Dorothée Menzner in Japan: 14.02.2012: von Tokyo nach Kobe: Wirtschaftsministerium und Yakuzza

Der letzte Tag in Tokyo beginnt mit Kofferpacken, denn abends wollen wir nach Kobe fahren, zu einem Treffen mit Vertretern der Kommunistischen Partei Japans. Diesmal sind Yuko und ich allein unterwegs, denn Samy und Ralph haben sich in den frühen Morgenstunden erneut auf den Weg Richtung Fukushima gemacht. Sie wollen weitere Filmaufnahmen im Katastrophengebiet machen. Yuko und ich fahren also erneut mit öffentlichen Verkehrsmitteln durch die Stadt, um zu dem Gebäude zu kommen, in dem die Abgeordneten des Unterhauses ihre Büros haben. Delegationsleiter ist der Abgeordnete Akira Kasai. Neben ihm nehmen eine ganze Reihe von Genossen, die sich mit Umwelt und Energiepolitik beschäftigen, an dem Treffen teil. Lange hatte die KP Japans genau wie alle anderen politischen und gesellschaftlichen Kräfte auf  Atomenergie gesetzt. Aber nach der Katastrophe von Fukushima setzte ein Umdenken ein. Erst mit Fukushima wurden die Gefahren, die auch von der zivilen Nutzung der Atomtechnik ausgehen bewusst. Nun ist Ziel der KP, dass Japan binnen 5 bis 10 Jahren gänzlich aus dieser Technik aussteigt - lieber früher als später. Abgeordnete, die für einen Atomausstieg eintreten, sind im Unterhaus aber immer noch in der Minderheit. Die Situation in Japan ist also mit Deutschland vergleichbar. Die Mehrheit der Menschen mit ihren Positionen in zentralen politischen und gesellschaftlichen Fragen wird nicht im Parlament widergespiegelt. Hier liegt nach unserer gemeinsamen Überzeugung eine wichtige Aufgabe für uns als Mitglieder und Abgeordnete linker Parteien. Neben technischen Problemen des Konfliktmanagements diskutieren wir auch die Fragestellung, dass Demokratie ohne weitestgehende Transparenz nicht funktionieren kann. Denn wie sollen die Menschen, von denen als Souverän alle Macht ausgehen sollte, zu einer Meinungsbildung und Position kommen, wenn sie Situation, Hintergründe und Prognosen nicht kennen.

Danach fahren wir zum Wirtschaftsministerium, das für die Entwicklung aber auch die Aufsicht über die Atomkraftwerke zuständig ist. Die Aufsicht soll demnächst endlich einer eigenen und unabhängigen Behörde übertragen werden, aber in Kraft ist dieses Gesetz noch nicht.
Seit dem 11.09.2012 campen AktivistInnen in Protestzelten vor dem Ministerium. Ich glaube, eine solche Aktion ist ein Novum in dem sonst so obrigkeitshörigen Land. Die Zelte stehen auf dem öffentlichen Bürgersteig, und obwohl dieser der Stadt gehört, wurden sie bis heute nicht geräumt und viele BürgerInnen unterstützen ihre Aktion - kommen vorbei, informieren sich oder bleiben für einige Stunden oder auch Tage. Ich bin fasziniert von der Entschlossenheit der Aktiven, dem Wissen, das sie sich über kürzeste Zeit angeeignet haben und dem Widerstandsgeist - einer Eigenschaft, die in Japan bis März letzten Jahres nicht sonderlich verbreitet war.

Sie berichten, dass sie immer wieder dem Terror und den Angriffen von Faschisten ausgesetzt sind. Japanische Faschisten und die Yakuzza, die japanische Mafia, kooperieren eng bzw. sind teilweise personenidentisch. Und die Aktivisten bestätigen das, was ich schon gelesen hatte, nämlich dass die Yakuzza im Wesentlichen die Organisation ist, die die Leiharbeiter für die japanischen AKW rekrutiert - auch jetzt für die Aufräum- und Sicherungsarbeiten in Fukushima. Die Yakuzza macht also selbst an der Katastrophe noch Gewinn - auf Kosten der Allgemeinheit und der Ärmsten der Armen, die sich aus ökonomischer Not oder sonstigen Abhängigkeiten für solch einen Job rekrutieren lassen.

Solch ein Geschäftsmodell wird natürlich nicht freiwillig aufgegeben. Atommafia und wirkliche Mafia kooperieren. Wieso hatte ich eigentlich die Illusion, dass es doch anders sein könnte?

zurück zum Tagebuch