Im High-Tech-Rausch stecken gelieben

Zu den Schienenverbindungen POS-Nord/KBS 670. Als Mitte der Neunziger Jahre in La Rochelle führende Politiker aus Deutschland und Frankreich zusammenkamen, um richtungsweisende Bahnprojekte zu verabreden, war eine Aufbruchstimmung überdeutlich.

Bekanntlich war und ist der internationale Eisenbahnverkehr nicht gerade dafür bekannt, besonders europäisch zu sein. Ein wesentlicher Punkt dieser deutsch-französischen Partnerschaft war die
Verständigung auf eine Schienenschnellverbindung zwischen Paris und Frankfurt/Main, an dessen Zustandekommen auch der damalige Ministerpräsident
des Saarlandes Oskar Lafontaine mitgewirkt hatte.


Seit 2007 rollen nun die modernen Züge - allerdings in einem ganz anderen Umfeld als Mitte der Neunziger Jahre noch existent. Für die Regionen Saarland und die Pfalz konnte dieses Projekt lange Zeit als Segen betrachtet werden. Während bundesweit ganze Regionen vom Fernverkehr abgekoppelt wurden, erhielten Kaiserslautern und Saarbrücken ein attraktives Angebot - zumindest um weiter im Fernverkehrsfahrplan aufzutauchen. Doch während in den neunziger Jahren noch davon die Rede war, dass hier ein zusätzliches Angebot gemacht wird, ist heute diese Verbindung fast das einzige Angebot, das übrig geblieben ist.


Mitte der Neunziger Jahre fuhren ICE-Züge durchgehend über Frankfurt/Main bis Leipzig und Dresden. InterRegios waren im Taktverkehr allgegenwärtig.
InterCity-Züge fuhren nach Süddeutschland und bis Österreich, alles umsteigefrei. Köln war von Saarbrücken über Trier mit Neigetechnik in drei Stunden erreichbar, auch als Direktverbindung. Problematisch waren eher die mangelnden Angebote des Nahverkehrs als Zubringer zum Fernverkehr. Fahrpläne waren kaum vertaktet und das rollende Material stammte teilweise aus den fünfziger Jahren.


Heute hat sich diese Entwicklung bekanntlich umgekehrt. Fortschritte im Nahverkehr sind durch die Umstellung auf den Einsatz von Regionalisierungsmitteln unübersehbar. Ganz klar, auch hier gibt es zahlreiche Punkte, wo Verbesserungen und Optimierungen angesagt wären. Aber im klassischen Fernverkehr ist
überdeutlich, dass außer der Strecke Saarbrücken- Kaiserlautern-Mannheim nichts übrig geblieben ist.

So richtet sich die ganze öffentliche Aufmerksamkeit auf diese eine verbliebene Fernverkehrsverbindung in der Region. Die 1857 durchgängig eröffnete Strecke
wurde auch in den letzten Jahren an mehreren Stellen ertüchtigt und modernisiert. In einem topographisch sehr schwierigen Umfeld konnten Geschwindigkeiten bis 160 km/h erreicht werden, Teilstücke lassen sogar 200 km/h zu. Dennoch sind hier die Grenzen offensichtlich. Will man tatsächlich einen durchgehenden
Hochgeschwindigkeitsverkehr zwischen Mannheim und Saarbrücken erreichen (Geschwindigkeiten von 200 bis 250 km/h), dann wird sich die bisherige
Streckenführung kaum eignen.

Welche Möglichkeiten sind machbar?
Variante 1: Man nimmt ganz viel Geld in die Hand und baut zumindest auf wesentlichen Teilbereichen eine neue Strecke, damit man tatsächlich mit Hochgeschwindigkeit fahren kann. Erfahrungen mit anderen Projekten (z.B. Berlin-Erfurt-Bayern) zeigen, dass so etwas schnell zum Milliardengrab werden kann. Unter den aktuellen finanzpolitischen Bedingungen scheint ein solches Vorhaben aber vollkommen abwegig, ganz unabhängig der Frage, ob so ein Projekt verkehrspolitisch überhaupt sinnvoll ist.


Variante 2: Die derzeitige Strecke wird weiter modernisiert. Hier gilt allerdings auch die Tatsache, dass weitere Beschleunigungen extrem aufwendig und damit teuer sein werden. Am 8. Februar 2010 flog der Saar-Ministerpräsident nach Berlin zum neuen Chef der Deutschen Bahn. Ein Ergebnis war, dass ein Gutachten in Auftrag gegeben werden soll, welche Verbesserungen notwendig sind und was sie kosten.
Gut, aber das kann dauern und das Ergebnis wird vermutlich lauten, dass weiter gebaut werden muss und dass das alles viel Gelt kosten wird. So schlau
sind wir auch ohne Gutachten.

Variante 3: Man beschränkt die Ertüchtigungen auf das Notwenigste, das heißt darauf, dass der Betrieb auf der Strecke in einem ordentlichen Zustand verbleibt und an die technische Entwicklung angepasst wird. Gleichzeitig müssen die bisherigen ICE-Halte Homburg/Saar und Neustadt/Weinstraße wieder für den ICE geöffnet werden.

Aus verkehrspolitischer Sicht macht die dritte Variante den meisten Sinn. Die Vertreter einer Hochgeschwindigkeitslösung sind aber gefangen in der Zeitschiene. Sie rechnen mit Fahrzeiten, mit Stunden und Minuten zwischen den einzelnen Zielbahnhöfen. Zugegeben, auch unsere französischen Nachbarn sind ausgewiesene Vertreter dieser Sichtweise. Wäre es aber nicht sinnvoller, die Auslastung bzw. die Fahrgastzahlen anstatt der Fahrzeiten heranzuziehen? Alle
relevanten Erhebungen machen deutlich: Der Anteil derer, die im Bereich von über 200 Stundenkilometermit der Eisenbahn unterwegs sind, ist verschwindend gering. Zugleich hat diese Klientel das scheinbar billige, aber auf jeden Fall schnellere Flugzeug als Alternative.


Höhere Fahrgastzahlen erreicht man kaum durch höherer Spitzengeschwindigkeiten. Fahrzeitverkürzungen auf der Strecke Saarbrücken-Mannheim-Frankfurt haben in der Vergangenheit dazu geführt, dass man bei
Reisen nach Mannheim und Frankfurt nun längere Aufenthaltszeiten in den dortigen Bahnhöfen hat. Schneller am Ziel sind viele Fahrgäste nicht. Oftmals werden durch Baumaßnahmen mühsam einige Minuten eingespart und gleichzeitigt wird dies durch technische Umstellungen an anderen Stellen wieder eingebüßt.


Ein bequemer und moderner Fernverkehrszug ist für die Region Rheinland/Pfalz und Saarland dringend notwendig. Ein Wegfallen zu Gunsten der POS-Strecke Süd über Strasbourg wäre eine Katastrophe. Selbst ein moderner Nahverkehr mit attraktiveren Regionalexpress- Verbindungen könnte dies nicht kompensieren.
Aber auf nennenswerte Steigerungen der Fahrgastzahlen kommt man nur, wenn zwei Faktoren erfüllt werden: Zum einen muss die Anbindung an den Nahverkehr optimiert werden. Derzeit passen die Anschlüsse noch nicht so, wie es die Fahrgäste erwarten. Zum anderen muss die Auslassung der ICE-Halte in Neustadt/Weinstraße und Homburg/ Saar rückgängig gemacht werden.


Gerade in Homburg/Saar stiegen zu Zeiten der regelmäßigen ICE/IC-Verkehre rund 50 Prozent aller Reisenden aus dem Saarland in die Züge. Menschen aus Blieskastel, Neunkirchen und St. Ingbert, aber auch aus Waldmoor und Zweibrücken nutzten diesen ICE-Bahnhof. Diese Reisenden müssen nun viel weiter nach Kaiserslautern oder Saarbrücken fahren, um einen Fernverkehrsanschluss zu erreichen. Neben dieser Reisezeitverlängerung stehen auch höhere Kosten durch weitere Entfernungen bzw. Parkgebühren auf der Sollseite.


In Richtung Mannheim sind durch diese Auslassung der beiden ICE-Halte aber auch werktägliche Pendlerverkehre in den Wirtschaftsraum Ludwigshafen/ Mannheim weggefallen. Pendler, die in der Vergangenheit Fernverkehrszüge benutzt haben, sind nicht vollständig in den gut entwickelten S-Bahn-Verkehr umgestiegen. Grund dafür waren weniger die Reisezeiten, sondern der Verlust an Komfort (am Bahnhof/
Parkgebühren und im Zug/keine Tische zum Arbeiten, keine Verpflegung). Diese Pendler nutzen nun mehrheitlich den privaten PKW, weil sie weitere Wege zum
nächsten ICE-Halt haben und bei diesen Rahmenbedingungen gleich mit dem PKW "durchfahren".


Die Entwicklung der KBS 670 zeigt exemplarisch das Missverhältnis zwischen verkehrspolitischem Anspruch (Stichworte Klimawandel, mehr Verkehr auf die Schiene) und der verkehrspolitischen Realität (einseitige Förderung des Hochgeschwindigkeitsverkehrs). In zahlreichen anderen Regionen der Bundesrepublik sind ähnliche Entwicklungen zu beobachten. Hoffnungen, dass durch die Netzöffnung alternative Anbieter zur DB die Lücken im Fernverkehr schließen
könnten, haben sich zerschlagen. Der Wegfall der InterRegios und das Ausdünnen der IC/EC-Flotte konnten weder durch zusätzlichen ICE-Angebote (siehe deutlich höhere Fahrpreise), noch durch einen attraktiven Nahverkehr ausgeglichen werden. Dieser verfügt mit einigen Regionalexpress-Verbindungen ohne Zweifel über sehr gute Ansätze, die allerdings aus den Mitteln der Länder finanziert werden müssen.


Eine ernsthafte politischen Debatte über ein bundesweites Fernverkehrsnetz unterhalb des ICE-Netzes müsste Aufgabe der Linken sein. Gerade unter
sozialpolitischen Gesichtspunkten ist hierbei auch die Wählerklientel der Linken direkt betroffen. Viele Menschen bewerten die Bahn trotz Sparangeboten als zu teuer und viele Mittel- und Unterzentren sind seit Jahren vom Fernverkehr abgeschnitten. Davon sind auch Berufspendler betroffen, die zunehmend auch
deutlich über 50 km pro Tag und Fahrtrichtung zurücklegen müssen, und für die die Benutzung einer S-Bahn der Baureihe 425 unzumutbar ist.

Thomas Lutze ist Mitglied des Bundestages und dort im Verkehrsausschuss.
Inhaltlich ist Lutze in der Fraktion für den Bereich des Nahverkehrs zuständig. Im Landesverband Saar der Linken war Lutze
über viele Jahre Verkehrspolitischer Sprecher und ist jetzt Landesgeschäftsführer.


In der Linksfraktion im Saarländischen Landtag ist
Dagmar Ensch-Engel für den Bereich Verkehrspolitik
mitverantwortlich. Sie ist erreichbar unter:
Dagmar Ensch-Engel, MdL
Franz-Josef-Röder-Straße 7, 66119 Saarbrücken
Tel.: 06 81 - 5 00 24 27
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