecken bei knappen Kassen nicht entwidmet und/oder verkauft werden können;


• es eine gemeinsame, bundesweite Trassenvergabe gibt und die Höhe der Trassenentgelte nach einheitlichen Kriterien festgelegt werden; beides wäre von der mit mehr Rechten auszustattenden Bundesnetzagentur zu kontrollieren;


• dass bundeseinheitliche technische Standards festlegt werden;


• dass der Schienenverkehr auf diesen Trassen eingebunden ist in einen bundesweit vernetzten Fahrplan und in ein bundesweit kompatibles Tarifsystem.


3. Vision: Verkehrsträgerübergreifende Planung auf Landesebene
Zwischen der Abstufung von Bundesstraßen und der Übernahme regionaler Schienenstrecken ebenfalls durch die Länder gibt es große Parallelen. Würde beides realisiert, ergäbe sich dadurch für die Länder die Möglichkeit einer eigenständigen Landesverkehrswegeplanung, bei der Investitionsentscheidungen im Verkehr verkehrsträgerübergreifend erfolgen könnten. Um zu verhindern, dass diese zu Lasten des Schienenverkehrs ausfallen, könnte der Bund den Ländern vorschreiben, die zusammen mit der Übertragung der Netze verbundene
Übertragung von Finanzmitteln eben nicht ungebunden, sondern mit einer klaren Zweckbindung zu versehen und dabei eine Quote von beispielsweise 50 Prozent für den Schienenverkehr vorzuschreiben.


Da Bundesstraßen bereits jetzt in Auftragsverwaltung von den Ländern geplant und gebaut werden, dürfte dies verwaltungstechnisch kein Problem sein. Anders sieht es bei den regionalen Schienenstrecken aus, für die dann vermutlich neue Kapazitäten in den Ländern aufgebaut werden müssten. Das gleiche gilt für die Landesparlamente, für die eine Verlagerung der Kompetenzen für Straßen und Schienenstrecken einen deutlichen Zuwachs an Entscheidungsfreiheit bedeuten würde.


Bei der sicherlich erforderlichen grundlegenden Novellierung des Regionalisierungsgesetzes (RegG) im Zuge der Abgabe regionaler Schienenstrecken bestünde die Gefahr erneuter Streichungsrunden beim RegG und Anpassung an den mittlerweile erfolgten Abbau von Schienenstrecken, insbesondere in einigen Bundesländern im Osten.


4. Hintergründe
• Abstufung von Bundesstraßen an die Länder


Der Bund wollte im Zuge der Föderalismusreform II etwa die Hälfte aller Bundesstraßen an die Länder abgeben. Dies wird seit langem auch vom Bundes rechnungshof gefordert, der sogar alle Bundesstraßen an die Länder abgeben will.


Begründet wird dies damit, dass diese 20.000 km Bundesstraßen praktisch keine Fernverkehrskehrsfunktion (mehr) haben, u.a. weil sie parallel zu (zwischenzeitlich
gebauten) Autobahnen verlaufen. Der Bundesrechnungshof hat schon oft belegt, dass der Bund durch die Länder "über den Tisch" gezogen wird:


•die Länder planen eine zu großzügige Ausstattung der Straßen;


•viele sind eigentlich nicht notwendig für den Fernverkehr;


•statt selber Landes- oder kommunale Straßen (auszu)bauen, lässt man den Bund bauen;
•die Länder weigern sich, Bundesstraßen zu übernehmen;


•das BMVBS kann die Länder nur unzureichend kontrollieren, da dort keine ausreichenden Kapazitäten für die Detailprüfung vorhanden sind.


Eine Rolle bei diesem Vorschlag spielte auch, dass insbesondere die CDU/CSU-Fraktion ein Interesse daran hat, für Bundesverkehrswege verstärkt ÖPP anzuwenden. Dies sei einfacher, wenn der Bund nicht mehr für die – für ÖPP weitgehend uninteressanten – Bundesstraßen zuständig sei. Dann nämlich könne evtl. sogar das gesamte Autobahnnetz privatisiert werden.

