Alter Wein in alten Schläuchen

Zum 20. Jahrestag des Mauerfalls verspricht der Koalitionsvertrag einen "Aufbau Straßen West" - Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer - "ein Mann der Straße". Eine Bewertung der absehbaren Verkehrspolitik der Bundesregierung – Der Koalitionsvertrag der CDU/CSU-FDP-Koalition von Sabine Leidig und Winfried Wolf.

 

Verkehrspolitik spielte auf der Klimakonferenz in Kopenhagen kaum eine Rolle; auch das ist ein Grund, wes wegen von einem "Floppenhagen" gesprochen werden kann. Grundsätzlich gilt aber auch: Wichtige Bereiche der verkehrsbedingten Treibhausgasemissionen wie der Schiffs- und Flugverkehr werden in der bisherigen Klimaschutzpolitik praktisch nicht berücksichtigt. Der Straßenverkehr taucht dort in der Regel nur in der Form auf, wie man diesen immanent optimieren kann. So etwas nennt man heute "green washing".

 

Der Straßenverkehr und dessen – auf EU-Ebene - kaum gemindertes Wachstum wird als eine Art Naturgesetz hingenommen – quasi als Verwirklichung eines Menschenrechts auf Mobilität. Wobei dies bereits mit Blick auf die weltweite Auto-Mobilität grotesk ist: Rund 80 Prozent der weltweiten Pkw-Flotte konzentriert sich auf die Regionen Nordamerika, Japan/Australien und Europa, in denen nur rund ein Fünftel der Menschheit lebt. Würde man die in diesen Ländern mit hoher Pkw-Dichte praktizierte Automobilität verallgemeinern, wäre der Klimakollaps eine Angelegenheit von wenigen Jahren.

 

Das hohe Lied auf umweltschädliche Verkehrsformen – Die völlige Abwesenheit der umweltfreundlichsten Verkehrsarten

 

Die Bundeskanzlerin spricht mit Blick auf Kopenhagen zwar viel von einer "weltweiten Verantwortung". Der verkehrspolitische Teil des Koalitionsvertrags widerspricht allerdings diesem Postulat. In diesem wird kaum verhüllt die Ausweitung des Straßen- und Flugverkehrs propagiert. Überhaupt wirken die acht Seiten im Koalitionsvertrag zum Thema Verkehrspolitik wie ein Bauchladenprogramm zur Ausweitungaller möglichen, die Umwelt, Menschen und das Klima schädigenden Verkehrsarten. Es soll z.B. eine "maßvolle Erhöhung der Lkw-Größen und -gewichte" geben – was ja nichts anderes bedeutet, als dass man sich trotz verbaler Distanzierung vom Gigaliner dennoch in Richtung eines 60-Tonnen-Lkw bewegen will. Auch ist die Rede von der "notwendigen Fahrrinnenanpassung" bei den Häfen – was bedeutet, dass u. a. die Elbe-Flussgeschwindigkeit erhöht wird, dass damit die Dämme und Deiche u. a. in Niedersachsen gefährdet und spätere Überflutungen begünstigt werden.

 

Im Koalitionsvertrag dann auch die Rede von "urbaner Mobilität". Doch damit sind immer motorisierte Verkehrsformen gemeint. Den Mensch ohne motorische Mobilitätskonstruktion gibt es in der schwarz-gelben Verkehrspolitik gar nicht. Nichtmotorisierter Verkehr – also das zu Fuß gehen und mit dem Rad fahren – tauchen schlicht nicht auf.

 
 

Man sollte Herrn Ramsauer bitten, einen Blick in die von seinem Ministerium herausgegebene Schrift "Verkehr in Zahlen" zu werfen. Dort wird auf Seite 220ff der Ausgabe 2008/2009 festgehalten,
• dass 31,6 Prozent aller Wege, die ein Bundesbürger und eine Bundesbürgerin im Jahr zurücklegen – also knapp ein Drittel des "Verkehrsaufkommens" – zu Fuß oder mit dem Fahrrad zurückgelegt werden;
• dass selbst bei den zurückgelegten Kilometern – der "Verkehrsleistung" – immer noch 5,9 Prozent aller von einer Bundesbürgerin bzw. von einem Bundesbürger zurückgelegten Kilometer mit dem Rad oder zu Fuß zurückgelegt werden.

