Bahnpreiserhöhung: Interview mit Sabine Leidig

Interview mit Sabine Leidig, erstmals abgedruck in der Tageszeitung junge Welt vom 6. Januar 2010, Wiederabdruck in "besser verkehren" Nr. 1 (verlinken!)

1,8 Prozent Fahrpreiserhöhung der Deutschen Bahn am 13.12.2009 – das klingt doch moderat.

S.L.: Wir haben die Fahrpreiserhöhungen über einen längeren Zeitraum hinweg zusammengestellt. Das Ergebnis ist erschreckend. Die Bahnpreise stiegen seit 2004 real um 16 Prozent.

Die Bahn wird sagen: Alles wird doch teurer.

S.L.: Es handelt sich um einen Zeitraum, in dem die realen Einkommen der Mehrheit der Bevölkerung nicht mehr stiegen. Bei vielen sank sogar der Lebensstandard. Sodann sind die 16 Prozent nur der offizielle Wert. Die verdeckten Fahrpreiserhöhungen einbezogen, kommen wir auf 20 Prozent oder ein Fünftel. Seit 2000 gerechnet liegen die Erhöhungen bei real 25 bis 30 Prozent. Das hat für  Hunderttausende Menschen ganz praktische Folgen. Manche Leute müssen auf die traditionelle Zugfahrt an Weihnachten zu Verwandten verzichten. Bei vielen heißt es doch längst: Für uns ist die Bahn als Verkehrsmittel schlicht zu teuer.

Die Bahn verweist auf die Inflationsrate und auf gestiegene Personalkosten.

S.L.: Wir haben die Inflation bereits berücksichtigt. Das Argument Personalkosten überzeugt nicht. Die Bahn hat seit 2004 im Bahnbereich die Beschäftigtenzahl um gut 20.000 reduziert – bei weitgehend gleichbleibenden Transportleistungen. Dort, wo es um den Börsengang geht, hebt die DB AG hervor: "Die Produktivität je Beschäftigten ist deutlich gestiegen". So stiegen bis 2008 ja auch die Gewinne massiv. Im übrigen verwies die Bahn im Dezember 2008 noch auf "deutlich gestiegene Energiekosten". Nun fielen jedoch zwischen 2008 und 2009 die Energiepreise um rund 20 Prozent. Daran gemessen müssten die Bahnpreise jetzt sogar sinken.

Haben Sie Vorschläge, was anders gemacht werden müsste?

S.L.: Erstens fordern wir einen Ausbau des Schienennetzes und einen deutliche Steigerung der Schienenverkehrsangebote. Die Bahn muss für alle da sein.
Zweitens muss das allgemeine Niveau der Fahrpreise im Schienenverkehr deutlich gesenkt werden. Es ist doch aberwitzig, wenn Fliegen deutlich preiswerter wurde, wenn die Kosten im Straßenverkehr in jüngerer Zeit ebenfalls sanken – und wenn Bahnfahren immer teurer wird.
Schließlich muss man Bahnfahren für die Masse der Menschen attraktiv gestalten. Ein Autofahrer rechnet doch so: Das Auto, die Versicherung und die Steuer sind bereits bezahlt - also kostet für mich die Fahrt von Berlin nach Frankfurt nur die Spritkosten, rund 65 bis 70 Euro.
Auf die Bahn bezogen heißt das: Man muss Mobilitätskarten wie die BahnCard50 –  mit der die Bahnpreise  ein Jahr lang halbiert werden – und die BahnCard100 - bei der man einmal im Jahr einen festen, hohen Betrag bezahlt und dann immer "umsonst" fährt – im Preis so günstig anbieten, dass die Leute massenhaft diese Mobilitätskarten erstehen. Dann rechnet man ähnlich wie ein Autofahrer: Die BahnCard50 hab ich bereits, also kostet für mich die Fahrt Berlin-Frankfurt nur die Hälfte des aktuell offiziellen Preises von 97 Euro, also knapp 50 Euro. Das ist bereits preiswerter als mit dem Pkw. Wenn das allgemeine Fahrpreisniveau noch, wie wir fordern, gesenkt wird, kosten auch zwei Bahnfahrkarten mit BahnCard50 weniger als eine Autofahrt mit zwei Personen.

Ist das keine Preispolitik am grünen Tisch?

S.L.: In der Schweiz haben – gemessen an der unterschiedlichen Einwohnerzahl - ziemlich genau zehn Mal mehr Leute das "Halbtaxticket", das unserer BahnCard50 entspricht. Das "Generalabonnement – GA", das unserer BahnCard100 entspricht, haben auch zehn Mal mehr Leute. Die Menschen in der Schweiz fahren pro Jahr und Nase fast drei mal mehr Kilometer mit der Bahn, wobei das Land bekanntlich deutlich kleiner ist als Deutschland. Dabei erhält der schweizerische Schienenverkehr gemessen an den Leistungen deutlich weniger staatliche  Unterstützungszahlungen als der Schienenverkehr in Deutschland. Die Top-Manager bei den Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) folgen der Logik: Gute Qualität, also hoher Komfort, plus pfiffige Preise ergeben eine zufriedene und wachsende Kundschaft.

Wie sieht da die Preispolitik der Deutschen Bahn aus?

S.L.: Der Preis der BahnCard50 lag 2001 bei 140 Euro. Seit dem 13. Dezember 2009 liegt er bei 230 Euro. Die Preissteigerung im Zeitraum 2001 bis 2009 liegt bei sagenhaften 64 Prozent. Die Bahn vergrault genau die Kundschaft auf die es für eine nachhaltige Verkehrspolitik ankommt: - die aktuelle Stammkundschaft und die die potentielle Massenkundschaft.