Bundesregierung entzieht sich der Verantwortung

In einer Kleinen Anfrage zu "Personalsituation und Sicherheit im Schienenverkehr" (Drs. 17/14642) fragten wir die Bundesregierung u.a. nach dem Stand und der Entwicklung der Personalsituation bei Fahrdienstleitern. Die Bundesregierung verweigert mit Verweis auf das Aktienrecht die Antwort, obwohl der Bund laut Grundgesetz direkt für die Schienenverkehrsinfrastruktur verantwortlich ist. Sie bestätigt, dass es bei den Fahrdienstleitern zu extrem langen Arbeitszeiten (mit bis zu 12-stündigem Schichtbetrieb) kommt. Sie lässt zudem die (u.E. zutreffende) Aussage unkommentiert, dass „Lokführer privater Schienengüterverkehrsbahnen oft bis zu 23 Stunden ununterbrochen auf der Lok stehen und im Schnitt drei Mal häufiger rote Signale überfahren". Hier nehme ich zur (Nicht-)Antwort der Bundesregierung (Vorabversion, erscheint demnächst als Drs. 17/14746) stellung.


>> Vorbemerkung der Fragesteller - in der Vorabversion der Antwort nicht enhalten
>> Tabelle "Entwicklung der Beschäftigung und der Leistungen in ausgewählten Bereichen der Deutschen Bahn AG 2002-2012"


Stellungnahme zur Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE „Personalsituation und Sicherheit im Schienenverkehr“ (DS 17/14746)

1. Allgemein
Es ist zwar nicht ganz neu, doch es ist wichtig, neu festzustellen: Es ist absolut inakzeptabel, dass die Bundesregierung sich weigert, wichtige Angaben zum bundeseigenen Unternehmen Deutsche Bahn AG zu machen  und sich dabei hinter den Verweis „Aktiengesellschaft“ zurückzuziehen (siehe die „Antwort“ auf die Fragen 1-11). Es gibt Dutzende Aktiengesellschaften im Verkehrssektor mit öffentlichem Eigentum (z.B. die Nahverkehrsbetriebe in Köln, KVB AG, in Stuttgart SSG AG, oder in Nürnberg, VAG Nürnberg), bei denen selbstverständlich der Eigentümer und das kommunale Parlament Auskunft über vergleichbare Sachverhalte bekommen.
Im vorliegenden  Fall ist das Nichtantworten der Bundesregierung aus zwei Gründen besonders skandalös: Erstens, weil es sich überwiegend um Fragen zur Infrastruktur handelt: Nach dem Grundgesetz ist der Bund direkt für die Schienenverkehrsinfrastruktur verantwortlich. Zweitens weil es sich um Fragen handelt, die elementar die Sicherheit im Schienenverkehr betreffen. Immerhin stand am Beginn der „Mainzer Verhältnisse“ ein Fast-Unfall, der nur durch glückliche Umstände vermieden werden konnte.

2. Konkrete Aspekte des Abbaus von Sicherheit (Fragen 2, 9 und 10)
Uns liegen gesicherte Informationen darüber vor, dass die Besetzung auf den Stellwerken – konkret auch in Mainz Anfang August – nicht den vorgegebenen Sicherheitsstandards entsprach und dass die Ausbildungszeiten deutlich verkürzt wurden und z.Tl. noch verkürzt werden. Siehe unsere Vorbemerkungen.
Wenn die Bundesregierung eine Antwort auf solche Fragen verweigert, so verstößt sie gegen die gesetzlichen Vorschriften, wonach die Sicherheit im Schienenverkehr direkte Bundesangelegenheit ist – vermittelt über das dem BMVBS unterstellte Eisenbahn-Bundesamt (EBA).

3. Arbeitszeiten (Fragen/Antworten 13 und 19)
Die Bundesregierung bestätigt im Fall unserer Frage 13, dass es bei den Fahrdienstleitern zu extrem langen Arbeitszeiten (mit bis zu 12-stündigem Schichtbetrieb) kommt. Indem sie die Antwort auf Frage 19 faktisch verweigert, lässt sie unkommentiert die (u.E. zutreffende) Aussage stehen, dass „Lokführer privater Schienengüterverkehrsbahnen oft bis zu 23 Stunden ununterbrochen auf der Lok stehen und im Schnitt drei Mal häufiger rote Signale überfahren".
Dass allein mit solchen Arbeitszeiten die Sicherheit im Schienenverkehr erheblich gefährdet wird, ist offenkundig.

