DIE LINKE war von Anfang an gegen ÖPP im Straßenbau!

autobahn ausfahrt ÖPPAnfang September erhielten viele Abgeordnete von vielen verschiedenen Absendern eine Mail zum Thema ÖPP im Autobahnbau und -betrieb und zur Grundgesetzänderung zur Gründung einer Infrastrukturgesellschaft. Sabine Leidig antwortete ausführlich im Namen der Fraktion. Diese Antwort mit einer Auflistung unserer Aktivitäten gegen ÖPP und Privatisierung im Straßenbau sowie gegen die Infrastrukturgesellschaft veröffentlichen wir hier. Darunter zudem Hinweise auf weitere interessante Artikel. Ganz unten findet sich der Text der Email.

 


Sehr geehrte Frau / geehrter Herr ,

als verkehrspolitische Sprecherin antworte ich Ihnen in Namen der gesamten Linksfraktion im Bundestag.

Sie rennen bei uns mit Ihrem Anliegen offene Türen ein. Denn die Linksfraktion hat von Anfang an die Risiken bei ÖPP-Projekten erkannt und gegen sie gekämpft. Bereits 2012 wurde in einer öffentlichen Anhörung im Verkehrsausschuss deutlich, dass es gerade im Straßenbau völlig unklar ist, wie die angeblichen Effizienzvorteile der Privaten erreicht werden sollen. Uns war klar, dass Investoren-Interessen dahinter standen. Denn die Praxis von Public Private Partnership lautet: Privatisierung der Gewinne - Sozialisierung der Verluste.

Kontinuierlich verfolgten wir den Prozess von immer weiteren ÖPP-Projekten sowie die Gründung einer Bundesfernstraßen- bzw. einer Infrastrukturgesellschaft kritisch weiter und warben in Antragen für unsere Position (siehe dazu die Auflistung am Ende). Zudem beteiligten wir uns mit Gewerkschaften, Umwelt- und Verkehrsverbänden und anderen an Aktionen gegen die Infrastrukturgesellschaft und die damit verbundenen Möglichkeiten, größere Strecken des Autobahnnetzes privaten Betreibern zu überlassen oder auf anderem Wege privates Kapital zu akquirieren.

Die Pleite der Autobahnbetreibergesellschaft ‚A1 Mobil‘ zeigt noch einmal ganz deutlich, was der Kern der Kritik der LINKEN ist: Öffentlich-private-Partnerschaften im Straßenbau sind ein Geschäft für Investoren, die Zeche zahlt am Ende die Allgemeinheit.

Wir fordern das Ende aller Verhandlungen über künftige ÖPP-Projekte im Straßenbau. Bestehende Geheimverträge müssen offengelegt und laufende Projekte abgewickelt werden. Die Änderung von Artikel 90 Grundgesetz muss zurückgenommen werden, um die Gründung der privatrechtlichen Infrastrukturgesellschaft zu verhindern. ÖPP im Straßenbau ist wirksam auszuschließen.

Es ist skandalös, dass verantwortliche Politiker*innen wie die Minister Dobrinth und Schäuble das Geschäftsmodell ÖPP weiterhin propagieren. Es ist schlicht blanker Hohn, dass sowohl das Bundesverkehrsministerium als auch die niedersächsische Regierung wie es scheint seit Jahren über die A1-Mobil-Pleite im Bilde sind und diese vor der Öffentlichkeit geheim hielten – gerade im Angesicht der erst kürzlich im Eiltempo durchgedrückten Grundgesetzänderung. Dies zeugt von der Ignoranz der Großen Koalition gegenüber Gemeinwohl und Demokratie.

Schon jetzt wird deutlich, dass sich insbesondere einige SPD-Abgeordnete vor dem Hintergrund der neuen Informationslage in der GG-Abstimmung anders verhalten hätten.