 
 

Doch dazu findet sich kein Wort im Koalitionsvertrag. Im Klartext: Ein knappes Drittel der Wege der Menschen oder sechs Prozent der real existierenden Verkehrsleistungen sind für diese Regierung "Soda-Verkehr", ist real existierende Mobilität, die einfach SO DA ist und um die sich eine schwarz-gelbe Regierungsmann- und frauschaft nicht zu kümmern braucht, weil sie auch hier die realen Lebensverhältnissen der Menschen ignoriert. Durch die einseitige Ausrichtung der Verkehrspolitik auf den Straßen- und Luftverkehr werden die wirklich urbanen, klima- und umweltfreundlichen Verkehre immer weiter eingeengt, bedrängt und gefährdet.

Nun gilt das Bundesverkehrsministerium mit seinen 1600 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern seit Jahrzehnten als eine Trutzburg der Straßenbau- und Autolobby. Nicht zufällig agiert der ehemalige langjährige CDUVerkehrsminister Matthias Wissmann (CDU) seit 2007 als Präsident des Verbandes der Autoindustrie (VDA). Die auf Wissmann in den letzten zehn Jahren folgenden Verkehrsminister Franz Müntefering, Reinhard Klimmt, Kurt Bodewig, Manfred Stolpe und Wolfgang Tiefensee engagierten sich ebenfalls überwiegend für die Straße und – so mit der Bahnprivatisierung – gegen die Schiene. Im Fall des neuen Verkehrsministers scheint es in dieser Hinsicht nochmals eine Steigerung zu geben. Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" überschrieb ihr Ramsauer-Porträt schlicht mit: "Der Mann der Straße" (Ausgabe vom 28. Oktober 2009). Im kleiner Gedruckten heißt es dort u. a.: "Am größten ist die Freude in der Autolobby."

20 Jahre deutsche Einheit – mit einem Straßenaufbauprogramm WEST?

 

Generell wird in den Medien die Entscheidung für Ramsauer als Bundesverkehrsminister so interpretiert, dass die schwarz-gelbe Bundesregierung den Straßenbau massiv vorantreiben werde (bei gleichzeitiger Vernachlässigung des Schienennetzes).Ergänzend gibt es ein mächtiges Rumoren bei der westlich geprägten Autolobby, wonach man nun – nach einer zwei Jahrzehnte währenden – angeblichen - Bevorzugung des Ostens im Straßenbau – im Westteil von "Deutschland einig Autoland" Nachholbedarf habe. Hier deutet sich ein Bündnis zwischen dem neuen baden-württembergischen Ministerpräsidenten Stefan Mappus und dem Bundesverkehrsminister Ramsauer an – und damit eine Straßenallianz zwischen den reichen südlichen Bundesländern Bayern und Baden-Württemberg. Mappus erklärte unverhohlen: "Wir brauchen jetzt ein Straßenbauprogramm West." (Süddeutsche Zeitung vom 30.10.2009). In das gleiche Horn stieß Ramsauer in einem ausführlichen Interview, das er gewissermaßen als seinen programmatischen Beitrag zum 20. Jahrestag des Mauerfalls der "Welt am Sonntag" gab (WamS vom 8.11.2009).

Rufen wir ins Gedächtnis
1980 gab es auf dem Gebiet der beiden deutschen Staaten ein Autobahnnetz mit 9225 km; 2007 waren es 12.600 km. Hier erfolgte bereits rein quantitativ eine Steigerung um 37 Prozent. Seit 1990 wurde das Straßennetz ("Straßen des überörtlichen Verkehrs") im vereinten Deutschland von 225.000 km auf 232.000 km ausgebaut. Das ist eine Steigerung um gut drei Prozent. Das erscheint auf den ersten Blick als ein eher bescheidener Ausbau. Tatsächlich müssen die Qualität und die Ausbaustandards berücksichtigt werden: So gab es insbesondere in den neuen Bundesländern vielfach einen Ausbau bestehender Fernstraßen, die sich in einem schlechten Zustand befanden und die eine stark eingeschränkte Kapazität aufwiesen, zu effizienten Bundesstraßen. Oft wurden bestehende Autobahnen um zwei weitere Fahrbahnen verbreitert. Berücksichtigt man diese Ausbaustandards und nimmt man die "Durchlassfähigkeit" des Fernstraßennetzes als Maßstab, dann liegt der tatsächliche Ausbau der Fernstraßenkapazität bei rund 20 Prozent.

