Wie bescheuert darf man als Verkehrsminister sein?
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- 1 Februar 2019
"In Bayern war es früher Brauch und üblich, dass jedes Dorf seinen Dorfdeppen hatte. Doch man hat darauf geachtet, dass dieser kein Bürgermeister, Innenminister oder gar Ministerpräsident werden konnte. Aber die Zeiten haben sich halt geändert."
Dies schrieb der bayerische Kabarettist Gerhard Polt vor geraumer Zeit.
Heute würde er wohl den Verkehrsminister dazu zählen. Seit einer gefühlten Ewigkeit ist dieses Ministerium in Hand der CSU. Ramsauer, Dobrinth und jetzt Andreas Scheurer. Und ein jedes Mal dachte man, es kann nicht schlimmer kommen. Doch es kam schlimmer.
Den Vogel schießt Andreas Scheuer ab. Da beruft er eine Expertenkommission zu Klimaschutz im Verkehr, um sie kurz darauf als verrückt zu erklären. Die Kommission hatte u.a. vorgeschlagen, die Höchstgeschwindigkeit auf deutschen Autobahnen auf 130 Kilometer pro Stunde zu begrenzen und die Steuern auf Diesel und Benzin zu erhöhen. Es gehe um eine "Verlagerung auf Bahn, Rad- und Fußverkehr" heißt es in dem Papier der Kommission.
Scheuer ist vergrätzt über diese Vorschläge, die "gegen den gesunden Menschenverstand" gerichtet und "weder sozial noch wirtschaftlich zu verantworten" sind. Und sagt kurzerhand die nächste Sitzung ab. Auf diese Experten kann er verzichten.
Da gefallen ihm die selbsternannten "Experten", die die Feinstaubbelastung durch Dieselautos für relativ harmlos halten, schon besser. Zwar haben von den 3.800 Lungenexperten der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie (DGP) nur 112, also weniger als drei Prozent, unterschrieben. Dafür kennen sich zwei der vier Autoren mit Motoren aus, wie LobbyControlenthüllte. Einer davon ist Thomas Koch vom Karlsruher Institut für Technologie. Zehn Jahre war er bei Daimler in der Motorenentwicklung tätig, mehrere Jahre als deren Leiter.
Aber deren "Expertise" gefällt Scheuer. Und so hat der Bundesverkehrsminister Konsequenzen angekündigt. "Ich werde die Initiative der Ärzte zum Thema im nächsten EU-Verkehrsministerrat machen. … Der Aufruf der Lungenärzte muss dazu führen, dass die Umsetzung der Grenzwerte hinterfragt und gegebenenfalls verändert wird." Die Vorgaben für saubere Luft sind "Willkür", so Scheuer.
Da interessiert ihn auch nicht die offizielle Position der DGP, denn was zählen Fakten, wenn es um die Interessen der Automobilindustrie geht. "Luftschadstoffe gefährden unsere Gesundheit - besonders die von Kindern, älteren Menschen und Erkrankten. … Negative Gesundheitseffekte treten auch unterhalb der derzeit in Deutschland gültigen europäischen Grenzwerte auf", teilte der Verband im November 2018 in einer Studie mit und schlussfolgert, dass "eine Absenkung der gesetzlichen Grenzwerte erforderlich" sei. Aber nach Scheuer fehlt es auch diesen Experten wohl am "gesunden Menschenverstand".
Doch als Erstes muss "die masochistische Debatte beendet werden, wie wir uns in Deutschland mit immer schärferen Grenzwerten selbst schaden und belasten können", sagt der aus dem bayerischen Passau kommende Minister. Er will jetzt die Messstellen überprüfen lassen. Man braucht sie ja nur an Stellen positionieren, wo wenig Verkehr ist, und schon werden die Grenzwerte eingehalten, und die in den grünen Randzonen der Großstädte wohnenden SUV-Besitzer*innen können weiterhin mit Tempo 200 auf der Autobahn in die Städte brettern und dort die Luft verpesten. Wer dort wohnt und atmet, ist selbst schuld.
Als Feind der freiheitlichen Raserei hat der Autominister die Deutsche Umwelthilfe ausgemacht. "Es gibt eben Kräfte in diesem Land, die wollen erst den Diesel zerstören und dann den Benziner. Die Deutsche Umwelthilfe und andere verfolgen diese Strategie zum Schaden der Bürger und der Arbeitsplätze." Was Scheuer und CDU/CSU nicht passen ist, dass die Deutsche Umwelthilfe Aufgaben übernimmt, für die eigentlich der Staat zuständig wäre: Sie klagt auf die Einhaltung von Gesetzen, die von der Autoindustrie missachtet werden. Weil sie ein Fahrverbot nach dem anderen erzwingt, wollen Scheuer & Co. die Grenzwerte nach oben setzen und die Deutsche Umwelthilfe finanziell strangulieren.
Dass der Bahnbeauftragte seines Ministeriums, Staatsekretär Enak Ferlemann (CDU), gleichzeitig vorschlägt, dem Ärger der Bahnfahrer*innen über das Chaos bei der Bahn mit höheren Preisen zu begegnen, ist nur ein anderer Hinweis darauf, dass man nicht im Weißen Haus sitzen muss, um sich nicht von Tatsachen irritieren zu lassen.
Und doch ist die Frage, wie bescheuert muss man sein, um Bundesverkehrsminister werden zu können, falsch gestellt. Wie konsequent vertritt ein aus einem bayerischen Dorf bzw. Kleinstadt kommender CSU-Mann die Interessen der Auto- und Ölindustrie - das ist das Kriterium für den Job des Bundesverkehrsministers.
Diese personelle Verflechtung zwischen Politik und den Interessen der Konzerne zur Realisierung der "unmittelbaren, ständigen wirtschaftlichen Tätigkeit des Staates als einer Existenzbedingung der kapitalistischen Akkumulation", wurde früher Stamokap (Staatsmonopolistischer Kapitalismus) genannt. Und ist es wohl auch heute noch. Im Unterschied zum Dorfdeppen von Gerhard Polt, der früher nicht einmal Bürgermeister werden konnte.
Leo Mayer, Redaktion kommunisten.de und Vorstandsmitglied marxistische linke
Foto: Andreas Scheuer als DJ bei der Neueröffnung der Diskothek "Lobo" in Waldkirchen bei Passau: "Keine Politik heute, keine Reden. Heute ist Party".