Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit in Städten

Regierungsfraktionen haben Ende Juni 2012 eine Aktuelle Stunde im Bundestag zu Tempo 30 in den Städten beantragt.  Der verkehrspolitischen Sprecher der SPD, Sören Bartol, hatte zuvor die Einführung von Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit gefordert, doch seine eigene Parteispitze fiel ihm jetzt in den Rücken und hat die Forderung jetzt gleich wieder kassiert. DIE LINKE. unterstützt diese Forderung ausdrücklich und sieht sich dabei in guter Gesellschaft.  Nach einer Studie des Umweltbundesamtes sprechen sich mit 58% deutlich mehr als die Hälfte der Bundesbevölkerung dafür aus. Neben Fachverbänden wie dem Verkehrsclub Deutschland, Fuß e.V. dem Allgemeinen Deutschen Fahrradclub ADFC, Umweltverbänden und Unfallforschern spricht sich auch das Europäische Parlament für Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit aus. Im Übrigen auch der wissenschaftliche Beirat des Bundesverkehrsministeriums.

Doch Verkehrsminister Ramsauer sieht sich da weiter als einfacher Erfüllungsgehilfe des ADAC und verkündet, solange er Verkehrsminister sei, wird es kein generelles Tempolimit geben. Man fragt sich, wozu sich das Verkehrsministeriums eigentlich einen wissenschaftlichen Beirat hält, wenn es seine Empfehlungen dann doch ignoriert.
Herr Ramsauer könnte, wenn er schon die Empfehlungen der Wissenschaft ignorieren, sich wenigstens an seinen eigenen Parteigenossen und CSU Vorgänger orientieren. Der Vorschlag „Tempo 30“ stammt nämlich von einer Kommission zur Verkehrssicherheit unter Vorsitz des ehemaligen Innenministers Hermann Höcherl (CSU) der 1982 zu einem Großversuch und anschließender Einführung von Tempo 30 Zonen führte. Heute ist Tempo 30 z.B. auch in Ihrer Bayrischen Landeshauptstadt München auf 80% des Straßennetzes die Regel. Da ist es doch absurd, die Ausnahme als Regel zu halten!
Um mal eines klar zu stellen: Das heißt doch nicht, dass künftig überall innerorts nur noch 30 km/h gefahren werden darf, es heißt nur, dass es zur Regelgeschwindigkeit wird. Damit sind Tempo 50 Zonen auch weiter überall möglich, wo Vorfahrtsstraßen eine wichtige Verbindungsfunktion haben, die Verkehrssicherheit und ausreichend Lärmschutz gewährleistet ist und es entsprechend beschildert ist. Es führt lediglich zu einer Umkehrung der Beweislast. 30 km/h wird Standard, 50 km/h die Ausnahme. So, wie es jetzt schon bereits der Lebensrealität entspricht. 
Bei uns in Berlin sind gilt es schon heute auf über 70% des Straßennetzes. Der Verwaltungsaufwand durch diese ständigen Einzelfallregelungen ist extrem hoch. Dazu ein anderes Beispiel: Allein in Hamburg gibt es mehr als 700 Tempo 30 Zonen.  Jede Zone benötigt mindestens vier Schilder, eher mehr, dass macht über 3.000 Verkehrsschilder, die künftig überflüssig werden. Die oftmals kritisierte Schilderflut wird damit ebenfalls erheblich reduziert. Vieles wird einfacher, sinnvoller und effizienter!
Jetzt wird von den Gegnern von Tempo 30 damit gedroht, es würde zu längeren Fahrzeiten und zu Staus führen. CDU Generalsekretär Gröhe tönt sogar, damit stünde ganz Deutschland auf der Bremse, doch momentan erleben wir doch einen ständigen Wechsel der Geschwindigkeiten, das ewige Gebremse mit anschließender Beschleunigung, der führt zu  dem stockendem Verkehr und verhindert einen gleichmäßigen Verkehrsfluss. Tempo 30 erhöht hingegen den Verkehrsfluss und vereinfacht auch die Ampelschaltungen. Ganz abgesehen davon, dass sich die Straßen von Fußgängern sicherer queren lassen. Auch das Verhältnis zu Radfahrern dürfte sich damit deutlich entspannen. 