4. Struktur der Deutschen Bahn AG (Frage/Antwort 26)
Unsere Frage, inwieweit die Form einer Aktiengesellschaft  angesichts der miserablen Performance und der „Mainzer Verhältnisse“ im August 2013 für die Bahn in Deutschland unpassend sein könnte, beantwortet die Bundesregierung – wie absehbar – negativ.
Es ist allerdings gerade auch dieses Nicht-Antworten der Bundesregierung und dabei deren Verweis auf „Aktiengesellschaft“ und „Aktienrecht“, das Überlegungen rechtfertigt, eine andere Rechtsform für die Bahn zu wählen. Wenn pro Jahr mehr als 15 Milliarden Euro Steuergelder in das System Schiene fließen, es dennoch – und zwar regelmäßig (siehe die „Sauna-ICE“,  „Winterchaos“ und Berliner S-Bahn-Misere) –  zu, wie das BMVBS eingangs der Antworten einräumt,  „nicht akzeptablen Verhältnissen“ im Schienenverkehr kommt, und wenn dann die Bundesregierung auch noch Antworten auf elementare Fragen zum bundeseigenen Unternehmen verweigert, dann stellt sich just dieses Thema.

5. Personalentwicklung insgesamt (Frage/Antwort 25)
Die Bundesregierung behauptet in dieser Antwort pauschal dass "in sicherheitsrelevanten Bereichen" nicht gespart werden würde. An anderer Stelle – so in der Vorbemerkung, 4. Abschnitt, wird allerdings ausgeführt, dass die DB AG "nach wie vor in starkem Wettbewerb" stehe und "daher schon aus betriebswirtschaftlichen Gründen bestrebt (sei), Kosten zu senken." Damit ist jedoch das Dilemma richtig beschrieben. Und es gibt keine Gewähr, dass aufgrund dieses Wettbewerbsdrucks (und spezifischer Unternehmensziele wie die global-player-Politik) nicht in sicherheitsrelevanten Bereichen "Kosten gespart" werden würde.
 Bahnchef Rüdiger Grube hat in jüngerer Zeit immer wieder darauf hingewiesen, seit seinem Amtseintritt würde eine andere Personalentwicklung verfolgt. Alle Parteien im Verkehrsausschuss (mit Ausnahme der LINKEN) versuchten, allein den Ex-Bahnchef Mehdorn als Schuldigen hinzustellen.
 Wir haben in einer Tabelle die Entwicklung in den entscheidenden Sektoren des Schienenverkehrs für die "Ära Mehdorn" und für die "Ära Grube" dargestellt – immer strikt auf Basis der Zahlen der Deutschen Bahn AG (siehe die Tabelle unten).

Die Bilanz:
  • Es kam in den vier Jahren (exakt waren es gut dreieinhalb Jahre) der Ära Grube zu einer leichten Steigerung der Beschäftigtenzahlen in den Bereichen  Fernverkehr (6,0%), Bahnhöfe (4,3%) und Fahrweg (2,6%).
  • Es kam in der „Ära Grube“ in den Bereichen Schienengüterverkehr (-7%) und Nahverkehr (-1,8%) zu einem zusätzlichen Personalabbau. Dies steht in hartem Kontrast zu den deutlich gesteigerten Leistungen in diesem Bereichen im gleichen Zeitraum (Nahverkehr: +3,2 %; Schienengüterverkehr. +12,7%!).
  • Da der zuvor unter Mehdorn durchgezogene Personalabbau extrem und absolut unverantwortlich war, kann der in den drei Segmenten genannte bescheidene Wiederaufbau in keiner Weise das wettmachen, was zuvor angerichtet wurde. Dieser Personalaufbau müsste deutlich größer ausfallen – und er hätte in den mehr als dreieinhalb Jahren der Amtszeit von Bahnchef Grube auch deutlich größer ausfallen können, wenn denn der Wille zu einer solchen anderen Personalpolitik bestehen würde.
Im übrigen zeigt die Entwicklung der Überstunden, dass sich auch in den Bereichen, in denen etwas Personal wieder aufgebaut wurde, die Situation in der „Ära Grube“ von Jahr zu Jahr mehr zuspitzte.
Allein im Bereich Fahrweg (DB Netz) wurden im Zeitraum Juni 2013 gegenüber Juni 2012 zusätzliche 200.000 Mehrarbeitsstunden angehäuft, womit es dort im Juni 2013 einen Bestand von 2,4 Millionen aufgelaufenen Überstunden gab.






