Unbequeme Familientradition

Im Untersuchungsausschuss Gorleben sagt Andreas Graf von Bernstorff aus, der seit Jahrzehnten die Erkundung des Salzstocks Gorleben unter seinen Ländereien verhindert

Andreas_Graf_von_BernstorffDie meisten Adeligen in Deutschland sind nicht gerade als Querulanten bekannt, sieht man einmal von Einzelnen ab, die einfach gerne ein bisschen auffallen. So einer ist Andreas Graf von Bernstorff gewiss nicht. Er ist ein Konservativer durch und durch, aber keiner, der das Klischee bedient – und einer, der das Denken nicht anderen überlässt. Der Graf ist ein zutiefst moralischer und pietistisch geprägter Mensch, der die Tradition und ein 300 Jahre altes Familienstatut in Ehren hält. Ein Familienstatut, in dem bereits eine frühe Vorstellung von Nachhaltigkeit auftaucht, ein Begriff der im Laufe des 18. Jahrhunderts in der Forstwirtschaft geprägt wurde.

Genau in seinem Metier also, denn Andreas Graf von Bernstorff ist gelernter Forstwirt und Grundeigentümer von mehreren tausend Hektar Wald. Im übrigen sei im Familienstatut festgeschrieben, dass der Grundbesitzer eher als ein Treuhänder zu sehen sei, der dafür Sorge zu tragen habe, den Bestand für nachfolgende Generationen zu erhalten.

Für die Bundesregierungen ist von Bernstorff seit Jahrzehnten wohl doch so etwas wie ein Querulant. Er hat diese mit Klagen gegen die in Gorleben geplanten und gebauten Atomanlagen überzogen wie kein anderer. Man hat ihm Millionen geboten, immer wieder mit ihm verhandelt, ihm mit Enteignung gedroht – und doch bleibt er seit 34 Jahren standfest und verkauft und verpachtet seine Ländereien nicht für die Zwecke eines Endlagers. Seine Ernsthaftigkeit erlaubt es ihm einfach nicht, die Salzrechte unter seinen Grundstücken für ein Endlager zur Verfügung zu stellen, weil er überzeugt ist, dass der Salzstock dafür nicht taugt.

In den 1970er Jahren schon war von Bernstorff mit Ernst Albrecht bekannt. Während der Zeugenvernehmung erzählt der Graf, dass die beiden etwa ein Jahr vor der Standortbenennung Gorlebens in den gräflichen Wäldern auf der Jagd waren. Doch von den Plänen für ein Nukleares Entsorgungszentrum erfuhr der Graf aus der Presse. „Ich persönlich und der Landkreis wurden mit der Nachricht am 22.2.1977 überfallen." Er sei kurz danach nach Hannover gefahren, um mit dem Ministerpräsidenten Albrecht zu sprechen. Der sagte ihm, dass er verstehe, dass ihm das nicht gefiele, aber dass sich die Bevölkerung nach zwei Jahren sicher bereits daran gewöhnt hätte.

Besonders habe von Bernstorff geärgert, dass man von Anfang an vorhatte, nur in Gorleben zu erkunden und an keinem anderen Ort. Es wurde nicht über die Fragwürdigkeit einer solchen Festlegung diskutiert. Auf die Nachfrage der Obfrau der LINKEN, wann er von den Bodenschätzen Salz und Gas unter seinen Grundstücken erfahren habe, sagt er, dass er von dem Gas erst in jüngster Zeit Kenntnis bekommen habe. Als Menzner ein Dokument der Niedersächsischen Landesregierung vom Dezember 1976 zitiert, aus dem hervorgeht, dass im Bereich des Salzstockes Gorleben keine Bohrungen mehr nach Öl oder Gas getätigt werden dürfen, weil dort die Suche nach einem Atommülllager Vorrang vor der Aufsuchung und Förderung von Erdgasvorkommen habe, ist von Bernstorff erstaunt. Man habe ihn – obwohl er direkt betroffen war – davon nicht in Kenntnis gesetzt.

