Die Macht des Öls

Gegen die Kapitalmacht der Ölkonzerne ist Druck von unten notwendig, wenn die Öko-Revolution demokratisch und solidarisch sein soll, meint Sabine Leidig.

Die größte Ölpest in der Geschichte der Menschheit hat sich in diesem Sommer vor der US-amerikanischen Ostküste entwickelt. Rund fünf Millionen Barrel (mehr als 650000 Tonnen) Öl sind in den Golf von Mexiko geströmt.

Die Wildschutzgebiete im Mississippi-Delta sind verschmutzt. Die Auswirkungen für Zehntausende brütende Küstenvögel sind verheerend. Seit Juni 2010 gilt vor der Küste Floridas ein Fischfangverbot. Die mehr als 5600 eingesetzten Fahrzeuge, darunter Schiffe, Helikopter, Bulldozer und Lastkraftwagen, haben viele weitere ökologische Schäden angerichtet. Beim Versuch, den Ölteppich kontrolliert abzubrennen, kam es zu einer erheblichen Luftverschmutzung. Die Schadstoffe aus dem Öl bleiben als Rückstände im Meer und gelangen in die Nahrungskette. Im Juli 2010 sagte die amerikanische Ratingagentur Moody’s voraus, dass bis Ende des Jahres 17000 Arbeitsplätze an der Golfküste wegfallen könnten. Im schlimmsten Fall können es sogar über 100000 Jobs werden, die der Ölpest zum Opfer fallen.

Als die Bohrplattform Deepwater Horizon hoch ging, fiel der Ölkonzern BP tief. BP wurde zum Buhmann. Die Medien stellten BP in eine lange Tradition von Umweltschweinereien großer Ölkonzerne. Das ist zutreffend, aber vergleichbare Sündenregister haben auch viele andere Öl-Multis. Auf einer Anhörung in Washington Mitte Juni 2010 wurden Studien zitiert, wonach die gesamte Ölbranche in den USA im Jahr 2008 gerade einmal 20 Millionen US-Dollar in Sicherheitsmaßnahmen investiert hat. Das sind weniger als 0,01 Prozent ihres Jahresprofits von 290 Milliarden US-Dollar.

Vor allem bei den US-amerikanischen und den europäischen Ölkonzernen besteht das Geschäftsmodell in erster Linie im Offshore-Business. Im Golf von Mexiko bohren fast alle Großen: neben BP auch Chevron (USA), Shell (britisch-niederländisch), Eni (Italien), Statoil (Norwegen), Exxon (USA), Repsol (Spanien) und Total (Frankreich). Von der gesamten täglich geförderten Rohölmenge stammt heute ein knappes Drittel aus Funden, die unter Wasser liegen. Acht Prozent werden über Tiefseeplattformen gepumpt, bei denen sich das Bohrloch mehr als 1000 Meter unter dem Meeresboden befindet. Solche Tiefseebohrungen gibt es erst seit gut einem Jahrzehnt. Aber bereits im Jahr 2020 sollen 30 Prozent des Öls aus großen Tiefen unter dem Meeresboden kommen. Die Risiken steigen.

Drill, baby, drill – immer weiterbohren!

Doch so genau wollen das viele Berichterstatter nicht mehr wissen. Das Bohrloch ist mittlerweile verstopft. BP-Chef Hayward musste seinen Hut nehmen. Das Kapitel scheint geschlossen, und das Thema verschwindet aus den Medien. Andere fatale Naturkatastrophen – Überschwemmungen in China und Pakistan sowie Waldbrände in Russland – beanspruchten die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit. Dabei ließe sich leicht ein beängstigender Bogen schlagen: Es existieren Zusammenhänge zwischen der Ölpest, der Klimaerwärmung und einer Wirtschaftsweise, die von Profitsteigerung und dem Verbrennen fossiler Ressourcen geprägt ist.

Dafür gibt es einen abgeleiteten und einen letztendlich entscheidenden Grund: Da ist zum einen der hohe Ölpreis, der die immensen Investitionen und die immer größeren Gefahren lohnend macht. Der zweite und eigentliche Grund ist der Oil Peak. Damit wird jener Punkt beschrieben, an dem der Gipfel, also das Maximum der täglichen Ölextraktion erreicht ist (siehe Grafik). Dieses Datum markiert den Anfang vom Ende einer sehr kurzen Zeitspanne, in der die Menschheit sich entwickelt, indem sie fossile Rohstoffe verbrennt. Seit den 1960er Jahren ist die Entdeckung neuer Ölfelder rückläufig, ihre durchschnittliche Größe wird kleiner. Einige der großen angezapften Ölfelder sind bereits versiegt, bei anderen sinkt die Förderung drastisch. Experten haben berechnet, dass der Gipfel der Erdölgewinnung entweder bereits erreicht ist oder dass dieses Ereignis kurz bevorsteht.


Risiko Marktkräfte

Bei einem kaum mehr steigerbaren Angebot und einer wachsenden Nachfrage kennt der (Öl-)Preis jedoch nur eine Bewegung: Es geht, mehr oder weniger steil, nach oben. Der Rohölpreis liegt heute bei 70 bis 90 US-Dollar je Barrel und damit mehr als doppelt so hoch wie vor drei Jahren. Das treibt die Ölkonzerne immer weiter aufs offene Meer hinaus, immer tiefer unter den Meeresboden, nach Grönland und Alaska, in die Arktis und die Antarktis. Auf der Jagd nach gigantischen Profiten ist ihnen kein Weg zu weit, kein Risiko zu groß, solange der Hunger nach immer mehr Öl anhält.

Das Dezernat Zukunftsanalyse des Zentrums für Transformation der Bundeswehr hat jüngst eine Studie zu den sicherheitspolitischen Implikationen von Peak Oil erstellt. Darin warnt es vor tiefen ökonomischen und politischen Krisen, sollte es nicht rechtzeitig gelingen, den globalen Ölverbrauch zu reduzieren. Diesen Fall, der in der Wissenschaft Tipping Point genannt wird, beschreiben die Experten der Bundeswehr als systemisches Risiko. Nachdrücklich betonen sie den »Faktor Zeit«, der »für den Erfolg der Transformation zu post-fossilen Gesellschaften« entscheidend sei. Und sie fügen hinzu: Dieser »Paradigmenwechsel (…) widerspricht ökonomischer Logik und kann deswegen nur in begrenztem Umfang Marktkräften überlassen werden«.

Tatsächlich aber sind es gerade die Marktkräfte, die Konzerne der Öl-Auto-Flugzeugindustrie, die aufgrund ihrer schieren Größe und Kapitalmacht ganz wesentlich die globale Entwicklung bestimmen. Unter den 500 größten Konzernen der Welt, den Global 500, wächst ihr Anteil seit Mitte der 1970er Jahre und liegt bei etwa einem Drittel. Dabei entfaltet das Ölkartell eine besondere Dynamik: Im Jahr 1999 konzentrierte es einen Anteil an der Global-500-Profitmasse von 8,2 Prozent bei einem Umsatzanteil von 7,9 Prozent. Zehn Jahre später waren es bereits 22,5 Prozent, während sich der Umsatzanteil auf 15,1 Prozent belief.


Gegen diese verfestigte Macht sind nachhaltige Reformen nur mit viel Druck von unten vorstellbar, wenn der notwendige Umbau demokratisch und solidarisch sein soll.



Sabine Leidig ist verkehrspolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE