Hessenmobil: verkehrspolitische Fachtagung in Frankfurt

hessenmobilEtwa  40 Menschen kamen am ersten Maiwochenende in Frankfurt zu einer verkehrspoltischen Fachtagung zusammen. Eingeladen hatten die jeweils verkehrspolitischen Sprecherinnen der Hessischen Landtagsfraktion  Janine Wissler sowie Sabine Leidig von der Bundestagsfraktion. Mit dabei waren Mitglieder aus hessischen Kreisverbänden, Kommunalpolitikerlnnen, Aktivisten aus Bürgerinitiativen und Verbänden.
Besprochen werden sollte eine erste gemeinsame Bestandsaufnahme zur Verkehrspolitik in Hessen.

Aus der Sicht der Landtagsfraktion lieferte Janine Wissler nach der Begrüßung eine Übersicht der verkehrspolitischen Themen und Fragestellungen zum hessischen Nahverkehr.  Das Thema  Verkehr  wurde auf dem sogenannten hessischen „Energiegipfel“ komplett ausgeklammert, obwohl er fast die Hälfte und allein der Frankfurter Flughafen etwa ein Fünftel des hessischen Energieverbrauchs ausmacht. Wenn es keine Ansätze für eine Verkehrswende gibt, dann wird sich die Energiewende nicht umsetzen lassen. Ins Haus stehe eine Reduzierung der Regionalisierungsmittel, die das Land Hessen für die Bereitstellung des ÖPNV vom Bund erhält. Unter Berufung auf die „Schuldenbremse“ wird die Reduzierung vom Land Hessen durchgereicht werden. Schon jetzt ist dies bei den Preisen in der Schülerbeförderung spürbar. Mit den großen Werken in Rüsselsheim (Opel) und Baunatal (VW)  spielen die Veränderungen in der Automobilindustrie eine  große Rolle.  Zum Themenkreis Flughafen Rhein/Main, der von Dirk Treber,  Vorsitzender der Interessengemeinschaft zur Bekämpfung des Fluglärms (IGF) e.V.  vorgestellt wurde schoss sich am Nachmittag eine  Arbeitsgruppe mit dem Landtagsabgeordneten Herman Schaus und Dirk Treber an, in der Strategien für die Zusammenarbeit der Bundes- und  Landtagsfraktion sowie der Bürgerinitiativen zum Flughafen erarbeitet wurden.
Sabine Leidig, Bundestagsabgeordnete aus Hessen, verkehrspolitische Sprecherin und Mitglied der Enquetekommission Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität  stellte in ihrem Begrüßungsreferat die großen Leitlinien einer neuen Verkehrspolitik dar.
Nach 150 Jahren Industrialisierung treten derzeit die Folgen des Wirtschaftens zutage: Bodenvernutzung, Artensterben, Klimawandel, Wassermangel, Wüstenbildung, Entmenschlichung der Städte, immer weitere Strecken, die die Menschen zurücklegen. Die Kluft zwischen „gutem Leben“ und dem, was zwischen Lärm, Verkehrsstau, Betonwüsten Realität wird, ist immer auffälliger. Dem entgegen stellte sie Modelle wie Städte lebenswerter gestaltet werden können, Verkehre minimiert und effizienter ablaufen.  Verkehr wird in der männlich dominierten Verkehrspolitik noch zu oft als erbrachte Leistung statt als Aufwand gesehen, der betrieben wird.  Auch birgt die Endlichkeit des Treibstoffes Erdöl (Peak Oil) große Risiken. Strategien des Verzichts, wie sie oft aus dem konservativen Lager  propagiert werden bedeuten Verzicht auf gewohnte Lebensqualität ohne Alternativen auf eine solidarisch organisierte Transformation der Gesellschaft. Wir brauchen jedoch Kontrolle und Steuerung der Märkte, die in der kapitalistischen Wirtschaftsweise auf Wachstum beruhen.  Der Planet braucht Kooperation statt Konkurrenz, dazu müssen wir an der Zukunftsfähigkeit der Linken arbeiten.
In diesem Sinne stellte Dr. Winfried Wolf einen erste Ideenskizze zu einem Konzept „Anders verkehren in Hessen“ vor. Bereits für Baden-Württemberg und kürzlich für Brandenburg analysierte er die aktuellen Verkehrsplanungen und schlug Maßnahmen für eine andere, ökologische und zukunftssichere Verkehrspolitik vor.  Entlang an den Kernthemen „Transitland Hessen“, „Nahverkehr in Stadt und Land“, „Daseinsvorsorge Mobilität“ und Flugverkehr entwickelte er ein alternatives Verkehrskonzept, das bereits zahlreiche Details enthält. 
Weitere Details und Erfahrungen mit der real-existieren hessischen Verkehrspolitik wurden am Nachmittag in Arbeitsgruppen zu den Schwerpunktthemen zusammengetragen.