 


Doch wie sieht es im Vergleich dazu bei den Schienenwegen aus? 1990 hatte das vereinte Schienennetz von Bundesbahn und Reichsbahn eine Länge von 41.000 km. Bis zum 1. Januar 1994, dem Beginn der sogenannten Bahnreform (Gründung der Deutschen Bahn AG) blieb die Netzlänge weitgehend konstant. Danach gab es drastische Einschnitte: Bis 2008 wurden fast 8000 Schienenkilometer oder knapp ein Fünftel der Netzlänge abgebaut (2007: 34.000 km). Wenn auch beim Schienennetz die Ausbaustandards berücksichtigt werden – es wurden Tausende Kilometer Neben- und Ausweichgleise abgebaut, es wurden Zehntausende Weichen aus dem Netz genommen – dann liegt der reale Abbau der Schieneninfrastruktur nochmals deutlich höher.1 

 


Die Bürgerinitiativen im Verkehrsbereich kennen eine Lehre. Sie lautet: Wer Straßen sät, wird Straßenverkehr ernten. Wer Schienen herausreißt, wird ein Verkümmern des Schienenverkehrs ernten. Entsprechend entwickelte sich der modal split, die Verkehrsverteilung. Es sind nicht primär menschliche Bedürfnisse und Wünsche, die den verkehrten Verkehr produzieren. Es sind in erster Linie die Infrastrukturvorgaben, die dafür verantwortlich sind. Gerade die Bundesverkehrswegepläne (BVWP), die es ja in Westdeutschland seit den 1970er Jahre gibt und die als Fünf-Jahres- Pläne ausgestaltet sind, sind rigide Planwirtschaft pur – mit Beton ausgegossene Pläne zur Förderung derjenigen Verkehrsarten, die die Umwelt und das Klima am stärksten belasten und die Lebensqualität in den Städten und Siedlungen systematisch abbauen. Oder mit Bertolt Brecht: Die Schwärmerei für die Natur kommt von der Unbewohnbarkeit der Städte.

 


Koalitionsvertrag pro Straßeund gegen die Schiene
"Wie der Herr, so´s Gscherr", sagt man in Süddeutschland. Der schwarz-gelbe Koalitionsvertrag enthält leidenschaftliche Liebeserklärungen an die Adresse der Auto- und Flugzeuglobby. Die logische Ergänzung – eine Abfuhr für den öffentlichen Verkehr im allgemeinen und den Schienenverkehr im besonderen – findet sich dort aus nahe liegenden Gründen nicht explizit; Lippenbekenntnisse pro Schiene machen sich in den Zeiten der Klimadebatte ganz gut. Doch der Koalitionsvertrag ist gespickt mit vergifteten Pillen für den öffentlichen Verkehrssektor respektive für den Schienenverkehr.

 

Verallgemeinernd lässt sich sagen: Die Verkehrsmarktordnung, die ohnehin seit Jahrzehnten, seit dem westdeutschen Verkehrsminister Seebohm in den 1950er Jahren, den Straßenverkehr – und später den Flugverkehr – strukturell begünstigt, wird nochmals verstärkt in diese unökologische und unsoziale Richtung ausgebaut. Straßen sollen, wie erwähnt, neu gebaut beziehungsweise ausgebaut werden. Das soll verstärkt durch eine Privatisierung des Straßenbaus – u. a. mit der Stärkung der VIFG, der Verkehrsinfrastrukturfinanzierungs- Gesellschaft, und in Form von ÖPP-Projekten (öffentlich-privaten-Straßenbauprojekten) erfolgen.2 

 

Das Planungsrecht soll ein weiteres Mal "gestrafft" und damit Straßenbau beschleunigt betrieben werden – mit noch weniger Rücksichtnahmen auf Einsprüche, auf umweltpolitische Bedenken. Bei den "externen Kosten des Verkehrs" – die vor allem im Straßen- und Flugverkehr anfallen – sollen zukünftig ausgerechnet die "Unfallkosten unberücksichtigt" bleiben. Und das, obwohl doch diese gerade im Straßenverkehr eine entscheidende Rolle spielen: Die Gefahr, im Straßenverkehr getötet zu werden, ist im Vergleich zum schienengebundenen Verkehr mindestens zehn Mal größer, die Gefahr, im Kfz-Verkehr verletzt zu werden, rund 30-mal größer als im Schienenverkehr.

