Weniger Ressourcen verbrauchen bei gleichem Wohlstand?

Nach 15 Monaten hat die Projektgruppe "Wachstum, Ressourcenverbrauch und technologischer Fortschritt – Möglichkeiten und Grenzen der Entkopplung" jetzt ihre ersten Ergebnisse vorgestellt. Am 10. Mai fand hierzu eine Plenardebatte statt. Ulla Lötzer, Obfrau für DIE LINKE in der Enquete, und Professor Ulrich Brand, Sachverständiger aus Wien, geben im Interview Antworten auf diese wichtige Zukunftsfrage.

Wie  lief die Zusammenarbeit in der Enquete?
Ulla Lötzer: Die Zusammenarbeit über Fraktionen und Fachdisziplinen hinweg war von einem echten Erkenntnisinteresse geprägt. Für uns als Linke ging es dabei um drei Dinge: Erstens von Beginn an darauf zu achten, dass eine Auseinandersetzung mit der aktuellen Rohstoffpolitik der Bundesregierung und der EU stattfindet, die einseitig auf den freien Marktzugang gerichtet ist. Zweitens um die katastrophalen Arbeits- und Umweltbedingungen beim Abbau dieser Rohstoffe in den Ländern des globalen Südens. Drittens sind wir mit einer klaren Umbauperspektive in die Projektgruppe gegangen, d.h. wir wollen die kurzfristige Profitorientierung der Industrieunternehmen zurückdrängen und klare ökologische Grenzwerte setzen. Mit dieser Orientierung eckten wir natürlich häufig an bei Vertretern einer marktradikalen Position. Aber am Ende war das Problembewusstsein so groß, dass wir zu vernünftigen Ergebnissen in der Analyse gekommen sind. Die politischen Schlussfolgerungen zu ziehen, steht ja noch aus.

Was waren wichtige wissenschaftliche Ergebnisse?

Ulrich Brand: Es wurde von der verbreiteten Unterscheidung zwischen absoluter und relativer Entkopplung Abstand genommen. Relative Entkopplung besagt, dass für einzelne Produkte oder in Geld gemessene Einheiten des Bruttosozialprodukts weniger Ressourcen, Energie oder Senken genutzt werden. Der Ressourcenverbrauch steigt dann nur nicht ganz so schnell wie das Bruttoinlandsprodukt. Es reicht aber nicht Autos zu produzieren, die weniger Sprit brauchen, wenn dann  mehr Kilometer gefahren werden. Deshalb brauchen muss Entkopplung die absolute Reduktion des Ressourcenverbrauchs bedeuten: Das betrifft Öl, Eisenerze, aber auch die Nutzung von ökosystemaren Dienstleistungen und der sog. Senken wie der Ozeane oder der Atmosphäre.

Geht es dann aber nicht auch um ein neues Verständnis von Wohlstand, um eine andere Lebensweise?

Ulrich Brand: Ich kann noch nicht erkennen, dass die anderen Parteien wirklich bereit sind soweit zu gehen, aber wir bemühen uns um einen neuen und umfassenden Wohlstandsbegriff. Der Blick verengt sich aber immer wieder auf die in Geld bewerteten Güter und Dienstleistungen, deren Produktion effizienter stattfinden soll also auf das BIP. Andere, nicht-kapitalistischen Produktions- und Lebensweisen bergen aber ein großes Potenzial für geringeren Ressourcenverbrauch. Denken wir nur daran, was passiert, wenn Menschen massenhaft Fahrrad fahren, weil sie es gerne tun, es die Infrastruktur gibt und es sicher ist. Oder wenn Menschen weniger lohnarbeiten wollen mit anderen, für sie attraktiveren Arbeitszeitmodellen. Das verringert das Wachstum, hat aber viel mit Wohlstand und Entkopplung zu tun. Und auch innerhalb des Spektrums der Linken ist ja einige Überzeugungsarbeit zu leisten.

Ein strittiges Thema war, ob der Klimawandel die wichtigste Herausforderung ist oder die Knappheit von Energierohstoffen nicht genau so viel Aufmerksamkeit braucht.