Für den Spätherbst verabredeten die TeilnehmerInnen eine größere Folgekonferenz. Vorgeschlagen wurde das Thema „Verkehrsfinanzierung“. Bis dahin wollen die Teilnehmer über Infoverteiler, Mailingliste oder Forum weiter in Kontakt bleiben, an der Erstellung eines Hessischen alternativen Verkehrsplanes gemeinsam arbeiten und weitere Interessierte einbeziehen.


Nahverkehr
In der Arbeitsgruppe mit Janine Wissler brachte Hans-Gert Öfinger (Wiesbaden) ein Inputreferat.
Allgemein geteilt wurde die Auffassung, dass öffentlicher Verkehr  als Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge anerkannt werden und die Unternehmen des ÖPNV re-kommunalisiert werden
Der so genannte „hessische Weg“, den die CDU unter Roland Koch einführte und der auf die maximale Ausweitung von Wettbewerb im ÖPNV setzt, hat die Versprechen, mit denen er beworben wurde, in keinster Weise erfüllt. Stattdessen hat er zu einem Aussterben mittelständischer Verkehrsunternehmen beigetragen. Die wenigen großen Verkehrskonzerne, die von der Ausschreibungspraxis profitieren, nutzen die Monopolstellung, die sie auf dem vermeintlich liberalisierten Markt erworben haben, um die Preise für öffentlichen Verkehr in die Höhe zu treiben.
Einer der entscheidenden Dreh- und Angelpunkte der ÖPNV-Politik ist die Finanzierung, sowohl auf der Seite öffentlichen Beiträge von Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene als auch auf der Seite der Fahrgäste. In den kommenden Jahren könnte sich die Finanzierung aus den so genannten Regionalisierungsmitteln ebenso als ernsthaftes Problem herausstellen wie die restriktive Haushaltspolitik des Landes und die chronische Unterfinanzierung der Kommunen. Die Landesregierung geht von einer jährlichen Finanzierungslücke von 140 Millionen Euro pro Jahr ab 2019 aus. Dies würde mittelbar zu einer globalen Reduzierung des hessischen ÖPNV-Angebots um 15 Prozent führen. Zu fragen ist deshalb nach Möglichkeiten zu einer „solidarischen Finanzierung“ des ÖPNV, womöglich auf kommunaler Ebene durch eine Mobilitätsabgabe. Limburg und andere Städte bundesweit führen Versuche mit einem ÖPNV zum Nulltarif durch und nutzen dazu Einnahmen aus Kurtaxen und anderen speziellen Quellen.
Dieser absehbaren Unterfinanzierung steht das bleibende und wachsende Bedürfnis der Menschen nach Mobilität gegenüber. Die Fahrgastzahlen des ÖPNV steigen kontinuierlich, aber für immer mehr Menschen stellen die Fahrpreise eine Mobilitätshürde und eine ernste finanzielle Belastung dar. Diese ist besonders schwer für Menschen mit geringen Einkommen, mit Kindern oder im ländlichen Raum. Gerade die Beförderung von Schüler_innen und Minderjährigen sollte zu Fahrpreisen geschehen, die höchstens die Hälfte eines regulären Tickets betragen, in jedem Fall aber für Familien auch mit geringen Einkommen erschwinglich sind. Eine Möglichkeit dazu könnte die „Clever Card“ sein, die sich über ein reines Schülerticket hinaus auf die Nutzung im gesamten Kreis ausweiten lässt.
Rund zwei Drittel des hessischen ÖPNV findet in der Rhein-Main-Region statt. Was den ÖPNV gerade in der Fläche wieder attraktiver machen könnte, ist die Re-Aktivierung stillgelegter Bahnstrecken, von denen einige kostspielig erhalten, aber nicht mehr benutzt werden.
Landesweit ist die Vernetzung der verschiedenen ÖPNV-Dienste in Form eines integralen Taktfahrplans ein weiteres wichtiges Element, um den ÖPNV zu einer attraktiven da schnellen Verkehrsart zu machen.
Einheitlich war die Kritik an Projekten wie „Mobilfalt“, das die Landesregierung mit einer Million unterstützt und bei dem Privatpersonen ihre Pkw als öffentliche Verkehrsmittel zur Verfügung stellen und dafür Kompensation erhalten sollen. Örtlich haben sich Sammeltaxensysteme bewährt, allerdings sollten sie nicht als Ersatz für einen funktionstüchtigen ÖPNV missbraucht werden, sondern ihn an zeitlichen und räumlichen Rändern ergänzen.
 

Flughafen
Die Teilnehmerstruktur der Arbeitsgruppe war sehr homogen, alle Teilnehmer befinden sich auf einem annähernd hohen Informationsstand. Ein Referat bzw. Grundlageninfo gab es daher nicht und die Teilnehmer stiegen sofort in die Bewertung der aktuellen Situation/Forderungen ein.  Unterschieden wurde in der folgenden Diskussion zwischen kurz- mittel und langfristigen Forderungen/Zielen/Maßnahmen.
Einmütig stellten die Teilnehmer fest, dass es über den Widerstand hinaus gegen die Nordwestbahn, gegen die sich die aktuellen Proteste derzeit richten, es ebenso um die Projekte Startbahn West, Cargo City Süd, Gateway Gardens, Gewerbegebiet Mönchhof, den Terminal 3 geht. Denn hiermit werden die Strukturen geschaffen, dass der Flughafen sich zukünftig noch weiter in die Lebensqualität der gesamten Region einfrisst.
Kersosinsteuer als Forderung zur Abschaffung der steuerlichen Bevorzugung des Flugverkehrs wird allgemein von allen TeilnehmerInnen gefordert.
Die gesundheitlichen Aspekte des Lebens in der Flughafenregion sollen breit beleuchtet werden was Auswirkungen von Lärm, Abgasen, Luftverschmutzung Folgewirkungen angeht.
Die Anfrage an die die Bundesregierung  und die Antwort der Bundesregierung hierauf wurde umfassend diskutiert. Es wird die Gefahr von Teilnehmern aus den Bürgerinitiativen gesehen, dass auch Verlagerung von Kurzstreckenflügen auf die Schiene von der Flugverkehrslobby genutzt wird, Kapazitäten für weitere Interkontinentalflüge frei zu bekommen.
Daher sollte die Umlenkung vom Flugzeug auf die Schiene immer mit einer gleichzeitigen Deckelung der Flugbewegungen diskutiert und gefordert werden.  Gleichzeit muss auch die Hochpreispolitik der Bahn in den Fokus genommen werden, die einen Flug als billigere Alternative erscheinen lassen. Insgesamt gelte es, die Anfrage an die Bundesregierung und auch die daraus resultierende Landtagsinitiative bekannter zu machen.
Als Beispiel für verdeckte Kosten des Flugverkehrs wurde der milliardenteure Bau des Terminals 3 oder auch Regionalflughafen Kassel Calden aus Steuermitteln gesehen. Diese Belastung öffentlicher Kassen gilt es zu verdeutlichen. Eine umweltökonomische Gesamtrechnung muss aufgemacht werden.
Eine Diskussion entspann sich an der These, dass Flugverkehr von Politikern aus Prestigegründen gefördert würde. Angeführt wurde z.B. dabei die Sicherung von Machtstrukturen durch die starke Flughafenlobby und die Versorgungsposten in dem Bereich (Aufsichtsrat, Bilfinger Berger/Koch, OFB ua.Projektentwickler Gateway Gardens/Rhiel usw.
Beachtet werden soll hier auch, was sich in dem Think Tank HOLM (House of Logistics & Mobility) an Lobbyarbeit entwickelt. Mit Freiheit von Forschung und Lehre habe dies nichts zu tun. Die Landtagsfraktion hat bzgl. zusätzliche Mittel für HOLM Antrag eingebracht àwurde abgelehnt (Link?)