Entwicklung der Beschäftigung und der Leistungen in ausgewählten Bereichen der Deutschen Bahn AG 2002-2012

 

Ära Mehdorn

     Ära Rüdiger Grube

Ära I + II

im Vergleich

Gesamt

Segment

2002

2009

2009

2010

2011

2012

2002-2008

2009-2012

2002-

2012

Entwicklung  der Beschäftigung im Schienensektor der DB AG (Inland) – absolut und prozentual

 

in absoluten Zahlen (VZP*)

     Entwicklung in %

Nahverkehr

44.024

37.640

37.640

38.017

37.131

36.959

-14,5

-1,8

-16,1

Fernverkehr

27.013

15.043

15.043

15.270

15.976

15.947

-44,3

6,0

-40,1

Fahrweg

49.499

40.354

40.354

39.849

41.136

41.400

-18,4

2,6

-16,4

Bahnhöfe

5.309

4.601

4.601

4.636

4.817

4.797

-13,3

4,3

-9,6

Zwischensumme

125.845

93.498

93.498

97.772

99.060

99.103

-25,7

6,0

-21,2

nachrichtlich:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Eisenbahnaufsicht
(EBA)**

194

k.A.

k.A.

k.A.

135

132

k.A.

k. A.

-32

Schienengüterverkehr

29.399

34.145

34.145

32.618

32.466

31.770

16,1

-7,0

8,1

Logistik
(o. Schiene)

40.681

57.134

57.134

58.671

62.197

64.199

40,4

12,4

57,8

Arriva 
(Ausland)

k.a.

k.A.

k.A.

36.454

38.196

39.545

-

(8,5)

-

Leistungen im Schienenverkehr (Personen- u. Güterverkehr; jeweils Aufkommen u. Leistung)

 

in absoluten Zahlen (Pkm und tkm)

Entwicklung in %

SPFV
   Reisende in Mio

128

123

123

126

125

131

-4,0

6,5

2,3

SPFV
   in Mio. Pkm

33.173

34.708

34.708

36.026

35.565

37.357

-1,4

7,6

12,6

SPNV
   Reisende in Mio

1.529

1.785

1.785

1.824

1.801

1.843

16,7

3,2

20,5

SPNV
    in Mio. Pkm

36.675

42.064

42.064

42.556

42.404

43.448

14,6

3,2

18,5

SGV
    Bef. Güter in Mio t

278,0

341,0

341,0

415,4

411,6

398,7

22,6

16,9

43,4

SGV
    in Mio. tkm

77.981

93.948

93.948

105.794

111.980

105.894

45,7

12,7

35,8


* VZP = Vollzeitkräfte (ggfs. umgerechnet) 

**Eisenbahnaufsicht: Die beim EBA beschäftigten Personen (VZP) in den Bereichen Aufsichtspersonal (1) über Signal-, Telekommunikation u. elektrotechnische Anlagen und (2) über  Gleise, Weichen, Brücken u. sonstige Anlage

SPFV = Schienenpersonenfernverkehr // SPNV = Schienenpersonennahverkehr //
SGV = Schienengüterverkehr

Quellen:
Daten und Fakten 2002, herausgegeben von der Deutschen Bahn AG, S. 27 u. Seiten 18/19
Daten und Fakten 2009, herausgegeben von der Deutschen  Bahn AG, S. 11
Daten und Fakten 2010, herausgegeben von der Deutschen  Bahn AG, S. 11
Daten und Fakten 2012, herausgegeben von der Deutschen Bahn AG, S. 10.

