Busfernverkehr als Geheimwaffe gegen die Schiene

Das Bus-Projekt der Bundesregierung zielt auf die Ausschaltung der Schiene als flächendeckender Alternative. Zehn Gründe.

Es gibt seit einigen Wochen eine Debatte auch in Umwelt- und Ökologiekreisen, wonach die Zielsetzung der Bundesregierung, zukünftig Fernbus-Linienverkehre zuzulassen, nicht grundsätzlich abzulehnen sei. Fernbusse seien schließlich auch ein umweltfreundliches Fahrzeug usw. Tatsächlich ist die Fernbus-Initiative der Bundesregierung ein wohlüberlegter (FDP-) Schachzug, um den Schienenverkehr massiv abzubauen und die Bahnprivatisierung neu voranzutreiben. Im nachfolgenden soll dies auf zehn Ebenen begründet werden.


1. Umweltfreundliche Busverkehre?
In einigen Berechnungen heißt es, ein Fernbus emittiere weniger Kohlendioxyd (CO2) als die Eisenbahn – jeweils bezogen auf die Fahrleistung.

Selbst das Umweltbundesamt, das eine solche Rechnung veröffentlicht hat, verweist darauf, daß das nur bei gut gefüllten Bussen (Auslastungsgrade von 75-80 Prozent) im Vergleich mit der eher gering ausgelasteten Bahn im Linienverkehr (etwa 40 Prozent) der Fall sei. Wenn wirklich Bus-Linienverkehre eingesetzt werden würden, sei die CO2-Bilanz weitgehend die gleiche.


Dabei muß sicher noch untersucht werden, welche Art Liniendichte dabei gemeint ist. Wenn tatsächlich ein ähnlich flächendeckendes Busliniennetz mit einer
ähnlichen Taktdichte eingeführt wird – also zumindest Stundentakte zwischen den großen Städten – dann dürfte die Bilanz deutlich zugunsten der Bahn ausfallen. Hinzu kommt, daß bei diesen CO2-Bilanzen meist ein Bus mit Tempo 80 km/h mit einem ICEmit Tempo 20 bis 300 km/h verglichen wird. In Wirklichkeit weisen
Schienenverkehrsmittel, die ebenfalls mit nur 100 (oder ggfs. mit 140 km/h) verkehren, in jedem Fall eine positivere Emissionsbilanz auf als Busse.


Vor allem gilt: Das Argument "gleiche CO2-Bilanz" trifft nur zu, wenn der aktuelle Strommix beibehalten wird. Bei einer – sinnvollen – Zielsetzung, so bald wie möglich Strom weitgehend ohne CO2-Emissionen vorzuhalten, könnten Eisenbahnen weitgehend CO- 2frei verkehren. Bei Bussen ist das nicht vorstellbar
– jedenfalls nicht im Überlandlinienverkehr.

2. Warum Busfernverkehre –warum keine O-Busse?
In Städten und im stadtnahen Umlandverkehr könnten Busse durchaus ein sinnvolles, auszubauendes Element darstellen. Vor allem in Form von Oberleitungsbussen, kurz: O-Bussen.


Es ist ausgesprochen interessant, daß in der aktuellen Debatte über einen verstärkten Einsatz von Bussen im öffentlichen Verkehr dieser Aspekt – O-Busse im städtischen und Umlandverkehr – nirgendwo Erwähnung findet. Dabei wäre ein offensives Konzept für die städtischen Verkehre, bei dem Straßenbahnen, S-Bahnen und – dort wo Schienen wenig Sinn machen – O-Busse im Zentrum stehen, durchaus eine sinnvolle Kombination. Es gibt auch heute große Städte, wie
etwa Bern, die Linien-O-Bussysteme im dichten (zehn bis 15-Minuten-) Takt vorhalten.


In der aktuellen Debatte pro Fernverkehr mit Linienbussen geht es im Wortsinne stinknormale Busse, also um von weitgehend mit Dieselkraftstoff angetriebene und unter anderem für Atemwegserkrankungen und für Krebserkrankungen verantwortlich zu machende Busse.


3. Grundkapazitäten
Die Zahl der auf der Schiene beförderten Personen liegt jährlich bei 120 Millionen Fahrgästen im Fernverkehr und bei weiteren 2,1 Milliarden Fahrgästen im Nahverkehr. Insgesamt werden also täglich rund sechs Millionen Menschen in Eisenbahnen transportiert.

