Nichts gesehen, nichts gehört, nicht zuständig

Obwohl mit 65 Jahren einer der jüngeren Zeugen des Untersuchungsausschusses, war Hubert Steinkemper, Ministerialdirektor im Bundesumweltministerium (BMU), für die Gorleben-relevanten Fragen ein Totalausfall. Der Zeuge erinnerte sich nicht an Gespräche oder Dokumente, auch nicht an die für den Ausschuss wichtigen Treffen mit den Energieversorgungsunternehmen Mitte der 90er Jahre. Obwohl er dabei war.

 

Vielleicht fällt die Erinnerung so schwer, weil Hubert Steinkemper heute noch im BMU als Abteilungsleiter tätig ist, wenn auch für einen ganz anderen Bereich, in den er bereits 1999 überwechselte. Vielleicht will der von der Koalition bestellte Zeuge weder seinem Abteilungsleiter-Kollegen (im selben Alter) Gerald Hennenhöfer (der im September vernommen wird) ans Fell, noch seine eigene Person auf den letzten Metern vor der Pensionierung irgendwie in Schwierigkeiten bringen. Zudem ist Steinkemper Jurist. Er weiß, dass er aus „eigener Erinnerung“ aussagen sollte. Und das ist für Dinge, die 17 Jahre zurückliegen, denkbar schwer. Er habe sich die Akten angesehen – aber – beim besten Willen – die meisten davon habe er zum ersten Mal gesehen. So erschien es ihm jedenfalls.

Dabei gibt es ein paar wichtige Hinweise in den Akten auf sein Wirken. In einem Spiegel-Artikel von Mitte 1995 wird ein Positionspapier zitiert, das aus seiner Feder stammen soll. Darin steht zum Beispiel unter Punkt 5. „Endlager“:  „Bezüglich des Endlagers Gorleben (…) sind bisher keine Tatsachen bekannt geworden, die die Eignung in Frage stellen. Die Erkundung ist daher fortzusetzen. Einige EVU weisen jedoch darauf hin, daß im Hinblick auf die Abklingzeit der Brennelemente in den Zwischenlagern das Endlager Gorleben frühestens 2030 gebraucht wird. Insofern halten sie hohe Investitionen zur Erschließung des Endlagers zum gegenwärtigen Zeitpunkt für betriebswirtschaftlich unrentabel. Dem steht die Akzeptanzproblematik der Kernenergie („ungelöste Entsorgungsfrage“) entgegen. Eine Einstellung/Verlangsamung der Erschließung sollte daher allenfalls vorgenommen werden, wenn die Erkundung des Salzstocks so ausreichend weit fortgeschritten ist, daß die Eignung als Endlager einvernehmlich positiv festgestellt werden kann.“

Zunächst lässt sich feststellen, dass von dem Verfasser „Erkundung“ und „Erschließung“ unter schieden wird. Erschließung könnte man als bauliche Maßnahme zur Nutzbarmachung verstehen, also Bau eines Endlagers. Die EVU halten den Ausbau des Endlagers zu diesem Zeitpunkt (also 1995) für betriebswirtschaftlich unrentabel, wo doch frühestens 2030 eigelagert werden soll. Das BMU sieht das ganz anders. Sie wollen weiter ausbauen, erschließen, ohne Verlangsamen, ohne Einschränkung. Das BMU treibt, die EVU bremsen, so stellt es sich dar.

Doch Steinkemper kann sich an dieses Papier nicht erinnern, auch nicht, nachdem er es im Ausschuss durchlesen konnte. Er erinnert sich nicht einmal an die Passagen zum EPR (Europäischer Druckwasser-Reaktor), der damals sein Projekt war. Auch nicht, dass in dem Papier darin vor einer Laufzeitbegrenzung der Kernkraftwerke gewarnt und plädiert wird, die „Neubau-Option“ offen gehalten werden sollte. Sonst – wird als Drohkulisse aufgezeigt – würde Deutschland zum „Ausstiegsland“ und damit von der internationalen Entwicklung abgekoppelt, „ein technischer ‚Fadenriß‘, insbesondere Know-how-Verlust  (…) wäre unvermeidlich.“ So das BMU. Die EVU verhielten sich hingegen zögerlich, sahen nicht unbedingt, dass das EPR-Projekt wirtschaftlich ist. Das BMU treibt, die EVU bremsen, auch hier sieht es danach aus.

Doch Steinkemper will sich heute nur noch erinnern, dass er sich frühzeitig für eine Laufzeitbegrenzung der Kernkraftwerke eingesetzt habe. Und will sich selbstverständlich nicht an Spekulationen beteiligen, wer das Papier verfasst haben könnte, noch wer es zur Kenntnis bekommen haben könnte. „Es gibt Papiere, die das Kürzel des BMU tragen, die nicht im Haus geschrieben wurden“. Sogar Gesetzentwürfe beträfe das. - Hört, hört. Davon haben wir auch schon Kenntnis bekommen. Aber dieses hier, um das es geht, das ist mit Sicherheit im BMU entstanden. Da kann sich Steinkemper auf den Kopf stellen.

Der Untersuchungsausschuss wird nach der Sommerpause voraussichtlich nur noch zwei Zeugen vernehmen: Gerald Hennenhöfer (13.09.), unter Bundesumweltministerin Merkel Mitte der 90er Jahre Abteilungsleiter im BMU, was er auch heute wieder ist. Und - falls sich danach nicht noch dringender Bedarf nach weiteren Zeugen ergibt – zum Abschluss die Zeugin Angela Merkel (27.09.).