Inzwischen ist eine weitere „Panne“ öffentlich geworden: Toll Collect – selbst ein ÖPP-Projekt (Öffentlich Private Partnerschaft), zu dem die Verträge geheim sind und das erst mit einem Jahr Verzögerung an den Start ging – wurde scheinbar nicht ausreichend angewiesen, wie mit der Mautausweitung umgegangen werden muss. So wurden bei Erfassung nicht zwischen 7,5- und 12-Tonnern unterschieden. Die bestehenden ÖPP-Verträge sichern den Betreibern aber nur die Einnahmen aus der Maut für Lkw ab 12 Tonnen zu. Es wurde den privaten Autobahnbetreibern also zu viel Geld überwiesen. Möglicherweise war diese „Panne“ angesichts der schon bekannten drohenden finanziellen Schieflage der Betreiber bewusst einkalkuliert.

Dies ist damit der vorerst letzte Akt im Lehrstück darin, wie gegen jede Vernunft Politik zugunsten privater Konzerninteressen gemacht wird. Bei Toll Collect, den privaten Autobahnbetreibern wie A1 mobil und der Bundesregierung zeigt sich ein penetrantes Verleugnen und Verschweigen der Risiken. Das Ziel ist klar: Bis zur Änderung des Grundgesetztes mussten alle Risiken verheimlicht werden, damit die dafür nötigen Mehrheiten in Bundestag und Bundesrat zustande kommen.

Eine erneute GG-Änderung ginge nur mit den Stimmen der Union und ist daher sehr unwahrscheinlich. Denn mit ÖPP-Projekten geht es munter weiter: am 12.9. war gerade der Spatenstichs zum neuesten ÖPP-Autobahnabschnitt auf der A7. Es ist daher zu befürchten, dass nun immer mehr privates Kapital in den Straßenbau investiert und wir in fünf bis zehn Jahren immer weitere Pleiten und Pannen erleben, die dann auf Kosten des Steuerzahlers gehen. Zudem wird der Gestaltungsspielraum der Politik massiv eingeschränkt und die Demokratie ausgehebelt.

DIE LINKE tritt dem weiter entschieden entgegen! Denn zu spät ist es nicht: Mit öffentlichem Druck kann die neue Bundesregierung bewegt werden, weitere ÖPP-Projekte auf Eis zu legen. Deshalb bedanke ich mich ausdrücklich bei Ihnen für Ihr Engagement zu diesem doch recht komplexen Thema.

Wir werden weiterhin alles tun, um die Infrastrukturgesellschaft in dieser Form sowie weitere ÖPP-Projekte des Bundes zu verhindern. Ein gutes Wahlergebnis stärkt uns dabei natürlich den Rücken.

Mit herzlichen Grüßen und allen guten Wünschen
Sabine Leidig



Eine Auswahl an Positionierungen, Anträgen und anderen Aktivitäten der Fraktion DIE LINKE im Bundestag zum Thema ÖPP, Privatisierung im Straßenbau und Infrastrukturgesellschaft:

  • August 2010: Kritik an Privatisierung im Straßenbau (Bericht/Analyse).
  • Mai 2011: Die Linksfraktion im Bundestag bringt den Antrag „Rekommunalisierung beschleunigen – Öffentlich-Private Partnerschaften stoppen“ (Drs. 17/5776) in den Bundestag ein.
  • Oktober 2012 verabschiedet die Linksfraktion das Positionspapier „PPP auf allen Ebenen stoppen!
  • Oktober 2012: Öffentliche Anhörung im Verkehrsausschuss zum Thema ÖPP im Straßenbau (unsere Schlüsse daraus im Beitrag hier).
  • September 2013: Kleine Anfrage "Beziehungen der Automobil-, Luftfahrt- und Bauindustrie zur Bundesregierung" (Drs. 17/14698; Artikel dazu hier).
  • August 2014: Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel setzt eine Expertenkommission zum Thema "Stärkung von Investitionen in Deutschland" ein. Wir kritisieren das Vorhaben und das Ziel dahinter. Denn es geht um die Frage, wie die Finanzwirtschaft zu verstärkten Investitionen in die öffentliche Infrastruktur zu bewegen ist, frei nach dem Motto: "Was wollt ihr noch haben, damit ihr unser Tafelsilber nehmt?" (Bericht dazu)
  • September 2015: Die Bundesregierung plant die Bundesfernstraßengesellschaft und auf meine Einladung treffen sich über 40 VertreterInnen aus Gewerkschaften, Straßenbau-Betrieben, Bürgerinitiativen sowie PrivatisierungsgegnerInnen und Landtagsabgeordnete der LINKEN. Für uns ist klar: Dem Verkehrssektor droht eine gravierende Strukturveränderung zulasten ökologischer Verkehrsträger. Neubau,  Ausbau und Betrieb von Bundesfernstraßen sollen zentralisiert, ins Privatrecht ausgelagert und dann privatisiert werden. Autobahnneubau bekommt eine Renaissance. Für die Verkehrswende bleibt kein Geld mehr übrig. (Bericht dazu)
  • Im November 2015 bringt die Linksfraktion dazu einen Antrag in den Bundestag ein: „Planungen für die Gründung einer Bundesfernstraßengesellschaft sofort einstellen“ (Drs.  18/6547). Die Bundesregierung wird aufgefordert, alle Aktivitäten zur Gründung einer Gesellschaft für Autobahnen sofort einzustellen und sich stattdessen mit den Ländern auf eine Reform der Auftragsverwaltung Straße zu verständigen.
  • April 2016: Der Verkehrsausschuss führt auf Antrag der Linksfraktion eine öffentliche Anhörung zur geplanten Bundesfernstraßengesellschaft durch.
  • August 2016: In einer Kleinen Anfrage fragen wir die Bundesregierung, wieweit die konkreten Überlegungen auf Bund- und Länderseite zur Bundesfernstraßengesellschaft gediehen sind. Das Thema geht als Verhandlungsmasse in die Verhandlungen über die Bund-Länder-Finanzbeziehungen ein und wird dort hinter verschlossenen Türen sehr diskret verhandelt. (Antwort auf Drs. 18/9592)
  • Februar 2017: Die Linksfraktion bringt einen neuen Antrag ein: „Autobahnprivatisierungen im Grundgesetz ausschließen“ (Drs. 18/11165): Privatisierungen der Autobahn sollen in allen Varianten (also auch z.B. Netz-ÖPPs wie in Frankreich, mittelbare Beteiligungen usw.) gesetzlich ausgeschlossen werden. Der Entwurf der Bundesregierung leistet dies nicht. Bei Privatisierungen droht für die NutzerInnen zur Erfüllung der privaten Renditeerwartung eine Ausweitung der Mautpflicht/Mauthöhe mit entsprechenden sozialen Auswirkung. Sinnvolle Ökologische Lenkungswirkungen sind indes nicht zu erwarten.
  • März 2017: Die Linksfraktion stellt eine erneute Kleine Anfrage zur „geplanten Infrastrukturgesellschaft des Bundes“ (Antwort auf Drs. 18/12244).
  • bis Juni 2017: Die Abstimmungen zur Grundgesetzänderung, die die Schaffung einer Infrastrukturgesellschaft beinhaltete, begleiteten wir mit vielen Aktionen (unter anderem mit dem Bündnis „Keine Fernstraßengesellschaft“ und engagierten Reden (insbesondere die von Sahra Wagenknecht in einem Videoclip und am 1. Juni im Bundestag).
  • 23. August 2017: Sabine Leidig kommentiert die A1-Mobil-Pleite in einer Pressemitteilung. Sie verlangt Aufklärung von der Bundesregierung und ein Moratorium für alle ÖPP-Autobahn-Projekte. Fernstraßen dürfen nicht nach Gewinnmaximierung gebaut werden, denn sie gehören zur öffentlichen Daseinsvorsorge. (ganze Pressemitteilung)
  • 5. September 2017: Sabine Leidig fordert in einer Pressemitteilung die Rücknahme der Änderung von Artikel 90 des Grundgesetzes. Stattdessen gehöre eine ÖPP-Sperre ins Grundgesetz. (ganze Pressemitteilung)

 


Zum Theme zu empfehlen ist auch

Werner Rügemer in verdi pubik: "Öffentlich-Private-Partner­schaften auf ganzer Linie gescheitert"

Die umfangreiche Arbeit zum Thema von Gemeingut in BürgerInnenhand

Kabarett-Sendung Die Anstalt vom 4. April 2017

verdi: "Auf ganzer Linie gescheitert. Deutschland braucht eine neue Finanz- und Steuerpolitik"


 

-----Ursprüngliche Nachricht-----
Von:
Gesendet: Freitag, 1. September 2017 13:32
An:
Betreff: ÖPP - Redlicher Umgang mit dem Eigentum der Steuerzahler?
Wichtigkeit: Hoch

 

Sehr geehrte Frau Abgeordnete ….
Sehr geehrter Herr Abgeordneter …

wie vor wenigen Tagen bekannt wurde und überall der aktuellen Presse zu entnehmen ist, steht bei den privaten Betreibern, die in öffentlich-privater Partnerschaft (ÖPP) das Autobahn-Teilstück der A1 zwischen Hamburg und Bremen (Länge 72,5 km) ausgebaut haben, der Konkurs bevor. Das private Konsortium A 1 mobil klagt gegen die Bundesrepublik Deutschland mit Nachforderungen von über 800 Millionen Euro.

Bisher wurde genau dieses ÖPP-Projekt gern als Vorzeige-Pilotprojekt dargestellt, mit dem von Regierungsseite auf die angebliche Effizienz öffentlich-privater Partnerschaften hingewiesen wurde.

Wider besseres Wissen, wie sich erst jetzt auch für die Öffentlichkeit herausstellt, denn die Schwierigkeiten beim Konsortium A 1 mobil sind keineswegs neu: Sie bestehen seit mindestens 2009, sie waren der seit 2013 amtierenden Bundesregierung von Anfang an bekannt. Seit 2013 hat das Bundesverkehrsministerium  bereits zwei Schlichtungsprozesse vor einem nicht-öffentlichen Schiedsgericht geführt: „Alexander Dobrindt weiß seit vier Jahren davon, dass das Konsortium A 1 mobil am Rand der Pleite steht“, schreibt die Berliner Zeitung vom 28.8.2017.

Dieses Wissen hat der Verkehrsminister nicht nur der allgemeinen Öffentlichkeit verschwiegen, er hat es offenbar auch den Abgeordneten des Deutschen Bundestages vorenthalten. Anders kann man sich das Abstimmungsverhalten kaum erklären, mit der am 1. Juni 2017 eine Mehrheit der Änderung  von Art. 90 des Grundgesetzes zugestimmt hat, mit der ÖPP-Projekte nun sogar Eingang ins Grundgesetz gefunden haben: Es dürfen ja jetzt laut Grundgesetz Autobahnstrecken bis zu 100 km in öffentlich-privater Partnerschaft gebaut und betrieben werden.

Bei der Zustimmung zu dieser Grundgesetzänderung und den weiteren Gesetzesvorlagen am 1.6.2017 wurde offenkundig der Bundesregierung bzw. dem Verkehrsminister vertraut, der ÖPP trotz gegenteiligen Wissens stets weiter als effizient und kostensparend angepriesen hat. Sie haben ihm mehr vertraut als der informierten Öffentlichkeit, die immer wieder vor diesem für das Gemeinwohl stets schädlichen Geschäftsmodell gewarnt hat.

Er hat Ihnen dabei aber wesentliche Informationen vorenthalten und Sachverhalte unzulässig geschönt. Die Bundesregierung hat Sie als MdB einfach nicht redlich informiert!

Die neue Infrastrukturgesellschaft ist so angelegt, dass für beliebig viele Autobahnteilstücke von 100 km Länge gigantische Mehrkosten für die öffentliche Hand, also für die Bevölkerung insgesamt, vorprogrammiert sind! Denn entgegen Regierungsbehauptungen erzeugen ÖPP-Projekte ausnahmslos gewaltige Mehrkosten, die bei der geplanten Maut schnell eingepreist werden.

Ich fordere Sie als Mitglied des Bundestages auf:

Verlangen Sie die Wiederholung der Abstimmung vom 1.6.2017 im Deutschen Bundestag!
Denn welche Gültigkeit hat eine Grundgesetzänderung, bei der relevante Informationen vor der Abstimmung geheimgehalten worden waren?

Verlangen Sie von der Bundesregierung vollständige Offenlegung aller einschlägigen Informationen zu den vier in Schieflage geratenen Autobahn-ÖPP-Projekten

 

Mit freundlichen Grüßen