Graf von Bernstorff sieht sich natürlich ganz und gar nicht als Querulant, er bezeichnet sich sogar als besonders staatstragend, weil er im Bewusstsein der Verantwortung für die Zukunft seiner Region und seiner Bürger handelt, im Sinne des Allgemeinwohls also. Als Forstwirt hat er offensichtlich ein besonders tiefes Verhältnis zur langfristigen Bewahrung der Natur, weil man in der Forstwirtschaft eher in Jahrzehnten und Jahrhunderten denkt als in kurzen Fristen.

Der Graf ist ein schönes Beispiel dafür, dass die CDU manchmal mit einem besonders moralischen Konservatismus nicht zurecht kommt. In dieser Partei gewinnt eben oft die Gläubigkeit an Technik und Machbarkeit sowie die Allianz mit der Industrie die Überhand. Das moralische Festhalten an Werten wie Natur und einem Gedanken, der sich ohne Kompromisse der Schöpfung verpflichtet sieht, steht dazu nicht selten in einem Widerspruch. Graf von Bernstorff wurde aus der CDU ausgeschlossen, weil er in einer Kommunalwahl 1981 auf einer unabhängigen Liste gegen die CDU antrat. Das sei allerdings lediglich ein Anlass gewesen, der eigentliche Grund sei aber seine kritische Haltung zur Atomenergie und zu den Endlagerplänen gewesen, ist der Graf bis heute überzeugt.

Die Union hat es sichtlich schwer mit diesem Zeugen. Von seiner Herkunft zu ihrer Klientel zählend, wird man ihm in CDU-Reihen doch nicht habhaft. Also versucht man es unverschämt. CDU-Obmann Grindel zitiert ein ominöses Dokument ohne Quellenangabe. Es geht ihm offensichtlich darum, nachzuweisen, dass der Graf öffentliche Gelder annehme und damit sein Widerstand aufrecht erhalten werde. Es stellt sich heraus, dass es sich hier um gewöhnliche Ausgleichszahlungen handelt, die der Graf zum Beispiel für Salzhalden auf seinen Grundstücken erhält: Entschädigungen, die jedem Grundbesitzer zustehen, in üblicher Höhe, die dafür verwendet werden, um entsprechende Flächen zu pflegen und aufzuforsten. Doch die Union hat keine andere Strategie und rückt nicht davon ab, bis Eckhard Pols (CDU) endgültig jeden Fauxpas der vergangenen anderthalb Jahre übertrifft. Ob der Graf sich nicht einerseits als größter Kritiker darstelle, in Wirklichkeit aber der „größte Profiteur" sei, fragt Pols boshaft und erntet das Gelächter des Saales. Denn wenn man eine Sache dem Grafen nun wirklich nicht vorwerfen kann, dann ist es die persönliche Bereicherung, schließlich hätte er über 30 Millionen für den Verkauf seiner Grundstücke bekommen können.

Bei der Befragung wird zudem ein aktenkundiges 5-stündiges Gespräch thematisiert, das 1998 stattfand. Damals versuchten der damalige Abteilungsleiter im Bundesumweltministerium, Gerald Hennenhöfe,r und der spätere Bundeswirtschaftsminister Werner Müller, den Grafen zum Verkauf seiner Salzrechte zu bewegen. Man signalisierte ihm durch eine bevorstehende Änderung des Atomgesetzes wäre eine Enteignung möglich und dann bekäme er im Zweifelsfall weniger als die Summe, die man ihm nun bot: 12 Millionen D-Mark für die Salzrechte allein unter seinem Boden. Doch bis heute wurde nichts daraus. „Ich habe mich nicht weichklopfen lassen", so von Bernstorff.

Bis heute nicht. Und er nimmt kein Blatt vor den Mund, wenn es um die aktuelle Aushandlung eines „Konsenses" bei der Endlagersuche geht. Von Bernstorff erklärt, das Vertrauen bei der Bevölkerung sei restlos beschädigt, wie eindrucksvoll der aktuelle Castor-Transport wieder gezeigt habe. Die Regierung sei unfähig, glaubhaft zu machen, dass es ihr wirklich darum gehe, Standortalternativen zu suchen. Denn es sei doch offensichtlich, dass man in die neue Standortsuche nur drei Millionen Euro stecke, hingegen in die Weitererkundung Gorlebens weitere 73 Millionen.