 

Der "Schienenbonus" bei Lärmemissionen soll ersatzlos gestrichen werden. Schienenlärm würde entgegen jahrzehntelanger Regel und in Widerspruch zu menschlichen Erfahrungswerten dem Straßenlärm 1:1 gleichgesetzt.3 

 


Die schwarz-gelben Koalitionäre wollen die "Biokraftstoffe" weiter fördern. Im Klartext: Vorangetrieben werden soll der Anbau von Lebensmitteln und deren Verwandlung in Agrosprit für Kfz - anstelle des Anbaus von Lebensmitteln zur Stillung des weltweiten Hungers. Dabei wird bereits bei der Neuerschließung von Flächen (Rodung) meist mehr Treibhausgase freigesetzt als bei der Verbrennung von Öl.

 


Die Koalition lehnt ein "allgemeines Tempolimit auf Autobahnen ab". Sie verteidigt damit den grotesken Sonderweg Westdeutschlands bzw. der Bundesrepublik Deutschlands als dem einzigen Land mit einer hohen Pkw-Dichte, das auf größeren Strecken ihres Autobahnnetzes keinerlei Geschwindigkeitsbeschränkung, sondern gewissermaßen eine nach oben offene Raserskala – übrigens auch für Transporter! Schließlich sollen geltende Regelungen für Nachtflugverbote gelockert werden. Es reicht also nicht aus, dass heute bereits sieben Prozent der bundesdeutschen Bevölkerung – das sind 6,5 Millionen Menschen! – sich "durch
Fluglärm extrem belästigt" fühlen.

 

Nicht zuletzt soll es im Flensburger Punkteregister für Straßenverkehrssünder eine "verhältnismäßigere Regelung" geben. Details dazu sind nicht bekannt. Der Tenor allerdings deutet auch hier auf eine "Entlastung"  für Autofahrer hin. Als ob die Verkehrswirklichkeit nicht dadurch gekennzeichnet wäre, dass Verstöße gegen die Regeln im Straßenverkehr, die schließlich in jedem Jahr die körperliche Unversehrtheit von vielen Zehntausenden Menschen verletzen, unzureichend geahndet und oft sogar als eine Art Kavaliersdelikt hingenommen werden.4 

 


Zangenangriff auf die Flächenbahn
Besonders prekär stellt sich nach den Grundlagen des Koalitionsvertrags die Situation für den Schienenverkehr dar. Mit den verkehrspolitischen Vorgaben im schwarz-gelben Grundlagenvertrag kommt es – ergänzend zur beschriebenen Förderung des Auto- und Flugverkehrs – zu einem Zangenangriff auf den Schienenverkehr durch erstens die beabsichtigte Zulassung von Busfernlinien und zweitens die Bahnprivatisierung, ergänzt um die Forderung nach einer "vollständigen Öffnung der Eisenbahnmärkte".

 

Zur erstgenannten Form des Zangenangriffs:

Das Projekt "Zulassung der Busfernlinien" wurde bisher in der Öffentlichkeit kaum debattiert. Im Koalitionsvertrag findet sich dazu nur der knappe Satz: "Wir werden Busfernlinienverkehr zulassen und dazu §13 PBefG ändern". Der angeführte Paragraphen des Personenbeförderungsgesetzes lautet diesbezüglich:

 
 
 

"Beim (...) Linienverkehr mit Kraftfahrzeugen ist die Genehmigung zu versagen, wenn (...) durch den beantragten Verkehr die öffentlichen Verkehrsinteressen beeinträchtigt werden, insbesondere a) der Verkehr mit den vorhandenen Verkehrsmitteln befriedigend bedient werden kann, b) der beantragte Verkehr ohne eine wesentliche Verbesserung der Verkehrsbedienung Verkehrsaufgaben übernehmen soll, die (...) Eisenbahnen bereits wahrnehmen."5 
Es handelt sich um eine vor Schmutz- und Dumpingkonkurrenz schützende Regelung, wie sie in anderen Bereichen des Verkehrssektors durchaus üblich ist – siehe die Regelungen bei den Zulassungen von Taxen oder im öffentlichen Personennahverkehr (was beides auch im PBefG geregelt wird).

 

Klar ist: Ein flächendeckender Buslinienfernverkehr wird bei der gegebenen Verkehrsmarktordnung so preiswert angeboten werden können, dass der Schienenverkehr auf den meisten Verbindungen chancenlos sein wird. Busse zahlen so gut wie keinen – oder einen völlig unzureichenden – Beitrag zur Finanzierung der Straßenverkehrsinfrastruktur.