Angaben zum EBA: Antwort Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung auf eine Berichtsanforderung der Abg. Frau Dr. Gesine Lötzsch vom 13. August 2013.



Vorbemerkung der Fragesteller
- in der Vorabversion der Antwort nicht enhalten


Die Situation des Schienenverkehrs in der rheinland-pfälzischen Landeshaupt- stadt Mainz bestimmte im August 2013 zwei Wochen lang die Schlagzeilen deutscher Medien. Ein großer Teil des Schienenverkehrs konnte und kann in Mainz im Zeitraum zwischen dem 1. August und dem 30. August 2013 nicht wie im Fahrplan ausgewiesen stattfinden (laut Auskunft der Bahn gilt bis zum 30. August 2013 ein Ersatzfahrplan; am 16. August 2013 unter www.bahn.de). Als Grund wurde seitens der Deutschen Bahn AG tagelang eine „Stellwerksstö- rung“, also ein technisches Problem, genannt. Dies erscheint als eine gezielte Fehlinformation. Denn zweierlei wurde nach einigen Tagen deutlich: Erstens, dass der Auslöser für die angeordnete Schienenverkehrseinschränkung ein Bei- nahezusammenstoß von zwei S-Bahnen war. Zweitens, dass das allem zugrunde liegende Problem eine extreme Personalknappheit bei der Deutschen Bahn AG ist, insbesondere eine unzureichende Zahl der im Einsatz befindlichen Fahr- dienstleiter auf den Stellwerken.
Am 1. August 2013 fuhren zwei S-Bahnen der Linie S8 im Vorfeld des Mainzer Hauptbahnhofs auf ein und demselben Gleis – jedoch in entgegengesetzter Richtung. Laut Darstellung der „Allgemeinen Zeitung“ aus Mainz (vom 2. August 2013) war „die S8 in Fahrtrichtung Wiesbaden (…) kurz vor der Ein- fahrt in den Hauptbahnhof auf Gleis 2 unterwegs und wollte über eine Weiche auf Gleis 1 wechseln, aber auch die S8 in der Gegenfahrtrichtung Offenbach befand sich auf Gleis 2“. Es seien allein „die Lokführer“ gewesen, die „gerade noch bremsen konnten“ (www.fr-online.de vom 2. August 2013). Laut einem anderen Medienbericht „kamen die Züge mit nur eineinhalb Meter Abstand zum stehen“. (12. August 2013, www.derwesten.de). Ursache des Beinahe- unfalls sei, so die Bahn „eine Störung im Stellwerk“ gewesen (Frankfurter Rundschau, 2./6. August 2013, www.fr-online.de). Allerdings heißt es dazu in einem vertraulichen Schreiben des Gesamtbetriebsrats von der DB Netz AG, dass „wiederum nur zwei Fahrdienstleiter statt drei und ein Zugmelder zum Zeitpunkt dieses Fast-Unfalls auf diesem hochbelasteten Stellwerk Dienst taten“. Der Betriebsrat warnt dabei, dass diese unzulässige Unterbesetzung „keine Ausnahme (ist), sondern den Regelfall darstellt, von denen es täglich bundesweit viele andere gibt“. Auch der Vorstandschef von DB Netz AG, Frank Sennhenn, räumte ein, dass es auf den Stellwerken „bundesweit eine ange- spannte Situation“ geben würde – nach Angaben der Deutsche Bahn AG fehlen 600 Fahrdienstleister, die erst teilweise 2013, teilweise dann 2014 neu einge- stellt werden würden. Nach Angaben der Gewerkschaft und des Betriebsrats sind mehr als 1 000 neu einzustellende Fahrdienstleiter erforderlich (SPIEGEL ONLINE vom 12. August 2013; www.spiegel.de).
Der Beinahezusammenstoß zweier Züge in Mainz und die chronische Unterbe- setzung von Stellwerken verdeutlichen: Schwere Eisenbahnunfälle, wie es ei- nen solchen am 25. Juli 2013 in Santiago de Compostela gab, sind grundsätz- lich auch in Deutschland vorstellbar. Die anderslautenden Aussagen des Vor- standsvorsitzenden der Deutschen Bahn AG, Rüdiger Grube, und des Vorstands für Infrastruktur und Technik der Deutschen Bahn AG, Dr. Volker Kefer, nach dem Unglück in Spanien sind nachweislich unzutreffend (siehe z. B. Frankfur- ter Allgemeine Zeitung vom 27. Juli 2013). Schließlich gab es im Fall der schweren Eisenbahnunglücke in Brühl am 6. Februar 2000 mit neun Toten und in Hordorf am 29. Januar 2011 mit zehn Toten nicht allein „menschliches Ver- sagen“. Dem Unglück in Brühl lagen auch die falschen Angaben zur Geschwin- digkeit im Langsamfahrstellenverzeichnis (La) und eine fehlende Absicherung zur Geschwindigkeitskontrolle (Indusi) zugrunde; in Hordorf war versäumt worden, die seit mehr als zwei Jahrzehnten entwickelte Zugsicherung PZB (Punktförmige Zugbeeinflussung) zu installieren, die im Fall des Überfahrens eines auf Halt stehenden Signals den fraglichen Güterzug gestoppt und damit den Zusammenprall dieses Zugs mit einem Personenzug verhindert hätte.
Die Personalsituation bei der Deutschen Bahn AG hat sich seit der Bahnreform des Jahres 1994 kontinuierlich verschlechtert bzw. zugespitzt. Trotz deutlich gestiegener Leistungen insbesondere im Nahverkehr und im Schienengüterver- kehr (bei weitgehend gleichbleibenden Leistungen im Schienenfernverkehr) wurde die Beschäftigtenzahl im inländischen Schienenbereich (Deutsche Bahn AG plus andere Bahngesellschaften) von 350 000 im Jahr 1994 auf weniger als 160 000 im Jahr 2012 mehr als halbiert. Das ist wesentlich mehr, als Arbeit durch Produktivitätsfortschritte reduziert werden konnte. Selbst wenn man sich auf den Zehn-Jahres-Vergleich 2012 bis 2002 beschränkt, gab es laut offiziellen Angaben der Deutschen Bahn AG im Bereich Nahverkehr einen Belegschafts- abbau von 16,1 Prozent (von 44 024 auf 36 959 – jeweils am Jahresende 1994 und 2012 und jeweils in Vollzeitkräfte umgerechnet). Im Fernverkehr lag der Abbau bei 40,1 Prozent (von 27 013 auf 15 947). Im (besonders sicherheitsrele- vanten) Bereich Fahrweg ging die Beschäftigtenzahl um 16,4 Prozent zurück (von 49 499 auf 41 400). Und bei den Bahnhöfen wurden nochmals 9,6 Prozent der Stellen abgebaut (die Beschäftigtenzahl sank von 5 309 im Jahr 2002 auf 4 797 Ende 2012 – alle Angaben nach „Daten und Fakten 2002, S. 27, und Da- ten und Fakten 2012, S. 10; herausgegeben von der Deutschen Bahn AG).
Gute Zeuginnen und Zeugen für den Vorgang eines kundenfeindlichen Beleg- schaftsabbaus sind die Fahrgäste, die sich Tag für Tag in Hunderten Leserbrie- fen und vor Ort in Zügen, auf Bahnsteigen und in Bahnhöfen darüber beklagen, dass es kein Personal auf Bahnsteigen, viel zu wenig Personal in Zügen (und immer öfter gar keines), keine geöffneten Schalter, völlig unzureichende, irre- führende oder schlicht fehlende Informationen im Fall von „Störungen im Be- triebsablauf“ und inzwischen mehr als 4 000 geschlossene, vernagelte und viel- fach völlig verwahrloste Bahnhöfe gibt.