Wer jetzt „freie Fahrt für freie Bürger“ fordert, der hat nichts verstanden! Die theoretisch zulässige Höchstgeschwindigkeit sagt überhaupt nichts darüber aus, mit welcher Geschwindigkeit wir tatsächlich im Straßenverkehr vorankommen. Die durchschnittliche Geschwindigkeit ist wesentlich geringer. So bewegt sich ein Autofahrer in München durchschnittlich mit 32km/h, in Berlin sogar nur mit 19 km/h.  Dort auf Tempo 50 als Regelfall zu bestehen, wäre absurd! 
 Es gibt einen weiteren Grund, der für Tempo 30 spricht: Es führt zu einer deutlichen Erhöhung der Verkehrssicherheit: Alle Untersuchungen zu Tempo 30 Zonen in diversen Städten belegen, dass die Unfallzahlen dort um durchschnittlich um 40% und die Unfalltoten und Schwerverletzten um über 60% zurückgegangen sind. Das ist auch kein Wunder, denn bei einem Fußgängerunfall und einem PKW in einer Tempo 50 Zone endet es zu 80% tödlich, bei Tempo 30 nur zu 10%. Das wird schon allein am Bremsweg deutlich: Mit einer Geschwindigkeit von 30km/h stoppt das Auto nach 13 Metern, das Unfallrisiko ist gering. Bei Tempo 50 ist es mehr als doppelt so lang. Es wäre nach 13 Metern noch in voller Fahrt. Im letzten Jahr ist die Zahl der Verkehrstoten wieder angestiegen, die Zahl der Innerorts Verunglückten ist sogar um fast 10% gestiegen, auf knapp eine Viertel Million Menschen, dass sind mehr als 600 Verletzte pro Tag.
Noch ein Vorteil: Es wird auch leiser! Nach Angaben aus dem Bundesverkehrsministeriums fühlen sich rund 60% der Bevölkerung von Straßenverkehrslärm belästigt. Eine Reduzierung der Höchst-geschwindigkeit von 50 auf 30 km/h führt zu einer deutlichen Reduzierung des Verkehrslärms, denn langsamere Autos sind leiser. Es bedeutet etwa eine Reduzierung von 3db(A) was sich so anfühlt, als ob sie die Verkehrsmenge halbieren würde. Tempo 30 hat also nicht nur für den Verkehr, sondern auch für das Wohnen in unseren Städten große Vorteile. Es bedeutet ein Gewinn an Lebensqualität!
Auch der vermeintliche Schulterschluss mit den Kommen, man solle doch sie allein entscheiden lassen, zieht nicht. Die Regelgeschwindigkeit wird in der Straßenverkehrsordnung geregelt und unterliegt Bundesrecht mit wenig kommunalem Spielraum. Dort ist ja auch das Tempo 50 geregelt, mit vielen Einschränkungen, die erfüllt sein müssen, damit Tempo 30 überhaupt gewährt werden darf. Wer daher so tut, als soll damit die kommunale Entscheidungshoheit gewahrt bleiben, führt in die Irre.  Wer die Kommunen wirklich unterstützen will, der sorgt dafür, dass sie auf ihren Straßen nicht mehr hunderte von Ausnahmen beschließen müssen, sondern nur noch die Hauptverkehrs-straßen, auf denen dann Tempo 50 erlaubt werden soll. Wer die Entscheidung über Tempo 30 vollständig an die Kommunen abschieben will, der stiehlt sich das der Verantwortung, wie der VCD sehr treffend moniert. Der VCD appelliert zu Recht an die SPD, keine Angst vor der eigenen Courage zu haben, und bei ihrem Tempo 30 Vorstoß zu bleiben. Dem kann man sich nur anschließen und darauf hoffen, dass sich bei den Sozialdemokraten die Fachpolitiker und nicht die Parteistrategen durchsetzten. Tun wir uns alle einen Gefallen und klammern uns nicht länger daran, die Ausnahme zur Regel zu erklären, sondern drehen wir die Verhältnisse um!

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