Das Europaparlament als neuer Akteur in der GAP

MdEP Sabine Wils in Schwerin (25. Juni 2011), Foto: Bianca BodauEuropapolitiker als Vertreter der Regionen, das Europaparlament als neuer Akteur in der GAP

Verehrte Gäste, liebe Genossinnen und Genossen,

als Mitglied des Ausschusses für Umweltfragen, Volksgesundheit und Lebensmittelsicherheit (ENVI) im Europaparlament bin ich gebeten worden, hier ein Beispiel für einen Gesetzgebungsprozess in der EU in Zusammenhang mit der Agrarpolitik darzustellen. Anschließend möchte ich noch kurz zwei Themen zur Lebensmittelsicherheit ansprechen, die uns in letzter Zeit im Ausschuss und im Parlament beschäftigt haben: Dioxine in Futtermitteln und die EHEC-Krise.

 

Zur Rolle des Europaparlaments im Mitentscheidungsverfahren

Am Beispiel Gentechnik möchte ich den Gesetzgebungsprozess zum Vorschlag für eine Verordnung zur Änderung der Richtlinie 2001/18/EG betreffend die den Mitgliedsstaaten eingeräumte Möglichkeit, den Anbau von GVO auf ihrem Hoheitsgebiet zu beschränken oder zu untersagen beleuchten.

  • 13.07. 2010: Die Kommission (KOM) legt den Vorschlag für eine Verordnung zur Änderung der Richtlinie 2001/18/EG zusammen mit einer Mitteilung an das EP, den Rat, den Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen vor.
  • Zeitnah werden im EP der federführende Ausschuss  ENVI sowie die mit beratenden Ausschüsse Industrie, Forschung und Energie (ITRE), Landwirtschaft und ländliche Entwicklung (AGRI)  und der Rechtsausschuss (JURI) bestimmt.

  • 09.12. 2010: Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss als beratendes Organ der EU-Institutionen legt seinen Bericht zu dem Vorschlag der KOM vor.
  • 27.01. 2011

o  Die Berichterstatterin im Umweltausschuss, Frau Lepage, von der Fraktion der Liberalen legt ihren Berichtsentwurf vor.

o  Eine Frist für das Einreichen der Änderungsanträge wird festgesetzt. Die Vertreterinnen und Vertreter anderer Fraktionen, die sogenannten Schattenberichterstatter, für diesen Bericht könne Änderungsanträge einreichen.

o  Üblicherweise werden dann sogenannte Schattenberichterstattertreffen von der Berichterstatterin einberufen. Die eingereichten Änderungsanträge und mögliche Kompromisse werden besprochen.

o  Die Berichterstatterin legt meistens wert auf breite Mehrheiten, um mit ihrem Bericht gut  dazustehen.

Stabile Mehrheiten werden aber auch benötigt, damit der Bericht nicht nur im Ausschuss sondern auch im Plenum Bestand hat, da hier  nicht nur die UmweltpolitikerInnen der Fraktionen abstimmen.

o  Noch wichtiger ist eine stabile Mehrheit allerdings, um im Trialog-Verfahren gegenüber Rat und KOM bestehen zu können, da diese mit den Mehrheitsverhältnissen im EP „spielen“.

Auf das Trialog-Verfahren komme ich später zurück.

  • 12.04. 2011

o  Der Umweltausschuss stimmt über den Berichtsentwurf und die bis dato eingereichten Änderungsanträge sowie ggf. über Kompromisse ab.

o  Zuvor haben bereits die mit beratenden Ausschüsse ihre Stellungnahmen beim Umweltausschuss eingereicht, über die sie zuvor abgestimmt haben.
Auch diese Stellungnahmen werden bei der Abstimmung mit einbezogen.

 

  • 20.04. 2011

o  Der endgültige Bericht mit den Ergebnissen der Abstimmung liegt vor und ist jetzt offizielles  Plenarsitzungsdokument.

  • Im dann möglichen Trialog-Verfahren zwischen EP, Rat, KOM und meist auch mit den juristischen Diensten werden Kompromisse ausgelotet.

o  Im Trialog werden die Verordnungsentwürfe von Rat, KOM und EP nebeneinander gelegt.

o  Nur die Berichterstatterin darf für das EP im Trialog sprechen.

 

o  Meist haben hauptsächlich Rat und EP sehr widersprüchliche Positionen. Die Verhandlungspositionen werden von den jeweiligen Mehrheitsverhältnissen bestimmt, da auch im Rat abgestimmt wird.

o  Es kommt vor, dass sich die Verhandlungsparteien im Trialog-Verfahren so weit einig sind, dass im Europaparlament und dann auch im Rat nur noch pro forma abgestimmt wird.

  • Juli 2011

o  Abstimmung im Plenum vorgesehen.

Die Entscheidung des EP wird dem Ministerrat übermittelt.

 

  • Die Verordnung ist erlassen, wenn der Rat in seiner ersten Lesung sämtliche Änderungswünsche des EP mit qualifizierter Mehrheit billigt oder wenn das EP keine Änderungen vorgeschlagen hat.

 

  • Kommt auch in der 2. Lesung  keine Einigung zustande wird in der 3. Lesung versucht, mit Hilfe des Vermittlungsausschusses, zu einem Kompromiss zu kommen.
    Klappt auch das nicht, wird das Gesetzesvorhaben beendet. Gegebenenfalls wird einige Jahre später ein neuer Anlauf genommen.

 

Verehrte Gäste, liebe Genossinnen und Genossen,

 

Jetzt möchte ich zu den zwei Themen in Zusammenhang mit der Lebensmittelsicherheit Dioxine in Futtermitteln und die EHEC-Krise kommen.

Der Skandal in Deutschland zu den Dioxinen in Futtermitteln und die EHEC-Krise wurden jeweils sehr intensiv im Umweltausschuss und im Plenum diskutiert, mündeten aber nicht in einer Änderung der Gesetze auf europäischer Ebene.

 

  • Die Steigerung der Erträge und die Rationalisierung der Produktionsabläufe waren früher die zentralen Herausforderungen der Landwirtschaft. Es ging darum, die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmittel sicher zu stellen.
    Die Versorgung mit Lebensmitteln ist meines Erachtens eine Aufgabe der Daseinsvorsorge und gehört zur Lebensmittelsouveränität eines jedweden  Landes.

  • Mit der fortschreitenden Industrialisierung der Landwirtschaft sind jedoch massive Probleme aufgetreten. Seit einigen Jahrzehnten geht es für viele Akteure im Agrarsektor einzig und allein um Profite. 
    Die Globalisierung in der Landwirtschaft hat diese Entwicklung noch weiter angetrieben.

  • Wenn es nur noch darum geht, so viel Geld wie möglich zu möglich zu verdienen, bleiben Tier- und Umweltschutz sowie Lebensmittelsicherheit und Verbraucherinteressen auf der Strecke.

 

  • Ein gutes Beispiel der möglichen Folgen der industrialisierten Landwirtschaft war der Dioxinskandal Anfang des Jahres:

 

o  Die Lebensmittesicherheit konnte nicht gewährleistet werden, weil einige Futtermittelbetriebe mit Dioxin belastetes Futter verkauften.

 

o  Die harte Konkurrenz um Niedrigstpreise bei den Lebensmitteln in Deutschland hat zur Folge, dass auch das Futter für die Massentierhaltung möglichst billig sein muss.

o  Unter diesen Bedingungen gelangten mit Dioxin kontaminierte technische Fettabfälle aus der Biodieselherstellung in die Futter- und Lebensmittelherstellungskette.

o  Der konkrete Fall:

§  Das mit einem in Deutschland verbotenen Fungizid kontaminiere Soja wurde außerhalb der EU angebaut.

§  In Europa wurde dieses Soja zu Öl verarbeitet, um es als Rohstoff zur Agrodieselgewinnung zu verwenden, bei der Firma Petrotec in Emden in Niedersachsen.

§  Petrotec verkaufte Mischfettsäure, ein Abfallprodukt, an den niederländischen Händler Olivet, der das Tochterunternehmen Lübbe des Futterfettherstellers Harles und Jentzsch belieferte.

§  Es war dabei eindeutig nur für den Einsatz als Schmiermittel gekennzeichnet.

§  Die Behörden werfen Harles und Jentzsch vor, bewusst und systematisch betrogen zu haben, weil sie billiges Industriefett unter tierisches und pflanzliches Futterfett gemischt haben. Die Firma hatte zuvor interne, mit Dioxin belastete Proben geheim gehalten.

§  Die Firma hatte hierfür ein nicht angemeldetes Rührwerk betrieben, um die kontaminierten Fette so lange zu mischen, bis der Grenzwert für Dioxine eingehalten wurde.

 

o  Die Rechtslage ist eindeutig, aber die Futtermittelhersteller und  Lebensmittelkonzerne scheren sich offensichtlich nicht darum. Wichtiger ist ihnen, mit billigen Lebensmitteln große Gewinne zu machen.

 

o  Eigentlich sollten staatliche Kontrollen Pantschereien und Verdünnungen von Schadstoffen verhindern. Doch die seltenen Kontrollen fanden nur im angemeldeten Hauptwerk statt.

o  Die Firma verkaufte ihre Futterfette an 25 Futtermittelhersteller in vier Bundesländern, die wiederum Schweine- und Geflügelzüchter belieferten.

 

o  Ein grundsätzliches Problem sind die unzureichenden Kontrollen der jeweils zuständigen Aufsichtsbehörden, oftmals wegen Personalmangels.

 

o  Aus Niedersachsen stammen 40% der in Deutschland hergestellten Futtermittel. Dennoch gab es dort zum Zeitpunkt des Dioxin-Skandals lediglich 12 Kontrolleure. Oft wurde sich auf die Eigenkontrollen der Futtermittelindustrie verlassen.
Erschwerend kommt hinzu, dass es noch nicht einmal ein einheitliches Kontrollmanagement in Deutschland gibt.

 

  • Bei den EHEC-Infektionen hat das Europäische Lebensmittel- und Futtermittel-Schnellwarnsystem versagt.
  • Im liberalisierten Binnenmarkt der EU haben Profite Vorrang vor dem Gesundheitsschutz der Bevölkerung. Lange Transportwege und viele Zwischenhändler erschweren die Rückverfolgbarkeit von Lebensmitteln.

  • Es ist unabdingbar, dass die Menschen immer wissen, woher ihre Lebensmittel kommen und wie sie produziert wurden. 
    Dies beinhaltet auch, dass landwirtschaftliche Erzeuger vor unkalkulierbaren wirtschaftlichen Risiken geschützt werden.

 

  • Größere Investitionen in die risikobasierte Lebensmittelforschung wären kurzfristig hilfreich, bei der die gesamte Lieferkette berücksichtigt werden muss.

  • Warum die EHEC-Erreger so gefährlich wurden, ist noch nicht abschließend geklärt.

o  Ein Verdacht ist, dass das Kraftfutter die Kühe erst zu einem Hort gefährlicher Keime gemacht hat. Das ist das Ergebnis einer Studie, die in der Fachzeitschrift Science 1998 für Aufregung gesorgt hatte und im Zuge der EHEC-Epidemie von der Ärztezeitung wieder bekannt gemacht wurde.

o  In den Futterträgen landet eine Mischung aus Getreide, Heu, Stroh, Soja- und Maisschrot, Zuckerrübenprodukten oder auch Silage, einem Gärprodukt aus Mais oder Gras.

o  Die Studie hat gezeigt, dass die Rinder nach drei Wochen Heufütterung nur noch 20.000
E.-coli Keime in einem Gramm Kot hatten.

Rinder, die gleichzeitig mit einer Getreide lastigeren Ration gefüttert wurden, schieden 6 Millionen Keime aus.

o  Nach Ansicht der Forscher lässt eine getreidereiche Fütterung den Säuregehalt im Verdauungstrakt der Wiederkäuer stark steigen, so dass vor allem säureresistente EHEC-Keime einen Überlebensvorteil haben.

o  Eine Lösung wäre, Rinder artgerecht auf der Weide zu halten und mit Gras zu füttern - nur so ließe sich EHEC vollständig aus der Lebensmittelkette heraushalten, sagen die Autoren der Studie.
Damit würde man ein grundsätzliches Problem der industrialisierten Landwirtschaft angehen.

o  Die Folge der geänderten Fütterung wäre, dass Kühe statt 10.000l "nur" noch 7.000l Milch pro Jahr produzieren würden.
.

o  Die Kühe wurden soweit gezüchtet, dass sie mittlerweile Kraftfutter vorziehen, da sie mit Heu und Gras ihren Energiehaushalt nicht decken können.
Schlicht gesagt, auf natürliche Weise werden die Tiere einfach nicht mehr satt.


Greenpeace nennt auf seiner Website die unsachgemäße Verabreichung von Antibiotika als möglichen Verursacher von EHEC und anderen Tierseuchen:

  • Den meisten Tieren werden in der Massentierhaltung regelmäßig Antibiotika ins Futter gemischt, um kostspielige Krankheiten zu unterdrücken.

  • Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation WHO trägt der weit verbreitete Gebrauch derartiger Medikamente in der Tierhaltung zur Entstehung Antibiotika resistenter Mikroorganismen bei.
    Dadurch wird es noch schwieriger, Infektionskrankheiten bei Mensch und Tier in den Griff zu bekommen.

  • Gegen Antibiotika widerstandsfähige Krankheitserreger wurden in den vergangenen Jahren wiederholt über Fleisch, Rohmilch oder Eier auf den Menschen übertragen.
    Die Folge: Es drohen Behandlungs-Notstände in der Humanmedizin. Ärzte werden machtlos, weil die Wunderwaffe Antibiotikum nicht mehr wirkt.

  • 50% der in Europa eingesetzten Antibiotika werden Tieren verabreicht, auch um ihr Wachstum zu beschleunigen. Auch Impfungen sind ein Problem

(letzter Punkt Quelle: EurActiv)

 

  • Am Ende zeigt sich, dass solche Vorfälle von den Regierungen meistens ausgesessen werden oder, dass der Druck mit knackigen Worten abgefedert wird.

  • Während des Dioxinskandals hat die Bundesverbrauchsministerin Ilse Aigner versprochen, die Sicherheitsstandards zu erhöhen.

  • Der Gesetzesentwurf zur Änderung des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches (LFGB) fiel jedoch sehr schwach aus.
    Die verschiedenen Maßnahmen können einfach umgangen oder nur schwer kontrolliert werden.
    Die Dioxinbelastung der Bevölkerung lässt sich so nicht senken.

  • Effektiv hingegen wäre es, jede Charge ohne Ausnahmen auf Dioxine zu testen.  Die Ausnahmeregelungen müssen abgeschafft werden, sonst bleiben alle Maßnahmen letztlich wirkungslos.

 

Was wir in der EU brauchen ist folgendes: (angelehnt an Forderungen von Greenpeace)
Einen Umbau der Landwirtschaft. Weg von der industriellen Landwirtschaft und hin zu

-        Anbaumethoden, die für Menschen UND Tiere verträglich sind.

-        Es dürfen keine Urwälder oder Moore für landwirtschaftliche Nutzung abgeholzt / bzw. trocken gelegt werden.

-        Reduzierung der Stickstoffüberversorgung der Böden.

-        Die Agrarsubventionen sollen an ökologische Kriterien gebunden werden.

-        Ziel muss eine fleischreduzierte, klimafreundliche Ernährung sein.


Vielen Dank!

Weitere Fotos von der Agrarkonferenz in Schwerin (25. Juni 2011) finden Sie hier.