Für den Außenstehenden nicht erkennbar ist darüber hinaus die Arbeitsstress- situation der Bahnbeschäftigten, die durch eine enorme Zahl aufgelaufener Mehrleistungsstunden und offener Urlaubstage gekennzeichnet ist. Allein im Bereich Netz gab es im Juni 2013 2,4 Millionen aufgelaufene Mehrleistungs- stunden; dabei wurden diese gegenüber dem Vorjahr (Juni 2012) um zusätz- liche 200 000 Mehrleistungsstunden aufgestockt. Insgesamt gibt es im Bereich Bahn (Inland) 8,1 Millionen aufgelaufene Mehrleistungsstunden – auch hier gab es gegenüber dem Vorjahr einen weiteren Anstieg um 800 000 oder um knapp 10 Prozent (Angaben der Europäischen Verkehrsgewerkschaft). Für viele Bahnbeschäftigte ist die Urlaubsplanung ein rotes Tuch, da es kaum einen Bereich gibt, in dem diese nach den normalen Spielregeln des Arbeitslebens ge- regelt ist. Oft ist es der Arbeitgeber, der den Urlaub festlegt – was der geschilderten unzumutbaren Situation mit der extremen Personalknappheit geschuldet ist.
Die Vorfälle in Mainz überdeckten teilweise, dass sich der Schienenverkehr in vielen Bereichen in einem miserablen Zustand präsentiert. Zwischen dem 29. Juli und dem 12. August 2013 blieben nach einer eher zufälligen, unvoll- ständigen Recherche mindestens fünf Fernverkehrszüge der Deutschen Bahn AG auf freier Strecke liegen, sodass allein in diesem Zweiwochenzeitraum fast 2 000 Menschen evakuiert werden mussten:
– Am 29. Juli 2013 betraf dies einen IC auf der Strecke von Oldenburg nach Leipzig. 170 Fahrgäste mussten bei Hude, Nähe Oldenburg, zwei Stunden ohne Klimaanlage ausharren (Quelle: Hannoversche Allgemeine Zeitung vom 29. Juli 2013).
– Am 2. August 2013 machte der Intercity 2401 auf seinem Weg von Ham- burg nach Köln auf der Höhe von Münster-Sudmühle schlapp – 300 Fahr- gäste mussten bei 35 Grad Celsius Außentemperaturen und im IC mit einer Hitze von bis zu 60 Grad Celsius – die Klimaanlage war ausgefallen – eine knappe Stunde ausharren und auf freier Strecke in einen anderen IC wech- seln (Quelle: Westfälische Nachrichten vom 2. August 2013; www. westline.de vom 2. August 2013; express vom 2. August 2013).
– Am 5. August 2013 musste der ICE 690 auf dem Weg von München nach Berlin-Ostbahnhof auf offener Strecke in der Nähe von Langenselbold wegen „Rauchentwicklung im hinteren Triebkopf“ einen Nothalt einlegen. 500 Passagiere saßen zwischen 12.41 Uhr und 15.23 Uhr fest bis sie evaku- iert wurden und in einen ICE aus der Gegenrichtung kommend umsteigen konnten (Quelle: hanauer.de vom 6. und vom 12. August 2013).
– Am 11. August 2013 blieb der ICE 226 aufgrund eines Triebkopfschadens auf seiner Fahrt nach Amsterdam in der Nähe von Emmerich-Elten liegen. 400 Fahrgäste mussten auf freier Strecke in einen Ersatz-ICE wechseln, wobei 35 Feuerwehrleute eine Stunde lang damit beschäftigt waren, bei diesem un- freiwilligen Umsteigevorgang behilflich zu sein (Quelle: www.derwesten.de vom 11. August 2013).
– Am 12. August 2013 stoppte ein ICE „wegen starker Rauchentwicklung im Triebwagen“ seine Fahrt von Hamburg nach Dortmund in der Nähe von Bremen. 450 Reisende mussten evakuiert werden – sie wurden mit Bussen zum Bremer Hauptbahnhof gebracht (Quelle: Berliner Zeitung vom 12. Au- gust 2013).
Wenn die hier aufgeführten Zugausfälle vollständig sein sollten und wenn es im übrigen Jahresverlauf nur bei 50 Prozent der Vorfälle wie beschrieben bliebe, dann wären pro Jahr 20 000 Nutzerinnen und Nutzer der Bahn von Zugausfäl- len und Evakuierungen betroffen. Viele davon könnten aufgrund solcher Erfah- rungen der Bahn für immer den Rücken kehren.