Ulla Lötzer: Die Marktgläubigen und Wachstumsoptimisten meinen ja, dass ‚wir‘ eh genügend Rohstoffe auf der Welt haben und steigende Preise schon die richtigen technologischen Lösungen hervorzaubern würden und so Umweltrisiken von der unsichtbaren Hand  begrenzt werden könnten.  Nur beim Klimawandel sehen sie politischen Handlungsbedarf und setzen alles auf die eine Karte: Einen globalen Vertrag über verbindliche Reduktionsziele beim CO2-Ausstoß. Nationale Maßnahmen, wie zum Beispiel das EEG, die den Ausstieg aus der fossil-atomaren Produktionsweise anpacken, lehnen sie als wettbewerbsschädlich ab.

Was ist denn nun die Antwort der Projektgruppe?

Ulla Lötzer: Konsens in der Projektgruppe war es nach langen Auseinandersetzungen, dass weder der Markt noch die Politik automatisch mit Reduktion reagieren, wenn Ressourcen knapp oder teuer werden.  Denn geologisch gibt es einfach immer noch zu viel Kohle in der Erde, zu viel Öl in der Tiefsee und zu viel Teersande und Schiefergas. Wenn jetzt der Ölpreis steigt, führt das nicht automatisch zu einem geringeren Verbrauch oder gar zu einem Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs, sondern dazu, dass in der Tiefsee gebohrt wird, dass "gefrackt" wird und diese neuen Vorkommen unter Inkaufnahme hoher Umweltrisiken gefördert werden. Etwas populistisch ausgedrückt: Die Lebensverhältnisse der lokalen Bevölkerung, der Regenwald, aber auch die Arktis werden unserem unersättlichen Rohstoffhunger geopfert. Will man diese Konflikte vermeiden und nicht einfach auf Kosten des Südens leben, dann sieht man sehr schnell wie knapp die Rohstoffe auf dieser Welt sind und dass wir politisch handeln müssen.

Verlaufen diese Differenzen immer entlang der Linie Regierung – Opposition?

Ulrich Brand: Es wiederholte sich eine Konstellation, die sich durch die Enquete-Arbeit zieht. Die FDP hat ja ‚Wachstum über alles‘ zu ihrem Wahlkampfslogan gemacht hat und blockt jede kritische Perspektive auf ihre auf voller Linie gescheiterte Wirtschaftspolitik ab. Es gibt aber gerade bei den Konservativen Abgeordnete und Sachverständige, die die ökologischen Grenzen  unseres Wirtschaftsmodells anerkennen und wissen, dass Wachstum weder mit positiver Entwicklung, noch mit mehr Wohlstand gleichzusetzen ist. Eine starke Perspektive ist jene der ökologischen Modernisierung, die davon ausgeht, dass mit dem bestehenden politischen Institutionensystem und entsprechenden technologischen und sozialen Innovationen grundlegende Veränderungen erreicht werden können. Die Produktions- und Lebensweise wird dort aber nicht infrage gestellt. Ich bezeichne die Position als tendenziell unaufrichtig: Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass. Interessanterweise werden naive Green Economy Phantasien von allen zurückgewiesen. Das ist schon ein schöner Erfolg für uns.

Was bedeutet das für den Endspurt in der Kommissionsarbeit?

Ulla Lötzer: Die Bundestagsdebatte am Donnerstag hat ja gezeigt, wo die Differenzen liegen: Der CSU-Abgeordnete Nüsslein meint die soziale Marktwirtschaft wäre schon die beste aller Antworten auf die ökologischen Krise und die Finanzkrise. Der Staat hat nur noch die Aufgabe, dass sich Unternehmertum und private Initiative entfalten können. Die FDP will, dass die Menschheit  durch Fortschrittswillen und Kreativität weiter über sich hinauswächst. Wir als Linke werden weiter für eine wachstumsrealistische Position kämpfen, die klar macht, dass wir den Sozialstaat endlich krisenfest machen müssen, das heißt uns durchaus auf sinkende Wachstumsraten einstellen müssen und diese wahrscheinlich auch ökologisch geboten sind. Wir wollen Wohlstand neu definieren und Fragen stellen nach der Qualität der Arbeit, der Arbeitszeit, der Konsumentensouveränität und neuer Produkte und Produktionsweisen.