Das Problem für den Bund ist, dass er eine Abstufung nur mit Zustimmung der Länder vornehmen kann. Diese Zustimmung bleibt deswegen aus, weil die
Länder dann alle anfallenden Kosten tragen müssten. So gab es keine verbindliche Einigung in der Föderalismusreform II. Es wurde lediglich in einer allgemein
gehaltenen Entschließung festgehalten, dass Bund und Länder hierzu einen gemeinsamen Vorschlag erarbeiten.


Bislang planen und bauen die Länder Autobahnen und Bundesstraßen in sog. Auftragsverwaltung, die Baukosten trägt aber ausschließlich der Bund. Die Länder erhalten vom Bund eine pauschale Abgeltung der Planungskosten in Höhe von 3 Prozent, zuzüglich weitere 1-1,5 Prozent. Die tatsächlichen Planungskosten
liegen für die Länder aber deutlich darüber, bei etwa 10-20 Prozent.


Umstritten ist vor allem, ob die Länder vom Bund einen finanziellen Ausgleich für die Übernahme der Bundesstraßen erhalten sollen. Der Bund will bislang gar keine Kompensation an die Länder zahlen, weil er der Auffassung ist, dass die Straßen durch den Verlust der Bedeutung für den Fernverkehr rechtlich nicht mehr als Bundesstraßen anzusehen sind. Das wird sich aber mit 100 Prozentiger Sicherheit nicht durchsetzen lassen, weil die Länder unter dieser Bedingung nicht zustimmen werden.

Das Beispiel Regionalisierungsgesetz – die Länder übernahmen damit den Schienenpersonennahverkehr (SPNV) vom Bund) - lehrt vielmehr, dass sich die
Länder eine Übernahme von Bundesverantwortung großzügig entlohnen lassen. Das gilt trotz der Einschätzung, dass die Regionalisierungsmittel eigentlich immer noch nicht ausreichen. Damals war der Bund auf die Zustimmung der Länder angewiesen, weil die Übernahme des SPNV Teil der Bahnreform war. Bei den Bundesfernstraßen hingegen ist eine Änderung nicht zwingend erforderlich. Deswegen wird sich der Bund nur dann auf eine Abstufung inkl. Kompensation
einlassen, wenn es sich um einen fairen Ausgleich und keine "Überkompensation" handelt.


Sonderfall Stadtstaaten
Insbesondere die Stadtstaaten, aber auch die Ballungsräume, leiden darunter, dass der Bund Bundesstraßen in Städten mit mehr als 80.000 Einwohnern nur außerhalb
geschlossener Ortschaften baut. Deswegen müssen Hamburg, Bremen und Berlin de facto Autobahnen bauen, wenn sie nicht auf die Mittel des Bundes für
Bundesfernstraßen verzichten wollen. Eine andere Verwendung der Investitionsmittel des Bundes, die (mit gewissen Zu- und Abschlägen) nach dem sogenannten Königsteiner Schlüssel an die Länder verteilt werden, ist nicht zulässig. Berlin z.B. kann weder kommunale Straßen und schon gar nicht den S-Bahn-Ring ausbauen, sondern nur die parallel verlaufende A 100.


Einordnung in den Kontext der Bundesverkehrswegeplanung
Grundsätzlich ist der Einschätzung zuzustimmen, dass viele Bundesstraßen keine Bedeutung für den Fernverkehr haben. Zudem werden fast keine neuen Bundesstraßen gebaut, der überwiegende Teil der Projekte an Bundesstraßen sind Ortsumfahrungen, die zur Entlastung von Ortsdurchfahrten dienen. Diese haben eindeutig nur regionale oder lokale Bedeutung, zumal der überwiegende Teil des Verkehrs regionalen Ursprungs ist.


Erfahrungen mit dem Bundesverkehrswegeplan zeigen zudem, dass der Bundestag als Gesetzgeber nicht in der Lage ist, weit mehr als 1.000 Straßenbauvorhaben
adäquat zu bewerten. Ob ein Projekt wirklich nötig, vorrangig oder umweltpolitisch vertretbar ist, spielt leider bei der letztlichen Entscheidung oft keine Rolle. Die Bundesverkehrswegeplanung bietet vielmehr ein großes Einfallstor zur Profilierung für alle Abgeordneten, weswegen jeder Walkreis mit mindestens einem
Verkehrsprojekt "versorgt" werden muss.