Um diese Menschen zu einem größeren Teil mit Bussen zu befördern, bedürfte es einer Armada von vielen Hunderttausenden Bussen. Das ist strukturell kaum
vorstellbar. Man benötigte ja nicht nur die Transportmittel, sondern auch eine entsprechend umfangreiche neue Infrastruktur mit riesigen Busbahnhöfen – wie es
sie teilweise auch in der Dritten Welt, so in Mexiko, gibt. Es wäre unter solchen Bedingungen auch kaum vorstellbar, daß diese Busse, wie die Eisenbahnen, die
Stadtzentren ansteuern könnten. Sie würden in Staus hängenbleiben; eine Zeitzuverlässigkeit könnte nicht gewährleistet werden – ein ″Linienverkehr″ wäre damit nicht darstellbar.


Tatsächlich befinden sich in Ländern, in denen Busfernverkehre im Liniendienst angeboten werden, die Busbahnhöfe meist an den Rändern der großen Städte, oft auch an Autobahnkreuzen usw. Das wäre bereits ein massiver Qualitätsverlust im Vergleich zu dem, was die Bahn bieten kann (wobei die Bahn bereits dabei ist, die Bahnhöfe aus den Citylagen herauszunehmen – so seit den 1960er Jahren in Baden-Baden, so seit den 1980er Jahren mit Kassel- Wilhelmshöhe, so (geplant) im Fall Lindau/Bodensee.

Doch um einen flächendeckenden Linienverkehr, wie es die Bahn bietet, geht es nicht. Vielmehr soll der Bus – wie dies bereits private Bahnanbieter tun – als
Rosinenpicker eingesetzt werden: nämlich dort, wo kurzfristig und viel zu verdienen ist.


4. Preisvorteile des Busverkehrs – externe Kosten des Straßen-und Busverkehrs
Unter den aktuellen Bedingungen können Bus-Linienverkehre Fahrten zu Preisen anbieten, die bei der Hälfte und einem Drittel der Bahnfahrkartenpreise liegen. Es ist klar, daß sich hier ein gewaltiges Gewinnpotential auftut. Wenn Busbetreiber unter diesen Bedingungen ihre Dienste "nur" zu Preisen anbieten, die, angenommen, 25 bis 33 Prozent unter den Bahntarifen liegen, dann dürften die Gewinnmargen deutlich im zweistelligen Bereich liegen. Im Klartext: Solche Gewinne sind traumhaft hoch.


Kein Wunder, daß die FDP es war, die diese Profitmöglichkeit privater Unternehmen ins Zentrum ihrer verkehrspolitischen Forderungen bezüglich des Koalitionsvertrags rückte. Doch diese Preise kommen nur zustande, weil die Verkehrsmarktordnung eine absurd perverse, eine verkehrte ist.

Die verschiedenen Berechnungen der externen Kosten des Verkehrs belegen, daß vor allem der Straßenverkehr der Gesellschaft enorme Kosten aufbürdet, die nicht in den Fahrpreisen enthalten sind. Es gibt konkrete Berechnungen, wonach der Lkw-Verkehr deutliche höhere externe Kosten als der Pkw-Verkehr verursacht – unter anderem durch die massive Abnutzung der Infrastruktur (der Straßen und Brücken), die durch die hohen Lasten der Nutzfahrzeuge verursacht werden. Die Steuern und Mautgebühren, die Lkw bezahlen, decken nur 30 bis 40 Prozent der Kosten, die sie im Straßennetz verursachen.

Eine gesonderte Betrachtung der externen Busbetriebskosten existiert m. E. nicht. Es liegt aber nahe, daß sie ähnlich hoch wie die von mittelschweren Lastkaftwagen sein dürften. Nun zahlen Busse nicht einmal Mautgebühren. Doch auch dann, wenn sie – wie VCD und »Allianz pro Schiene« dies fordern – die gegenwärtig gültigen, extrem niedrigen Mautgebühren zahlen würden, verursachten sie wie die Maut-pflichtigen Lkw weiterhin hohe externe Kosten.

Rechnete man, was Umweltverbände in der Regel tun, diese Kosten in den Busbetrieb ein, müssten sich die Fahrpreise im Bus-Linienverkehr, grob geschätzt,
mehr als verdreifachen. Damit aber wäre der Kostenvorteil der Busfernverkehre im Vergleich zur Bahn komplett dahingeschmolzen. Buslinienverkehre hätten dann keine Chance gegen die Eisenbahn. Obgleich das Wissen um die externen Kosten Allgemeingut ist – zumal bei Umweltverbänden – wird die Integration derselben in solche Buskosten nicht gefordert.


