Dorothée Menzner in Japan: 15.02.2012: Eine japanische road-story

Eine japanische road- story

Sami und Ralph kamen spät aus der Sperrzone nach Tokyo zurück, so dass Yuko und ich schon überlegten: wie nun weiter. Schließlich hatten wir für diese Nacht Hotelzimmer in Kobe bestellt und woltlen am nächsten Morgen im Erdbebenmuseum in Kobe drehen. Nichts spektakuläres (heute, im Vergleich zu Fukushima), aber dass und wie dieses Land seit Jahrtausenden mit Erdbeben, auch sehr verheerenden - wenn man nur an Tokyo 1923 denkt -  lebt, gehört zur Story. Wir entscheiden, dass Sami und Yuko den Shinkansen (den japanischen Hochgeschwindigkeitszug) nehmen und Ralph und ich mit dem Auto und dem Gepäck fahren. Damit am nächsten Tag wenigstens zwei von uns ausgeschlafen sind. Zwar sind es laut Karte "nur" gut 500 km von Tokyo bis Kobe, aber angeblich 7 Stunden Fahrt - und das ist, wenn man erst um 20:00 Uhr los kommt und schon einen langen Tag hinter sich hat, ja doch eine ganze Menge.

Unser Auto hat natürlich ein Navi, sogar ein englischsprachiges, aber die Eingabe muss auf japanisch erfolgen. Kein großes Problem, denn im allgemeinen reicht es, die Telefonnummer der Zieladresse einzugeben. Aber da beginnt das Problem, denn in unseren Buchungsunterlagen für das Hotel in Kobe steht die falsche Telefonnummer. Wir kommen schnell an die Grenzen unserer Japanischkenntnisse und Yuko ist ja schon im Shinkansen. So müssen wir in einer Autovermietung um Hilfe bitten. Der dortige Mitarbeiter programmiert bereitwillig das Navi. Dass das Gerät eine voraussichtliche Ankunftszeit von 14:30 anzeigt irritiert uns nur mäßig. Hat sich an diesem Punkt das Gerät doch schon in den zurückliegenden Tagen als äußerst launisch und ungenau erwiesen.

Wir machen uns auf den Weg: einmal Tokyo von Nordost nach Südwest zu durchqueren. Das ist der Weg - zu dem von uns vermuteten Highway. Obwohl um diese Uhrzeit keine Staus mehr unsere Fahrt verzögern, brauchen wir bis gegen Mitternacht, um die Stadt und ihre Ausläufer hinter uns zu lassen. Eine Metropolregion mit rund 30 Millionen Einwohnern hat bei allem Höhenwachstum so seine Ausmaße. Und wir bekommen endgültig eine Vorstellung von der gänzlichen Unmöglichkeit der Evakuierung für den Fall eines Falles.

Was sich nicht anschließt, ist eine Autobahn, und wir stutzen deshalb, aber eine Änderung der Programmierung des Navi ist ohne Japanischkenntnisse unmöglich; und da die angezeigte Landstraßenroute rappelvoll ist, auch mit Schwerverkehr, kommen wir zu dem Schluss, der empfohlenen Route zunächst einmal zu folgen. Unsere mehrfachen Versuche, in den folgenden Stunden an einer Tankstelle einen Straßenatlas zu erwerben, erweisen sich als aussichtslos. Straßenkarten sind in diesem übertechnisierten Land anscheinend eine Relikt aus grauer Vorzeit.