Offensichtlich fährt die Bahn bei ihrem rollenden Material auf Verschleiß. Die altbekannte Misere mit neuen Zügen (siehe ICE-3 „Velaro“, siehe Talent) setzte sich in diesem Sommer ebenfalls fort. So gab es in Stuttgart mit den neuen S-Bahnwagen der Serie ET 430 derart viele Störungen und Totalausfälle, dass die Verantwortlichen des Verbandes Region Stuttgart – Körperschaft des öffent- lichen Rechts Anfang Juli 2013 alle Wagen zurück an den Hersteller Bombardier sandten (Stuttgarter Zeitung vom 3. Juli 2013). In einer solchen Situation würde die Spitze eines gut funktionierenden Unternehmens zweifellos dafür Sorge tra- gen, dass insbesondere der Technikbereich im Konzern personell optimal – das heißt mit unbestreitbarer Kompetenz im Bereich Eisenbahntechnik – aufgestellt ist. Doch der Aufsichtsrat der Deutschen Bahn AG kürte Ende Juli 2013 mit Heike Hanagarth eine Person zum neuen Technikvorstand, die bislang nur Erfahrungen bei der Daimler AG (Nutzfahrzeugmotoren-Bau), Tognum AG (Flug- zeugtriebwerke und Schiffsmotoren) und BMW AG (Pkw-Motoren) aufzuwei- sen hat. Es sei vor allem ihr Daimler-Hintergrund gewesen, der „Grube, immer- hin lange Zeit Mitglied im Daimler-Vorstand, für sie eingenommen“ habe – so das interessante Urteil in „DIE ZEIT“ (vom 28. Juli 2013).
Die miserable Performance der Deutschen Bahn AG (DB AG) kann nicht mit knappen Finanzen erklärt werden. Die DB AG konnte ihren Gewinn in den ver- gangenen Jahren kontinuierlich steigern – zuletzt, im Geschäftsjahr 2012, auf 2,7 Mrd. Euro. Die Gewinne der DB AG werden in einem erheblichen Umfang im Ausland investiert – vor allem zum Aufkauf anderer Unternehmen (beispiels- weise wurde 2010 in Großbritannien der Bus- und Bahnbetreiber Arriva für 2,7 Mrd. Euro aufgekauft). Die Auslandsengagements können kaum damit gerechtfertigt werden, dass hier besonders hohe Gewinne generiert würden. Laut Geschäftsbericht der DB AG gab es 2012 im Bereich „Beteiligungen“ einen Verlust von 615 Mio. Euro; der Gewinn bei Schenker Logistics betrug 381 Mio. Euro was nur 2,5 Prozent des Gesamtumsatzes entspricht und damit eine niedrige Umsatzrendite ist. Die großen Gewinne realisiert die Deutsche Bahn AG im Inland und dort, wo besonders hohe staatliche Unterstützungszah- lungen fließen – im Nahverkehr (2012 = 832 Mio. Euro Gewinn = 8,4 Prozent des Umsatzes), im Bereich Personenbahnhöfe (2012 = 169 Mio. Euro Gewinn = 13,2 Prozent des Umsatzes) und nicht zuletzt im Bereich Netz (2012 = 453 Mio. Euro Gewinn = 8,9 Prozent des Umsatzes – Angaben nach: Geschäftsbericht Deutsche Bahn AG 2012, S. 180 und S. 65). Die in absoluten Zahlen zweit- höchsten Gewinne und die zweithöchste Umsatzrendite im Bereich Netz ist natürlich, insbesondere vor dem Hintergrund der Stellwerkemisere, besonders interessant: Es gibt in diesem Sektor eine systematische Unterinvestition, die in hohen Gewinnen mündet, welche wiederum an die Holding abgeführt werden und für Investitionen z. B. in den Vereinigten Arabischen Emiraten ausgegeben werden (siehe „Verstärktes Engagement der Deutschen Bahn AG in den Ver- einigten Arabischen Emiraten“: www.db-international.de).
Damit gilt offensichtlich die Formel: Die großen Gewinne der DB AG werden durch Steuersubventionen „erwirtschaftet“; diese Gewinne werden in großem Umfang im Ausland investiert, wo die Gewinnerwartungen unterdurchschnitt- lich sind (siehe Geschäftsbericht der DB AG 2012, S. 88, 93, 180/181).


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