5. Allgemeine Komfortvergleiche
Busse weisen im Vergleich zu Eisenbahnen deutliche Komfortnachteile auf. Der Schienenverkehr dürfte dort, wo er funktioniert – so im Fall der SBB in der Schweiz –, im Vergleich zum Bus beträchtliche Komfortvorteile bieten:


1. Der Bahnbetrieb ist "pünktlich wie die Eisenbahn". Busse können nie eine solche minutengenaue Pünktlichkeitlichkeit garantieren. Das gilt im übrigen auch für Zeiten mit klassischem Winter. Der alte Slogan der Deutschen Bundesbahn aus den 1960er Jahren "Alle reden vom Wetter - Wir nicht" war damals absolut überzeugend. Er wirkt heute geradezu skuril.


2. Eisenbahnen bieten den Reisenden innerhalb des Tansportmittels einen weitgehend einen freien Bewegungsspielraum. In Busfernverkehren ist man weitgehend an seinen Sitz gebunden; in der Regel muss man die Fahrt über angeschnallt in seinem Sitz verbringen.


3. Eisenbahnen können besondere Dienstleistungen wie ein Bordrestaurant, eine Bar/Café, ein Kinderabteil usw. anbieten. Bei Bussen ist dies nicht oder nur sehr eingeschränkt realisierbar.


4. Eisenbahnen können weitgehend barrierefreies Reisen ermöglichen, was ideal ist für Menschen mit Behinderungen, aber auch für Familien mit Kindern, mit Kinderwagen, für Kinder selbst, für Leute mit größeren Gepäck (Instrumente, Skier) usw. Busse können solche Angebote nicht bieten bzw. nur eingeschränkt.


5. Eisenbahnen sind in der Regel mit einem kaum überbietbaren Sicherheitsbonus ausgestattet. Busverkehre weisen in jedem Fall ein deutlich größeres Risiko hinsichtlich Unglücken usw. auf. Schwere Busunglücke sind Alltag, wo Busliniendienste allgemeiner Teil des Straßenverkehrs ist.


6. "Es war ein Nazigesetz, das den Busfern- und Buslinienverkehr verbot"

Die Behauptung, es sei ein NS-Gesetz, das "heute noch" den Busfernverkehr im Liniendienst untersagen würde, stellt eine absurde Verkehrung der Wirklichkeit dar.
Das entscheidende Pesonenbeförderungsgesetz, dass in Paragraph 13 dort Buslinienfernverkehre untersagt, wo "der Verkehr mit den vorhandenen Verkehrsmitteln befriedigend bedient werden kann", wurde erstmals am 21. März 1961 in die Gesetzgebung eingebracht und trat am 1.Januar 1964 in Kraft. Die Nazis als Verteidiger der Eisenbahn zu präsentieren ist infam – und typisch für die Partei (FDP), die in den 1960er Jahren den höchsten Anteil an NSDAP-Kadern hatte. Tatsächlich waren die Nazis erklärte Feinde der Schiene und fanatische Lobbyisten des Autoverkehrs. Die Faschisten in Italien und Deutschland hoben nach ihrer jeweiligen Machtübernahme umgehend alle Tempolimits auf. Mussolini förderte FIAT, Hitler ließ das VW-Werk bauen. Der Leib- und Magenarchitekt Hitlers, Albert Speer, war der erste, der offen erklärte, alle innerstädtischen Bahnhöfe müßten aus dem Zentrum großer Städte – insbesondere aus Berlin, der geplanten Hauptstadt "Germania" – verschwinden und an den Rand der Städte verlegt werden. Mussolini und Hitler förderten die "Autostrade" respektive den "Reichsautobahnbau".


Hitler ordnete an, daß die in öffentlichem Eigentum befindliche, erst seit 1920 als einheitliche Staatsbahn gegründete deutsche Reichsbahn mit ihren Ressourcen
ihre spätere Konkurrenz, den Straßenverkehr, fördern und die Reichsautobahnen bauen solle. Zu diesem Zweck wurde die Reichsautobahn-Gesellschaft als Tochter der Deutschen Reichsbahn gegründet. Die Reichsbahn alimentierte im Zeitraum 1935 bis 1945 massiv den Reichsautobahnbau. Reichsbahnchef Julius Dorpmüller war zugleich Chef der Reichsautobahngesellschaft und wurde 1937 auch noch Reichsverkehrsminister. Die Gleichschaltung wurde im Verkehrssektor so eindeutig wie kaum anderswo durchgesetzt – zugunsten der entscheidenden Orientierung auf den Straßenbau, die Motorisierung für den Krieg und die Pkw-Massenmotorisierung – ergänzt um "Wohnen im Grünen" und "Kilometerpauschale" als ideologische Instrumente zur Einbindung der "Volksgenossen".