Transitland Hessen
In Hessen, einem Land -nicht nur in der Mitte Deutschlands- sondern auch in der Mitte Europas, ist die ständige Zunahme des Verkehrs und dessen negative Auswirkungen zu verzeichnen. Zukunftsprognosen im Bundesverkehrswegeplan stehen weitere Steigerungen.
Die Teilnehmer nannten als gegenwärtige Herausforderungen:
  • Vermeidung von Verkehr
  • bessere Anbindung bzw. Vernetzung/Vertaktung von verschiedenen Verkehrsträgern
  • Ausbau des Schienennetzes und Verlagerung des Schwerlastverkehrs auf die Schiene
  • Lärmvermeidung auf Straße und Schiene
  • Schienenverkehr in West– Ost Richtung  Verbesserung ist dringend notwendig
Gesamtgesellschaftlich scheint die Orientierung auf das Auto langsam zu kippen. Die negativen Folgen für Mensch und Umwelt treten immer mehr in den Vordergrund. Lärm, Feinstaub, Emissionen, Luftverschmutzung und Umweltzerstörung sind wichtige Parameter, als Argument gegen die Dominanz des Autos.
Als Vorbild, nicht nur für den schienengebundenen Verkehr, könnte die Schweiz dienen. Aufgrund ihrer strikten Gesetze hinsichtlich des LKW-Verkehrs, des recht großen Schienennetzes, das nicht wie in Deutschland dem Hochgeschwindigkeitswahn geopfert wurde. Das Land hat eine wesentlich bessere Technik, sowohl beim Bau der Bahntrassen als auch geräuschärmeren Wagenmaterials. Ab 2020 wird wegen des Lärmpegels in der Schweiz kein deutscher Güterzug mehr rollen dürfen. Offensichtlich sind sowohl die Schweizer Gesetze, als auch die Auswirkungen der direkten Demokratie für die besseren Lösungsansätze in Sachen Verkehr ausschlaggebend.
Auch in Hessen brauchen wir vermehrt Lärmschutz durch geräuschärme Waggons, Lärmschutzwände und –dämme, tiefergelegte Bahntrassen und Straßen, Einhausungen verkehrsreicher Straßen
Gesundheit und Lebensqualität können ein Hebel sein um die Menschen zu erreichen und zu motivieren.
Neben den Verbindungen zwischen den Metropolen muss das Streckennetz in der Fläche gepflegt, instandgesetzt und reaktiviert werden. Interregio Züge, die Groß- und Mittelstädte miteinander verbinden müssen wieder in den Fahrplan. Flüge unter 300 km gehören auf die Schiene.
 
(Bericht unter Verwendung der AG Protokolle von David Meienreis und Bernd Hannemann)

Material das auf der Tagung vorgestellt bzw. benutzt wurde: