"Selbst kochen ist billiger als der Griff ins Kühlregal"


Junge-Welt Interview mit MdB Karin Binder.

Immer wieder finden sich Krankheitserreger oder Gammelfleisch in unseren Lebensmitteln. In einem jetzt veröffentlichten Bericht des Bundesamtes für Verbraucherschutz und Nahrungsmittelsicherheit (BVL) heißt es, dass fast jedes fünfte Lebensmittel mit Keimen belastet ist und bei jeder zehnten Wurst unzulässig Billigfleisch untergemischt war. Ist unser Essen noch sicher?

Leider sind unsere Lebensmittel nicht so sicher, wie sie sein könnten. Die Probleme werden künftig noch zunehmen. Nur noch wenige große Lebensmittelkonzerne beherrschen den deutschen Markt. Sie fordern von den Lieferanten Niedrigstpreise zur Sicherung ihrer Rendite und Marktmacht. W er hier mithalten will, produziert Lebensmittel in Massen und kauft global zusammen, was billig zu kriegen ist. Diese monopolartige Discounterlandschaft bietet den idealen Nährboden für die rasche Ausbreitung von Krankheitskeimen und die flächendeckende Verbreitung gepanschter Fleischwaren. Der Preiskampf wird auf dem Rücken der Beschäftigten ausgetragen und geht zu Lasten der Lebensmittelsicherheit. Mit schlechten Arbeitsbedingungen, Niedriglöhnen, mit ungelernten Aushilfskräften in Werkverträgen oder billigen Leiharbeitern ohne tarifliche Sicherung kann Qualität auf Dauer nicht gewährleistet werden. Gerade in der Lebensmittelherstellung werden gut ausgebildete Fachkräfte benötigt. Die müssen aber auch ordentlich bezahlt und tariflich abgesichert w erden.

 
Der BVL-Bericht zeigt, dass seit Jahren keine Verbesserungen bei der Lebensmittelhygiene zu verzeichnen sind. Was läuft verkehrt?

Die Lebensmittelsicherheit ist auf Eigenkontrollen der Betriebe gegründet. Das ist in etwa so, als ob jeder Autofahrer die TÜV-Prüfung selbst machen würde. Die Ämter überwachen im wesentlichen nur, ob die Unternehmen diese Kontrollen auch richtig durchführen. Unternehmen werben zwar für Qualität und Sicherheit, beispielsweise mit dem »QS-Label«. Doch nicht einmal die amtlichen Überwacher haben freien Zugang zu allen betrieblichen QS-Daten. Im Zweifel tappen die Behörden auf der Suche nach Keimen und Gammelfleisch im Dunkeln. Hinzu kommt: Die behördlichen Lebensmittelkontrollen sind chronisch unterbesetzt. Es fehlen 3.000 Fachleute. Zudem sind in der Regel die notorisch klammen Kommunen und Landkreise für die Überwachung zuständig. Diese sollen dann die Werke von international handelnden Konzerne überwachen. Das kann nicht funktionieren.

 Was sollten misstrauische Kundinnen und Kunden jetzt tun?

Sie sollten den bunten Werbeversprechen der Lebensmittelindustrie nicht blind vertrauen. Lückenlose Qualitätssicherung vom Acker bis zum Teller ist bislang leider ein Märchen. Wie der Pferdefleisch-Skandal von Anfang des Jahres belegt, hatten die großen Handelsketten keine Ahnung, woher das Fleisch in ihrer Lasagne kam. Gerade industrielle Fertigprodukte sind ein zunehmendes Problem. Kritische Verbraucher sollten sich die Transportwege der Lebensmittel anschauen. Das Einkaufen regionaler Produkte stärkt das örtliche Lebensmittelhandwerk und die Bauern in der Umgebung. Auch der eigene Kochlöffel kann helfen. Wer sein Essen selbst zubereitet, weiß, was drin ist. Dabei ist selbst kochen oft auch billiger als der Griff ins Kühlregal des Supermarkts.

 Was muss passieren, um das Vertrauen der Verbraucher zurückzugewinnen?

 Die amtliche Lebensmittelüberwachung muss neu aufgestellt w erden. Die Linke fordert, Personal und Ausstattung deutlich aufzustocken. Es ist Unsinn, Gemeinden und Landkreise für die Überwachung internationaler Lebensmittelkonzerne zuständig zu machen. Diese Verantwortung muss beim Bund liegen. Große Unternehmen müssen strenger überwacht werden und sie müssen die Kosten der Kontrollen tragen. Zudem brauchen wir eine verbindliche Herkunftskennzeichnung für alle Fleischprodukte mit einem lückenlosen Nachweis der Lieferkette. Der aktuelle Gammelfleisch-Skandal in einem Fleischverarbeitungsbetrieb in Bad Bentheim, Niedersachsen, flog wieder erst durch Hinweise von zwei Mitarbeitern auf, die natürlich beide sofort entlassen wurden. Sie haben einen hohen Preis für ihren Mut gezahlt. Wir brauchen endlich ein umfassendes Whistleblowerschutz-Gesetz.

Dieses Interview erschien in der Tageszeitung „Junge Welt“ am 14.11.2013 und ist hier zu finden.