Die Länder nehmen ihren Anteil an den Planungskosten offensichtlich gerne in Kauf, wenn sie ansonsten Bau und Unterhalt komplett vom Bund geschenkt bekommen. Deswegen melden die Länder regelmäßig so viele Straßenprojekte wie möglich beim Bund an, auch wenn diese nicht unbedingt nötig sind, weil beispielsweise auch der parallele Ausbau einer anderen Straße den Verkehrsbedarf ebenso gut befriedigen würde (und deutlich billiger käme). Zudem sind viele Projekte überdimensioniert um auch lokale Verkehre aufnehmen zu können, wodurch eigener Straßenbau unterbleiben kann.


Außerdem ist die Bundesverantwortung bequem für viele Landespolitiker, weil sie einerseits den (leider) oft an Straßenbau interessierten WählerInnen gegenüber
zeigen können, dass sie Straße XY durchgesetzt haben, andererseits die Verantwortung für deren ausbleibende Realisierung auf den Bund schieben können.


Trotz der Bezeichnung "Bundesverkehrswegeplanung" gibt es keine verkehrsträgerübergreifende Analyse. Bundesfernstraßen-, Schienenwege- und Wasserstraßenprojekte werden de facto jeweils für sich bewertet. So kommt es immer wieder dazu, dass in einem Korridor zwei oder drei Verkehrswege parallel
ausgebaut werden sollen. Das treibt die Gesamtinvestitionen in die Höhe.


Regionale Schienenstrecken
Die Mittel aus dem RegG sind nicht mehr eindeutig Infrastrukturmaßnahmen zugeordnet, wie es vorher durch den § 8 Abs. 2 RegG (alt) möglich war.


Die Bundesmittel für die Schienenwege fließen fast ausschließlich in Fernstrecken, da der Bund davon ausgeht, dass die Länder die RegG-Mittel für regionale
Strecken verwenden können, laut Bundesverkehrswegeplan 2003 sollen es 900 Mio. Euro pro Jahr sein. Dies geschieht aber in nur geringem Ausmaß und wird in den Ländern sehr unterschiedlich gehandhabt. Zudem gibt es noch geringe Mittel aus dem Bundesprogramm des Gemeindeverkehrsfinanzierungs-Gesetzes (GVFG), die für die Entwicklung von Schieneninfrastruktur nur dann eingesetzt werden, wenn sie (überwiegend) dem Personennahverkehr dienen. Das GVFG
läuft allerdings 2019 aus – das wurde bei der Föderalismusreform vereinbart. In der seit 2009 geltenden Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung (LuFV) zum
Erhalt des Schienennetzes der Bahn wurde – eigentlich zweckwidrig – vereinbart, dass bis 2013 jährlich knapp 200 Millionen Euro für "die Verbesserungs- und
Ausbaumaßnahmen des Schienenpersonennahverkehrs" verwendet werden.


 Schienenstrecken, die ausschließlich für Güterverkehr bestimmt sind (u.a. sogenannte Industriestammgleise) werden derzeit nur (freiwillig) über
Wirtschaftsförderprogramme der Länder zu max. 50 Prozent bezuschusst. Es gibt auch Bundesländer, die ein Schienenförderprogramm aufgelegt haben, z.B. Baden-Württemberg. Von Bundesseite ist noch das Gleisanschluss-Förderprogramm zu erwähnen – ausschließlich für Güterverkehr. Strecken nichtbundeseigener Bahnen können derzeit gar nicht aus Bundesmitteln bezahlt werden. Hier scheint es aber
Bewegung zu geben, die neue Koalition hat zumindest angekündigt, die "rechtlichen Voraussetzungen für die Finanzierung nichtbundeseigener Eisenbahninfrastruktur"
zu schaffen.

 

Ein Plädoyer von Gerrit Schrammen
(Verkehrsreferent der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag)