Historikerstreit um Gorleben

Bericht vom Gorleben-Untersuchungsausschuss 17. Juni 2010

Am 17. Juni fanden gleich zwei Anhörungen statt, in denen zuerst Henning Rösel zu Rechtsgrundlagen für Auswahl und Erkundung möglicher Endlager für hochradioaktive Abfälle sprach. Anschließend kritisierte der Historiker Möller das "Tiggemann-Gutachten".

Die Erläuterungen des Sachverständigen Rösel bezogen sich zunächst auf die Zuständigkeiten der einzelnen Behörden. Seine Stellungnahme zur Anwendung des Bergrechts war insofern interessant, als er einräumte, dass man bewusst vermieden hat, nach Atomrecht zu erkunden. Es wäre verhältnismäßig einfach gewesen, ins Atomgesetz eine Regelung aufzunehmen, die auf das Bergrecht verweist und diese verbindet. Man hatte aber Wert darauf gelegt, dass es sich um ein Endlager-Bergwerk handle, mit Betonung auf Bergwerk. Die Vermeidung von Atomrecht bedeutete, dass die Öffentlichkeit nicht beteiligt werden musste. Rösel betonte, es habe keine gesetzliche Grundlage gegeben, die Öffentlichkeit zu beteiligen. Man habe aber trotzdem Öffentlichkeitsarbeit gemacht, zum Beispiel über Infostellen wie in Gartow, wo die Bohrprotokolle einsehbar gewesen sein sollen. Außerdem habe die PTB, bei der Rösel damals beschäftigt war, Öffentlichkeitsarbeit gemacht. Rösel erklärte die besonderen Salzrechte, die noch aus Zeiten des Königreichs Hannover stammen. Die PTB habe laut Rösel durch ihre Ehrlichkeit die Grundeigentümer erst auf ihre besonderen Salzrechte aufmerksam gemacht. Aus den Einschränkungen, die die Salzrechte einzelner Grundeigentümer und deren Verweigerung, unter ihren Grundstücke zu erkunden, leiten sich laut Rösel zwar Probleme ab, die aber einer weiteren Erkundung nicht entgegen stehen.

Der Historiker Dr. Detlev Möller beleuchtete in seinem Vortrag zur Geschichte der Endlagersuche in Deutschland mit Fokus auf Gorleben die Standortauswahl von Gorleben und bezog sich dabei kritisch auf die neuere Studie des Niedersächsischen Ministerium für Umwelt (NMU) durch Dr. Anselm Tiggemann. Die Studie stelle zwar einen wichtigen Beitrag dar, im Zuge der systematischen Untersuchung der Sache müssten aber Fragen der Strategie und Taktik sowie der Inszenierung vorrangig gestellt werden. Wichtige Fragen werden außerdem in der Studie nicht behandelt. Nach Darlegung Möllers ist kurz vor der entscheidenden Sitzung am 11.11.1976, in der Gorleben ins Spiel gebracht wurde, der damalige Wirtschaftsminister Walter Leisler Kiep von Vertretern der Atomindustrie vermutlich auf Gorleben eingeschworen worden. Kiep machte in dieser Sitzung deutlich, dass es eine Präferenz für Gorleben gebe, da bei diesem Standort die „innerpolitische Durchsetzung“ am günstigsten beurteilt werde.

Möller bewertete es aus seiner Verwaltungserfahrung als bemerkenswert ungewöhnlich, dass das Kabinett eine synoptische Gegenüberstellung der Standorte gefordert hatte, aber nur eine Beschreibung geliefert wurde. Zur Sprache kam auch wieder der enorme zeitliche Druck, unter dem die Entscheidung vom 11.11. stand. Möller verwies darauf, dass die Kriterien zur Standortauswahl vorher festgelegt werden müssen und Standorte daraufhin geprüft werden. Dies ist nicht geschehen. Der Ausschluss der Standorte Wahn, Lutterloh und Lichtenhorst der KEWA-Studie fand unter völlig unterschiedlichen Gesichtspunkten statt.

Abseits

Nachdem in der vergangenen Woche Herr Kreusch von der Mehrheitskoalition einen Maulkorb verpasst bekam, setzte sich in dieser Woche das unwürdige Schmierentheater im Ausschuss fort.

