Auch nach der Volksabstimmung: Stuttgart 21 ist zum Scheitern verurteilt

Leidig-2011-11-30Die Koalitionsfraktionen nutzten die Aktuelle Stunde, um ihren Triumph bei der Volksabstimmung in Baden-Württemberg zu Stuttgart 21 auszukosten. Es lohnt sich aber, die Bedingungen und Ergebnisse dieser Volksabstimmung im Detail anzuschauen. Die Bevölkerung ist nach wie vor tief gespalten. Und daran sind nicht zuletzt die Grünen in der Landesregierung schuld, weil sie nicht die offensichtlichen Fehler des Projektes zum Ausstieg genutzt haben, sondern auf Koalitionsfrieden mit der SPD setzen. Stuttgart 21 ist zum Scheitern verurteilt – so oder so – weil eine Reihe gravierender Probleme überhaupt nicht gelöst ist: Das Projekt wird teurer und es ist unklar, wo das Geld herkommt und es bedeutet einen Rückbau der Schieneninfrastruktur - die Kapazitäten werden deutlich geringer, als sie mit dem heutigen Kopfbahnhof sind, der Stresstest wurde manipuliert.

Wir dokumentieren hier die Rede von Sabine Leidig.   Alle Reden der aktuellen Stunde als Video
Kommentar zur Volksabstimmung

 


Rede von Sabine Leidig in der Aktuelle Stunde auf Verlangen CDU/CSU, FDP "Standort Deutschland sichern - Stuttgart 21 zügig umsetzen und geplante Mehrbelastung für den Mittelstand durch grüne Steuerpolitik verhindern" am 30.11. 2011.

 

 

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen!Ja, wir haben in der vergangenen Woche erlebt, wie die Projektbetreiber einen Machtkampf um Stuttgart 21 organisiert haben Goliath gegen David, sozusagen.

(Thomas Strobl (Heilbronn) (CDU/CSU): Ach je!)

Die Freundinnen und Freunde des Kopfbahnhofes sind unterlegen. So ist es.
Es würde sich lohnen, sich die Bedingungen, die Irreführungen und die konkreten Ergebnisse dieser Volksabstimmung im Detail anzuschauen. Aber das würde meine Redezeit hier sprengen. Nur so viel: In der Stadt Stuttgart haben über 47 Prozent für den Ausstieg gestimmt. Die Bevölkerung ist tief gespalten. Daran sind die Grünen in der Landesregierung mit schuld, weil sie die offensichtlichen Fehler dieses Projektes nicht zum Ausstieg genutzt haben, sondern auf Koalitionsfrieden mit der SPD setzen.
Damit bin ich bei dem Thema, das tatsächlich auf die Tagesordnung des Bundestages gehört: Stuttgart 21 ist zum Scheitern verurteilt, so oder so, weil eine Reihe ganz gravierender Probleme überhaupt nicht gelöst ist. Davon will ich hier nur zwei herausgreifen:

Erstens: die Kostenfrage.Bereits am Tag nach der Volksabstimmung hat Bahnchef Grube angedeutet, was alle schon längst wissen: Bereits vor Baubeginn ist die Kostenobergrenze von 4,5 Milliarden Euro überschritten.

(Steffen Bilger (CDU/CSU): Quatsch!)

Jeder hier im Plenarsaal weiß, dass bis ins nächste Jahrzehnt hinein 7 Milliarden Euro und mehr für dieses Projekt fällig werden, aber Bund, Land und Stadt haben erklärt, keine Mehrkosten zu tragen, und die DB AG weigert sich, die Kostenübernahme zuzusichern.
Was bedeutet das? Wenn angefangen wird, zu graben, könnten Bauruinen entstehen. Die Anlagen können nämlich erst dann in Betrieb genommen werden, wenn sie vollständig fertiggestellt sind. Wir werden etwas Ähnliches erleben wie bei der Hochgeschwindigkeitsstrecke Nürnberg-Erfurt, wo seit Jahren So-da-Brücken in der Landschaft stehen, Brücken, die einfach so da stehen, weil das Bauprojekt nicht fertiggestellt wird. Der Unterschied ist, dass die gigantische Bauruine inmitten der Landeshauptstadt liegen wird.

(Patrick Döring (FDP): Das liegt aber nicht an der Bahn! Das liegt daran, dass Sie die Leute auf die Zinnen bringen!)

Nein, das liegt daran, dass das Geld nicht reicht.

(Patrick Döring (FDP): Das stimmt nicht! Die Planfeststellungsprozesse werden auch verzögert!)

Als zweiten Punkt nenne ich den Schaden für die Schiene. Dieser Punkt ist der allergravierendste. Die Argumente dafür, dass dieses Projekt der Schiene schadet, waren von Anfang an der wichtigste Einwand gegen den Tunnelbahnhof. Das hat auch in der Faktenschlichtung eine zentrale Rolle gespielt. Ich erinnere an den Schlichterspruch von Heiner Geißler vor etwa einem Jahr, an den sich alle Projektbeteiligten quasi wie an einen Urteilsspruch gehalten haben. Dort heißt es:
Die Deutsche Bahn AG muss dabei den Nachweis führen, dass ein Fahrplan mit 30 Prozent Leistungszuwachs in der Spitzenstunde mit guter Betriebsqualität möglich ist.
Im Sommer dieses Jahres hat die Bahn verkündet:
Unsere Überprüfung der Simulationsergebnisse hat gezeigt, dass die geforderten 49 Ankünfte im Hauptbahnhof Stuttgart in der am meisten belasteten Stunde ... abgewickelt werden können.
Auch dazu haben Sie hier in einer Aktuellen Stunde triumphiert, während das Aktionsbündnis aus guten Gründen gezweifelt hat. Nun ist vergangene Woche bekannt geworden, dass die Ergebnisse dieses Stresstests falsch sind. Die Fakten über die Fälschung sind auf der Internetplattform WikiReal nachzulesen. Sie wurden von Dr. Engelhardt zusammengetragen, der als Sachverständiger an der Stresstestpräsentation teilgenommen hat. Das ist unter anderem im ZDF-Magazin Frontal 21 dokumentiert und durch einen der bekanntesten Verkehrswissenschaftler im deutschsprachigen Raum bestätigt worden, Professor Knoflacher.
Demnach hat die Bahn systematisch gegen die Richtlinie verstoßen, die für eine solche Simulation maßgebend ist, nämlich die Richtlinie mit der Bezeichnung „Fahrwegkapazität R 405“. Tatsächlich können in der Spitzenstunde nämlich nicht 49, sondern maximal 38 Züge abgefertigt werden. Was bedeutet das? Das sind weniger Züge als im heutigen vernachlässigten Kopfbahnhof und nur 60 Prozent von dem, was ein ertüchtigter Kopfbahnhof leisten könnte.

(Zuruf von der LINKEN: Das nenne ich Betrug!)

Das ist der Punkt, an dem die Bundesregierung eingreifen muss, Herr Ramsauer. Die Untersuchung zeigt, dass mit Stuttgart 21 faktisch ein Rückbau der Eisenbahninfrastruktur des Bundes geplant ist.

(Patrick Döring (FDP): Quatsch! Sie haben es wieder nicht begriffen! Das ist einfach die blanke Unkenntnis, die Sie hier vortragen!)

Da können Sie sich nicht einfach zurücklehnen und sich damit herausreden, dass es sich um ein eigenwirtschaftliches Projekt der Bahn handelt.

(Beifall bei der LINKEN - Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU): Was interessieren mich die Fakten, wenn ich die Ideologie habe?)

Mit Stuttgart 21 wird der entscheidende Bahnknoten in Südwestdeutschland enger gezogen. Es wird ein Nadelöhr geschaffen. Dafür sollen Milliarden Euro an Steuergeldern fließen. Wenn Sie es mit dem Standort Deutschland gut meinen, dann dürfen Sie nicht zulassen, dass die Eisenbahn in ihrer zukünftigen Entwicklung behindert wird.
(Beifall bei der LINKEN)
Wir werden nicht nachlassen, die Fakten auf den Tisch zu bringen. Die Linke will dazu beitragen, dass Stuttgart 21 aus vernünftigen Gründen scheitert und nicht im Desaster endet.

(Steffen Bilger (CDU/CSU): Nicht nötig!)

Ich fordere Sie auf, Herr Ramsauer: Übernehmen Sie die Verantwortung, und wenden Sie Schaden von der Bahninfrastruktur in diesem Land ab!
Danke.

(Beifall bei der LINKEN – Thomas Strobl (Heilbronn) (CDU/CSU): Das war: Die Partei hat halt immer recht! - Florian Pronold (SPD): Zu optimistisch, was Ramsauer anbetrifft!)