Überhaupt; wie wir so durch Städte, Dörfer und über Land fahren - zu keinem Moment hat man den Eindruck, dass Energie knapp ist und gespart wird. Überall leuchtet und blinkt es, jede Straßenbaustelle - und viele Trupps sind an der Arbeit - sind mit hunderten von Leuchten, Lampen, Blinklichtern, Leuchtschriften etc. gesichert. Uns begegnen bei unseren wenigen Pausen Formen der Energienutzung, um nicht zu sagen, der Verschwendung, die uns sprachlos machen. So findet sich neben den Kühlregalen in einem 24 Std. Supermarkt ein identisch aussehendes Regal, das aber den Inhalt heiß macht anstatt kühl - und hält - etwa Dosen mit Kaffee und Suppe. Wir entscheiden uns, nicht darüber nachzudenken, wie lange diese Blechdosen mit Kaffee da nun schon auf 80 Grad erhitzt sind, und was das mit dem Inhalt macht, und wie die Ökobilanz des Gesöffs aussieht, sondern kaufen jeder eine: denn einschlafen geht ja nun auch nicht. Über inzwischen wieder allerorts beheizte WC-Brillen hatte ich ja schon geschrieben. Und wie auch sonst überall im Land, stehen an jeder Ecke Automaten mit gekühlten Getränken. Ich möchte nicht wissen, was die an Strom fressen, zumal die Sommer in Japan deutlich heißer sind als in Deutschland, wie wir aus eigener Erfahrung wissen.

Unsere Route führt in Teilen an der Küste entlang und dann wieder über hohe, küstennahe Berge. Mir war zwar theoretisch klar, dass Japan bergig ist, aber es ist was ganz anderes, das Stunde für Stunde fahrend zu erleben. Bestimmt ein halbes Dutzend mal, schrauben wir uns von Meereshöhe auf über 1000 Höhenmeter hinauf, und danach geht es wieder hinab. Und das trotz langer Reihen von Tunneln und Brücken, die helfen die Höhendifferenzen zu begrenzen. Schade ist, dass wir diese Fahrt in Dunkelheit machen und wir die Landschaft nur begrenzt erkennen können.

Am Morgen im Großraum Osaka - zwischenzeitlich ist es wieder hell geworden - sehen wir, woher diese Unmengen an Strom kommen. Aus wieder angefahrenen, alten Kohlekraftwerken. Sicher, 51 abgeschaltete AKWs könnte kein Land mal eben ohne ein Wiederanfahren der Kohlekraftwerke ersetzen. Aber auf einen Blick 6-8 von den Dingern fleißig vor sich hin rauchend und qualmend um eine Bucht stehend zu sehen, ist schon übel. Wenn ich an Niederaußem oder Moorburg denke, so hat Deutschland zwar allen Grund, sich an die eigene Nase zu fassen. Aber deutlich wird auch, wieviel noch notwendig ist an Umdenken - Effizienzsteigerung und Veränderung des Wirtschaftens. In beiden Ländern.

Wir nutzen die Zeit im Auto, um uns unserem Projekt, aber auch der Soziologie diesen Landes über Diskussionen weiter zu nähren und zu verstehen, aber das ist mehr, als in solch einer Tagebuchnotiz Platz hat.

Gegen 10:30 Uhr sind wir dann in Kobe. Wir handeln für unsere unbenutzten Zimmer einen Spätcheckout aus und schlafen zwei Stunden. Beim Essen danach berichtet der andere Teil der Crew von seinen Arbeiten im Museum. Gegen 18:00 Uhr machen wir uns nun gemeinsam auf den Weg mit dem Auto weiter Richtung Süden nach Hiroshima. Diesmal kann Yuko das Navi programmieren, und wir fahren Autobahn. Das geht schneller, aber ist dennoch mühsam und deutlich langsamer als in Deutschland, denn erneut führt unser Weg über hohe, schneebedeckte Berge. Gut, dass wir einen Höhenmesser dabei haben. Und Autobahn ist in diesem Land ein teures Vergnügen. Die Gebühren sind, wie schon nach Fukushima, gesalzen.

Hier in Hiroshima werden wir nun zweieinhalb Tage bleiben. Ich wurde gebeten, mehrere Veranstaltungen am Hiroshima Peace Institut zu machen, was ich gerne zugesagt habe, und wir werden Überlebende des Infernos von 1945 wiedersehen, die wir letzten Sommer kennengelernt haben. Denn deutlich werden muss aus unserer Sicht, dass die energetische Nutzung der Atomtechnik und die Bombe zwei Seiten der gleichen Medaillie sind.