Der  Sachverständige Dr. Möller begann seine Erklärung damit, welche Aspekte er in seinen Ausführungen weglassen müsse, da man versäumt hatte, ihm im Vorfeld die Redezeitbegrenzung von 30 Minuten mitzuteilen. Er wurde von der Ausschussvorsitzenden Dr. Maria Flachsbarth gebeten, sich auf den Untersuchungsauftrag zu konzentrieren. Kurz nach Beginn seiner Ausführungen musste die Sitzung jedoch unterbrochen werden, während er sich auf ein Gutachten von Dr. Anselm Tiggemann berief. Herr Dr. Tiggemann, von den Oppositionsfraktionen als Zeuge benannt, ist seit dem 1.Juni mit einer halben Stelle bei der CDU-Fraktion beschäftigt und befand sich im Anhörungssaal. Nach Untersuchungsausschussgesetz darf ein benannter Zeuge der Beweisaufnahme aber nicht beiwohnen, wenn Fragen erörtert werden, zu denen der Zeuge noch gehört werden soll. Der Antrag der Grünen, Herrn Dr. Tiggemann deshalb notwendigerweise von der Sitzung auszuschließen, führte bei der Mehrheitskoalition zu regem Protest. Letztendlich musste aber dem Gesetz gefolgt werden, und Dr. Anselm Tiggemann und mit ihm der als Gast anwesende Matthias Edler wurden von der Anhörung ausgeschlossen. Außerdem wurde – offenbar als Retourkutsche - Ulrich Kleemann, Mitarbeiter bei den Grünen und ehemals beim BfS, spontan als potentieller Zeuge von der Union benannt und musste ebenfalls den Saal verlassen. Die Union konnte keine Begründung nennen, in welchem Zusammenhang Herr Kleemann zum Untersuchungsauftrag steht. Solange aber diese Begründung nicht vorliegt, kann Herr Kleemann nicht als Zeuge benannt werden und er hätte eigentlich weiter an der Sitzung teilnehmen können. Er steht nun bis zur Klärung dieses Dissens der grünen Fraktion nicht mehr im Ausschuss zur Verfügung. Die Opposition sieht in dem Vorgang eine Beschneidung ihres Minderheitenrechts. Seitens der Opposition kam noch der Vorschlag, Dr. Tiggemann und Edler noch vor der Sommerpause am 8. Juli zu hören, damit Dr. Tiggemann der CDU-Fraktion für den Ausschuss wieder zur Verfügung steht. Die Koalition lehnte das ab und besteht auf dem von ihr aufgestellten Zeitplan zur Zeugenbefragung.

Die Befragung des Sachverständigen Dr. Detlev Möller durch den CDU-Obmann Grindel verursachte eine gewisse Aufregung. Als er anfing, Herrn Dr. Möller nach seinem Dienstverhältnis beim BfS auszufragen, konnte Herr Dr. Möller ab einem gewissen Punkt keine Auskunft mehr geben. Die Sitzung wurde unterbrochen, die Öffentlichkeit nach draußen gebeten. Herr Grindel hatte implizit durch die Fragestellung die Glaubwürdigkeit des Sachverständigen angezweifelt. Herr Dr. Möller durfte jedoch schlicht aus seinem Dienstverhältnis heraus zu einigen Fragen keine Auskunft geben. Die bis dahin fehlende Aussagegenehmigung für Herrn Dr. Möller zu allen Fragen des Untersuchungsauftrages wurde vom BfS aber unmittelbar nachgereicht. Dass Herr Grindel trotzdem noch versucht hat, den Sachverständigen als unglaubwürdig darzustellen, zeigte sich an nachfolgender Befragung: Grindel wollte wissen, ob Herrn Dr. Möllers Anstellung beim BfS auf Grundlage einer Ausschreibung erfolgte; ob er vom BfS speziell für den Untersuchungsausschuss angestellt worden sei; welche Rolle seine Arbeit mit den für den PUA bestimmten Akten beim Kontakt mit der Öffentlichkeit spielten. Der Sachverständige konnte alle Verdachtsmomente ausräumen, die Herr Grindel impliziert hat. Herrn Grindels Befragung steigerte sich in einen Stil, den man aus Gerichtsverfahren bei der Vernehmung eines Angeklagten kennt: welche Aussagen seiner Dissertation mit seinem heutigen Dienstverhältnis in Zusammenhang stünden; mit wem er sich über das, was er heute dem Ausschuss sage, abstimmen musste; und letztendlich, als Dr. Möller antwortete, dass zu seinen Aufgaben beim BfS die Sichtung, Bewertung und Erfassung von Akten gehöre, was er denn unter Aktenbewertung verstünde. An dieser Stelle griff ein Mitglied der Opposition ein. Selbst ein anwesender Regierungsbeauftragter des BMU stellte fest, dass Herr Dr. Möller auf solche Fragen nicht antworten müsse, da sie nichts mit dem Untersuchungsauftrag zu tun haben.

Herr Grindel, der in Sitzungen dadurch auffällt, dass er unaufgefordert immer wieder das Wort ergreift, um scheinbar stellvertretend für die Ausschussvorsitzende festlegen zu wollen, was die Opposition fragen darf und was die Sachverständigen antworten dürfen, muss von Dr. Maria Flachsbarth (als tatsächliche Vorsitzende) immer wieder zur Ordnung gerufen werden. Er geht bei seinen Befragungen und Äußerungen so weit, dass er ohne jegliche Basis Verdächtigungen herstellt, die an den Sachverständigen haften bleiben und sie diskreditieren sollen.

Es zeigt sich zum wiederholten Mal, mit welchen Mitteln die Koalition, insbesondere der CDU-Obmann Grindel, die Arbeit des Untersuchungsausschusses behindern will. 

LINKE in Gorleben fragen nach Ölvorkommen

Stark interessiert zeigte sich die Bundestagsfraktion der Partei DIE LINKE am vergangenen Dienstag bei einem Besuch im Gorlebener Salzbergwerk. Mit von der Partie waren auch der lokale Landtagsabgeordnete Kurt Herzog und die Nachrückerin Johanna Voss aus der Region, die ab November im Bundestag nachrücken wird.Dorothée Menzner, linke Obfrau im Gorleben-Untersuchungsausschuss, fasste die Ergebnisse der Bereisung im Anschluss zusammen. „Die gute Arbeit der Bergleute in Gorleben darf nicht darüber hinweg täuschen, dass es sich von Anbeginn der Standortbenennung um einen der ungeeignetsten Salzstöcke in Norddeutschland handelt. Sollte es jemals zu einem Standortvergleich mit weiteren Endlagerstandorten in Deutschland kommen, so wird Gorleben mit Sicherheit auf der Strecke bleiben!“

Was die Abgeordneten aus Ost und West-Deutschland besonders verwundert hat, ist die Tatsache, dass von der Explosion eines Ölbohrturmes bei Lenzen, im Jahr 1968 , bis heute niemand von der Betreiberseite etwas gehört hat. Damals war im Salzstock Gorleben-Rambow in 3.000 m Tiefe ein unter hohem Druck stehendes Gas-Ölgemisch angebohrt worden und explodiert. Das Feuer konnte erst nach 2 Tagen gelöscht werden. – Obwohl allgemein bekannt ist, dass Öl- und Gasvorkommen bevorzugt im Bereich von Salzstöcken anzutreffen sind, ist diesem Verdacht nie offiziell nachgegangen worden. Menzner fand unterdessen bei der Begehung unter Tage, die Öltropfstelle im Erkundungsbereich 1 sei größer geworden, seit ihrem letzten Besuch. „Auf jeden Fall werden wir diesen ungeklärten Fragen im Untersuchungsausschuss nachgehen“, bekräftigt Menzner auch im Anschluss bei einer Diskussionsrunde mit erfahrenen Atomkritikern aus dem Wendland im Cafe Schwedenschanze. Zuvor hatten sich die Abgeordneten vom Aussichtsturm ein Bild vom bisher fast unerforschten Nordteil des Salzstockes Rambow gemacht. Hier vom Höhbeck ist die Stadt Lenzen und der Rudower See wunderbar zu sehen, der im Übrigen vor 13.000 Jahren entstand, weil der Salzstock darunter ausgewaschen worden war und das Deckgebirge eingebrochen ist. – Keine gute Voraussetzung zur sicheren Atommülllagerung für hunderttausende von Jahren.

 Personalien:

  • Dr. Detlev Möller ist Geschichtswissenschaftler und hat zur "Endlagerung radioaktiver Abfälle in der Bundesrepublik Deutschland" promoviert. Er war auch Sachverständiger beim parlamentarischen Untersuchungsausschuss zur Asse des niedersächsischen Landtages
  •  Henning Rösel war Vizepräsident des Bundesamtes für Strahlenschutz