 

Mit der Zulassung eines Buslinienfernverkehrs wird mittelfristig die Schiene als Gesamtsystem in Frage gestellt. Das ist keine abstrakte Debatte. Das waren konkret die Erfahrungen in den USA, wo seit den1930er Jahren der Schienenpersonenfernverkehr zunächst vor allem durch den Buslinienfernverkehr der "Greyhound"-Busse zerstört wurde. Das ist die Erfahrung in Argentinien und Mexiko, wo in den letzten zwei Jahrzehnten das nationale Schienennetz durch den Busfernlinienverkehr fast komplett zerstört wurde. Ähnliche Erfahrungen können aktuell in Großbritannien beobachtet werden, wo sich Busfernverkehr und privatisierte Eisenbahngesellschaften – ergänzt um Billigflüge – einen Dumpingwettbewerb liefern, was zu Lasten der gesamten Qualität des öffentlichen Verkehrs, des Fahrkomforts und der Sicherheit geht.

 


Dabei kommt es im übrigen – siehe das Beispiel USA mit der späteren Greyhound-Pleite – keineswegs zu einem Ersatz von Schienenverkehr durch Busse. Die Busse stellen eher ein Zwischenstadium dar. Sie dienen als "Brücke" hin zur weiteren Ausweitung des individuellen Pkw-Verkehrs, des Lkw-Verkehrs und vor allem des intraregionalen Flugverkehrs.

 

Der Zangenangriff wird komplettiert mit der zweiten Angriffsflanke, der beabsichtigten Bahnprivatisierung. Dazu heißt es im Koalitionsvertrag knapp und unzweideutig: "Sobald der Kapitalmarkt es zulässt, werden wir die schrittweise, ertragsoptimierte Privatisierung der Transport- und Logistiksparten" der Deutschen Bahn AG "einleiten".

 

Die Debatte über die Bahnprivatisierung und der Kampf gegen dieselbe wurde bekanntlich über die gesamte vorausgegangene Legislaturperiode hinweg geführt. Das damals ursprünglich propagierte Bahnprivatisierungsmodell war die Teilprivatisierung eines "integrierten" Unternehmens. Als das spätestens mit dem SPD-Parteitag im Oktober 2007 scheiterte, wurde die Privatisierung der Transportsparten vorbereitet. Für diesen Zweck wurde im Frühjahr 2008 unter dem Dach der Holding Deutsche Bahn AG die Subholding "DB ML – Mobility & Logistics" geschaffen. In der DB ML sind der Personennah- und -fernverkehr, der Schienengüterverkehr und das weltweite Logistikgeschäft zusammengefasst. Vorgesehen war zunächst der Verkauf von 24,9 Prozent der DB ML an private Investoren. Das Projekt scheiterte aufgrund des anhaltenden Widerstands, getragen vor allem durch das Bündnis "Bahn für Alle", an dem sich u.a. Attac, BUND, ver.di und die IG Metall beteiligten, wegen der neuen Sicherheitsprobleme mit den ICE-Achsen und schließlich wegen des Ausbruchs der Finanzkrise.

 


Allerdings wurde im Bundestag Ende Mai 2008 mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD eine Art Vorratsbeschluss gefasst, wonach die Bundesregierung faktisch eine solche Teilprivatisierung eigenständig, ohne neue Befassung im Parlament, beschließen kann. Vieles spricht dafür, dass sie einen solchen Beschluss in Form eines Überraschungs-Coups, als Nacht-und-Nebel-Aktion zum Beispiel vor einer Weihnachts-, Oster- oder Sommerpause, fassen wird. (Siehe der Antrag der Bundestagsfraktion der LINKEN auf Seite ...dieses Zirkulars).

 


Hier nur verkürzt drei zentrale Kritikpunkte zu dieser spezifischen Form der Bahnprivatisierung
Erstens: Es geht auch bei diesem Privatisierungsmodell um den Ausverkauf eines gesellschaftlichen Vermögens, das in 175 Jahren Bahngeschichte geschaffen wurde. Die Bundesregierung wird einmalige Einnahmen in Höhe von 5 oder 10 Milliarden Euro verbuchen für Transportgesellschaften, die aus volkswirtschaftlicher Sicht einen vielfach größeren Wert haben. Gleichzeitig wird die öffentliche Hand dann in Zukunft privatisierte Schienenunternehmen subventionieren müssen – u.a. verdeckt durch zu niedrige Trassenpreise für die Nutzung des staatlichen Schienennetzes. Aktuell fließen bereits jährlich rund12-14 Milliarden Euro an Steuergeldern in das System Schiene – also pro Jahr mehr als einmalig an "Gewinn" mit einer Teilprivatisierung erzielt werden könnte.

 


Zweitens: Die Bahnprivatisierung soll mit der Trennung von Netz und Transport (umgangssprachlich: "Netz und Betrieb") in einer Form erfolgen, die nirgendwo auf der Welt funktioniert – bzw. deren Nichtfunktionieren in Großbritannien – mit dem seit 2001 staatlichen Netz und den seit 1996 privatisierten Transportgesellschaften – studiert werden kann. Eine solche Trennung kann – anders als bei Wasserwegen und Straßen – aus Systemgründen nie befriedigend realisiert werden. Oder in den Worten des aktuellen Bahnchefs Rüdiger Grube: "Das Verkehrsmittel Bahn ist so komplex wie kein anderes. Wenn jeder sich isoliert optimiert, schwinden die Synergien. Das Zusammenspiel von Netz und Betrieb ist essentiell für die Sicherheit – und für den Erfolg der ganzen Bahn."6 

 


Drittens: Alle Schubladenpläne zu den unterschiedlichen Bahnprivatisierungsmodellen gehen davon aus, dass eine privatisierte Bahn mit einer weiteren Schrumpfung des Netzes, mit nochmals deutlich höheren Bahnpreisen und mit deutlichen Abstrichen am Fahrkomfort verbunden sein wird. Dies dokumentiert auch die Praxis unterschiedlicher Bahnprivatisierungen. Der Rückzug der Bahn aus der Fläche, insbesondere aus weniger dicht besiedelten Regionen – und damit aus einem großen Teil der neuen Bundesländer – wird sich beschleunigen. Zusammen mit den Folgen der Zulassung des Busfernlinienverkehrs wird der Trend zu einer Schrumpfbahn für reiche Geschäftsreisende zu einer Punkt-zu-Punkt-ICE-Bahn forciert.

 

All das muss zu noch mehr verkehrtem Verkehr und nicht zuletzt zu noch mehr Umwelt- und Klimabelastung durch die Fehlentwicklung im Verkehrssektor führen. Der größte Teil an möglicher Einsparung von Treibhausgasen, die in den Sektoren Energiewirtschaft, Industrie und Haushalte erzielbar sind, würde zunichte gemacht durch zusätzliche Kohlendioxidemissionen eines weiter ansteigenden Straßen- und Flugverkehrs. Dies ist bereits die Bilanz der Periode 1990 bis 2007 – (siehe das Faltblatt DIE LINKE zu Kopenhagen).

 


Im Übrigen gibt es kaum ein anderes Projekt, das die Mehrheit der Bevölkerung derart eindeutig ablehnt, wie die Bahnprivatisierung. In der jüngsten Umfrage von Emnid plädierten 78 Prozent der Bevölkerung für eine Bahn in öffentlichem Eigentum. Dabei wurde explizit auch nach einer möglichen Teilprivatisierung gefragt – was mit einer ähnlich großen Mehrheit abgelehnt wurde.7 

 


Arbeitsplätze werden vor allem mit einem alternativen Verkehrspolitik geschaffen

Der Verkehrsetat ist – es wurde bereits erwähnt – derjenige mit dem höchsten Investitionsanteil. Natürlich verkauft die Bundesregierung ihr verkehrspolitischesProgramm als Beitrag zur Schaffung und Erhaltung von Arbeitsplätzen. Auch hier ist ein Widerspruch erforderlich. Tatsächlich lässt sich belegen, dass Investitionen zur Förderung derjenigen Verkehrsarten, die die Umwelt und das Klima am meisten schädigen, zugleich Investitionen sind, die im Vergleich zur Förderung des nicht motorisierten Verkehrs und des öffentlichen Verkehrs je Einheit des eingesetzten Kapitals deutlich weniger Arbeitsplätze schaffen bzw. erhalten.
Vor wenigen Wochen legte die "Allianz pro Schiene" eine neue Studie vor, die den Rückstand Deutschlands bei den Investitionen in die Schiene dokumentierte. Danach werden in der Schweiz pro Kopf und Jahr 284 Euro, in Österreich 205 Euro und in Deutschland gerade einmal 110 Euro in die Schieneninfrastruktur investiert. Aufgezeigt wird, dass Investitionen in die Schieneninfrastruktur weit mehr als solche in den Straßenbau die Wirtschaft stärken und Arbeitsplätze schaffen.

 

In diesem Zusammenhang wurde die österreichische Kollegin von Herrn Ramsauer, die Infrastrukturministerin Doris Bures, mit den Worten zitiert: "Wir setzen ganz deutliche Akzente beim Ausbau des öffentlichen und umweltfreundlichen Verkehrs und zählen damit mit unseren Anstrengungen zur Verlagerung von Güterverkehr auf die Schiene zu den führenden Nationen in Europa. Damit leisten wir einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz. (...) Es handelt sich vor allem auch um gut investiertes Geld. Denn damit sichern wir heute Arbeitsplätze und legen die Grundlage für (...) die Arbeitsplätze von morgen."8 

 

Die schwarz-gelbe Bundesregierung lehnt diesen Weg einer alternativen Verkehrspolitik ab - und damit den Weg zur Schaffung vieler Hunderttausend neuer, gesellschaftlich sinnvoller und nachhaltiger Arbeitsplätze. Der Weg, den diese Regierung im Verkehrssektor beschreitet bzw. fortsetzt, ist nicht nur umweltpolitisch und hinsichtlich der Klimaentwicklung zerstörerisch. Er ist auch undemokratisch und er muss die soziale Spaltung im Land – nicht zuletzt die Spaltung zwischen Westen und Osten – weiter vertiefen. Dies ist keine rhetorische Behauptung. Dies wird bereits theoretisiert – von einem Institut, das mit Bundesmitteln finanziert wird. Punktgenbau nach der Bundestagswahl, im Oktober 2009, wurde eine Studie des "Innovationszentrums für Mobilität und gesellschaftlichen Wandel (InnoZ)", einer Einrichtung, die über das Wissenschaftszentrum Berlin (WZB) vom Bund wesentlich mit getragen wird – öffentlich vorgestellt. In dieser heißt es mit kaum zu übertreffender Deutlichkeit: "Überalterung und Wanderungsdynamik der Bevölkerung" – gemeint vor allem von Ost nach West – "zwingen nunmehr dazu, das bisherige Modell der Infrastrukturpolitik vom Grundsatz her zu verändern. Der Anspruch auf die Herstellung ´gleichwertiger Lebensverhältnisse` (Artikel 72, 2 GG) ist angesichts der hohen Binnenwanderungen und der künftig drastisch zunehmenden finanziellen Belastungen der öffentlichen Haushalte nicht mehr durch flächendeckenden Infrastrukturausbau zu rechtfertigen. Bei einer Fortsetzung des bestehenden Verteilungsschlüssels können weder die Bedürfnisse in den Wachstumsgebieten" - sprich: z.B. in Ramsauers Bayern oder in Mappes Baden-Württemberg - "erfüllt werden, noch lassen sich in den entstandenen bzw. noch entstehenden Überkapazitäten (!) die in stagnierenden oder schrumpfenden Räumen notwendigen Anpassungen bewerkstelligen. Damit kündigt sich ein tiefgreifender gesellschaftlicher Wandel an..."9 

 

Anmerkungen:

 

 1 Allein im Zeitraum 1994 bis 2006 wurde die Betriebslänge des Netzes um 15,5 Prozent abgebaut, die Länge der Gleise (einschließlich Nebengleise usw.) bereits um 17,7 Prozent gekappt. 44,4 Prozent aller Weichen und Kreuzungen wurden aus dem Schienennetz herausgenommen und 65,7 Prozent aller Privatgleisanschlüsse ("Industriegleise", Gleisanschlüsse für Firmen etc.) abgebaut. Nach einer Expertise von Prof. Karl-Dieter Bodack, Januar 2008. Die grundlegenden Angaben zur Netzlänge ("Length of lines in use") erfolgten nach der offiziellen EU-Statistik EU Energy and Transport in Figures 2008, Tabelle 3.5.3. Angaben zum Straßennetz nach: Verkehr in Zahlen 2008/2009, S. 101.
Die deutsche Verkehrsstatistik führt seit 1990 nicht mehr die Länge der Gemeindestraßen auf, sodass es hier eine gewaltige Lücke gibt. 1990 gab es allein in Westdeutschland ein Netz von 327.000 km Gemeindestraßen. Diese sind im o. g. Straßennetz ("Straßen des überörtlichen Verkehrs") nicht enthalten.
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 2 Die Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaft (VIFG) ist eine GmbH in 100-prozentigem Besitz des Bundes. Sie wurde 2003 gegründet. Ihr Jahresetat von 2,3 Milliarden Euro speist sich weitgehend aus den Lkw-Mauteinnahmen. Ihre offizielle Aufgabe ist die "Planung, Finanzierung, der Bau und die Bewirtschaftung von Bundesfern- und Wasserstraßen sowie von Schienenwegen in Deutschland". Faktisch wurde mit der VIFG-Gründung ein Teil des klassischen Aufgabenbereichs des Bundesverkehrsministeriums ausgelagert und einer direkten parlamentarischen Kontrolle entzogen. Vor allem die FDP fordert eine Stärkung der VIFG und eine Ausweitung dieser Auslagerung von öffentlicher Infrastrukturverantwortung. > zurück zum Text

