Merkels vertane Chance

„Frau Merkel konnte den Vorwurf der Lüge nicht entkräften“, so Dorothée Menzner, Obfrau der LINKEN im Anschluss an die Vernehmung der heutigen Bundeskanzlerin und ehemaligen Bundesumweltministerin vor dem Gorleben-Untersuchungsausschuss. Die Opposition wirft Angela Merkel vor, 1995 geologische Studien der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) der Öffentlichkeit verfälscht  präsentiert zu haben. Halb ironisch gestand Merkel einzig ein, sie sei damals eben sprachlich noch nicht so perfekt gewesen wie heute. Das ist als Entschuldigung für eine Manipulation aus politischen Gründen etwas dünn.

Angela Merkel hatte am 28.08.1995 in einer Pressemitteilung erklärt: „Die Untersuchungs­ergebnisse der BGR zeigen für mich, dass es keinen Grund gibt, nach Ersatz­standorten zu suchen, Gorleben bleibt erste Wahl.“ Dabei war Gorleben in den besagten Studien gar nicht untersucht worden und die Verfasser der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) hatten im Vorfeld vor Vergleichen gewarnt. Die Presseberichte nach der Vorstellung der Studien durch Merkel spiegeln indes genau diesen falschen Zusammenhang wider. Damit hat Merkel mit ihrer Autorität als Umweltministerin und Naturwissenschaftlerin die Öffentlichkeit in die Irre geführt, um eine Suche nach zusätzlichen und vergleichbaren Standorten zu verhindern und an Gorleben auf Gedeih und Verderb festzuhalten.

 

Dass diese Pressemitteilung kein einmaliges Versehen war, sondern Teil einer „Presse-Offensiv-Strategie“ ist einer Ministervorlage aus dem Bundesumweltministerium zu entnehmen, die zwei Monate vorher entstanden war und die Merkel auch abgezeichnet hatte. Bereits am 18.07.1995 hatte diese Vorgehensweise des BMU für Widerspruch bei der BGR gesorgt und „Irritationen“ ausgelöst, als Merkel erklärt hatte: „Das Wichtigste aus diesem Gutachten ist aber, dass es keinen Standort in der Bundesrepublik Deutschland gibt, der besser geeignet ist als der derzeitige Standort Gorleben, und dass deshalb dieses Gutachten aus geologischer Sicht zu der Meinung kommt, dass man Gorleben weiter erkunden sollte, aber jetzt keine Erkundung von neuen Lagerstätten vornehmen sollte…“

Es ist schon erstaunlich, zu so einem Schluss zu kommen, obwohl Gorleben nicht Teil der Studien war. Gorleben sollte unbedingt schadlos gehalten werden. Dabei sind Geologen, die später die Kriterien der Studie auf Gorleben angewandt haben, sogar zu dem Ergebnis gekommen, Gorleben wäre aus der Liste der Besten sogar herausgefallen.

Dazu Dorothée Menzner: „Es ist schon etwas erschreckend, dass Frau Merkel auch mit dem Abstand von 17 Jahren nicht eingestehen kann, dass in ihrer Zeit als aus politischen Überlegungen heraus wissenschaftliche Studien in der Öffentlichkeit umgedeutet wurden, um Ruhe im Land zu haben und mit Gorleben weiter eine Entsorgungsoption  zu haben. Das lässt für die Verhandlungen über ein neues Endlagersuchgesetz nicht Gutes erahnen.“

Merkels damalige Lüge ist nur ein Beispiel für die vielen Manipulationen, die in den Entscheidungen zu Gorleben stattgefunden haben. Der Untersuchungsausschuss hat mehrere davon ans Licht gebracht. Doch die Zeugen Ministerialbeamten und Wissenschaftler waren in der Regel nicht bereit, ihre damalige Vorgehensweise in Frage zu stellen. Dabei konnte an mehreren Stellen nachgewiesen werden, dass letztlich der unbedingte Wille zur Kernkraft dafür gesorgt hatte, dass Gorleben über zahlreiche Zweifel hinweg autoritär durchgesetzt wurde. Ohne Gorleben hätte man nämlich früher oder später AKWs vom Netz nehmen müssen. Auch Merkel hat noch weitere zweifelhafte Entscheidungen zu verantworten.

Heute  würde es anstehen, diese Fehler aus 30 Jahren Gorleben-Geschichte einzugestehen und aufzuarbeiten, um einen ehrlichen Neuanfang zu ermöglichen, der die alten Fehler vermeidet. Die Bundeskanzlerin hätte mit gutem Beispiel vorangehen können. Dass sie es nicht tut, führte in der Zeugen-Vernehmung zu einer Art Fortsetzung und Rechtfertigung der damaligen Lüge. Dabei steht das Eingeständnis von früheren Fehlern am Anfang eines Prozesses, bei dem es darum geht, Vertrauen zu gewinnen in die Suche nach einer sicheren Verwahrungsstätte von hochgefährlichem Atommüll.

Dass Frau Merkel diese Chance verspielt ist ein Jammer. Ihr war es wichtiger, persönlich möglichst schadlos aus dieser unangenehmen Befragung hervorzugehen, als ein Zeichen zu setzen, dass solche Fehler in Zukunft nicht mehr möglich sein sollten. Solange die Politiker dieser „Gorleben-Generation“ nicht in der Lage sind, mit ihren Fehlern aus der Vergangenheit ehrlich umzugehen, wird es auch nicht möglich sein, ihnen Vertrauen in das Gelingen eines neuen Verfahrens zu schenken. Die Menschen wollen keine „perfekten“ Politiker, sondern aufrichtige. Aber vielleicht muss diese alte Garde erst einmal abtreten und eine neue Generation muss schließlich die giftigen und unehrlichen Altlasten dieser kernkraftgläubigen Politiker-Generation ausputzen.