 
 
 
 


 3 Schienenbonus: Aufgrund der geringeren psychologischen Störwirkung des Schienenlärms im Vergleich zum Straßenverkehrslärm (weniger starke Amplitudenschwankungen, längere Periode der Stille) wird der für die festgelegten Geräuschpegelgrenzwerte relevante Beurteilungspegel beim Schienenverkehr um 5 Dezibel geringer angesetzt als beim Straßenverkehr.
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 4 Im Jahr 2007 wurden in Deutschland 4.949 Menschen im Straßenverkehr getötet, 431.400 Menschen im Kfz-Verkehr verletzt, davon 75.400 Menschen schwer. Nach: Verkehr in Zahlen 2008/2009, S.158. Anzumerken ist, dass nach bundesdeutscher Definition nur derjenige als ein Straßenverkehrstoter zählt, der binnen eines Monats an den Folgen eines Verkehrsunfalls stirbt. Im Fall eines späteren Todes tauchen solche Straßenverkehrsopfer nicht in der Statistik auf. Zum Thema "Kavaliersdelikt" -also zum extrem problematischen Umgang mit Menschen, die im Straßenverkehr andere treten – sei Herr Ramsauer an seinen CSU-Parteikollegen Otto Wiesheu erinnert: Wiesneu verursachte 1983 betrunken - mit 1,75 Promille Alkohol im Blut - am Steuer seines Pkw einen schweren Unfall, bei dem eine Person getötet und eine zweite schwer verletzt wurde. Der bereits damals führende CSU-Politiker erhielt mit zwölf Monaten auf Bewährung und 20.000 DM Strafe eine ausgesprochen milde Strafe. 1993 wurde er durch seine Partei gewissermaßen mit dem Posten des bayerischen Wirtschafts- und Verkehrsministers "belohnt". Wiesheu war nach der Bundestagswahl 2005 zunächst als bayerischer Minister Mitglied der Kommission, die den Koalitionsvertrag aushandelte. Er setzte sich in dieser Runde zusammen mit Gerhard Schröder besonders massiv dafür ein, dass das Ziel der Bahnprivatisierung im 2005er Koalitionsvertrag festgeschrieben wurde. Wenige Wochen darauf, Ende 2005, wurde bekannt, dass Wiesheu Mitglied im Bahnvorstand wurde.Er hatte dann diese Funktion bis Mai 2009 inne und betrieb hier besondersengagiert den Ausverkauf der Bahn durch Bahnprivatisierung. > zurück zum Text

 
 

 5 § 13, Absatz (2) des PBefG lautet ungekürzt: "Beim Straßenbahn-, busverkehr und Linienverkehr mit Kraftfahrzeugen ist die Genehmigung zu versagen, wenn 1. der Verkehr auf Straßen durchgeführt werden soll, die sich aus Gründen der Verkehrssicherheit oder wegen ihres Bauzustands hierfür nicht eignen, oder 2. durch den beantragten Verkehr die öffentlichen Verkehrsinteressen beeinträchtigt werden, insbesondere a) der Verkehr mit den vorhandenen Verkehrsmitteln befriedigt werden kann, b) der beantragte Verkehr ohne eine wesentliche Verbesserung der Verkehrsleistung Verkehrsaufgaben übernehmen soll, die vorhandene Unternehmer oder Eisenbahnen bereits wahrnehmen." > zurück zum Text

 6 Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 7.11.2009. > zurück zum Text

 

 7 Umfrage Emnid im Berichtszeitraum 7.10. - 8.10.2008. > zurück zum Text

 
 

 8 Zitiert nach der Presseerklärung der Allianz pro Schiene vom 23.10.2009. > zurück zum Text

 

 9 Nach: InnoZ, Verkehrsmarkt 2030 - Auswirkungen des demografischen und wirtschaftsstrukturellen Wandels auf die Mobilität. Konsequenzen für Verkehrsträger,Infrastruktur und staatliche Daseinsvorsorge – Endbericht, Oktober 2009, S. 167. > zurück zum Text