Vor diesem Hintergrund allein ist es zu verstehen, dass bereits in den 1930er Jahren ergänzend Bestimmungen erlassen wurden, das die Reichsbahn vor einem
Buslinienverkehr schützen sollte. Dieses Gesetz war damals "weiße Salbe"; eine solche Konkurrenz drohte nicht wirklich, da es kein Autobahnnetz gab (1945 lag die Länge aller Autobahnen auf dem späteren BRD-Gebiet bei weniger als 2 000 Kilometern – auf dem gesamten Gebiet des deutschen Reichs einschließlich der annektierten und eroberten Gebiete waren es 3819 km!. Heute gibt es allein auf deutschem Gebietein Autobahnnetz mit 13.000 km.


7. Beispiele andere Länder
In der taz fand sich am 5.1.2010 ein Artikel, wonach die Zulassung der Buslinienverkehre in Schweden der Bahn nicht geschadet habe. Motto: "Konkurrenz belebt das Geschäft". Andernorts wird das Beispiel der USA genannt, wo die Greyhound-Busse eine positive Rolle bei der Verkehrerserschließung gespielt hätten. Festzuhalten gilt:
In den USA spielten die Greyhound-Linienverkehre ab den 1930er Jahren eine maßgebliche Rolle bei der Zerstörung der Eisenbahnfernverkehre. Diese Busverkehre wurden von den gleichen Autokonzernen gefördert, die gleichzeitig systematisch gegen die US-amerikanischen Schienenverkehrssysteme in den großen Städten vorgingen, ja, die diese auf konspirative Art und Weise zerstörten (siehe den sog. Snell-Report, USA 1974 – verfasst von Bradford C. Snell für den US-Senat).


In Schweden kam es 1999 zur Zulassung der Bus-Linienfernverkehre parallel mit der weitgehenden Privatisierung der schwedischen staatlichen Eisenbahn. Die
schwedische Staatsbahn ging nach der Privatisierung pleite und musste vom Staat mit hohen Kosten teilsaniert werden (Studie Oliver Schöller/Schwedes 2004).


Heute läßt sich in einigen Schwellenländern (und wohl auch in einzelnen EU-Ländern wie Großbritannien oder Spanien) beobachten, wie Busfernverkehre systematisch dazu eingesetzt werden, um die Schiene als alternatives Gesamtsystem zu zerstören. Das war im Zeitraum von 1980 bis 2005 gut in Argentinien und
Mexiko zu beobachten, wo jeweils ein relativ flächendeckendes Schienennetz mit passablen Eisenbahnverbindungen innerhalb von rund 25 Jahren komplett
zerstört wurde – vor allem mit Hilfe eines zunächst preiswerteren Busliniensystems.

8. Busfernverkehre als Zwischenstadium
Oft heißt es, die Buslininienverkehre seien eine sinnvolle "Ergänzung" zum Schienenfernverkehr. Die VCD-Vertreterin Heidi Tischmann geht ein Schrittchen weiter. "Wir begrüßen diese Liberalisierung im Fernverkehr. (...) Hier kann die Bahn Wettbewerb vertragen. Denn hier fährt sie bislang ohne Konkurrenz." (taz vom 5.1.2010).


Tatsächlich steht die Bahn wie kaum ein anderer Betrieb in einem knallharten Wettbewerb. Das gilt gerade für den Schienenfernverkehr. Dieser konkurriert
mit dem Pkw-Verkehr, mit Billigfliegern und vielerorts bereits mit Busbetreibern, die die Lücken in den bestehenden Gesetzen ausnutzen, und längst ansatzweise
Busfernverkehr anbieten.

Das Argument, hier gehe es schlicht um ein nettes Nebeneinander unterschiedlicher Anbieter, bei dem am Ende der Kunde König sei, ist blauäugig. In den USA wurde vorgeführt, daß dieser Buslinienfernverkehr nur das sinnvolle Zwischenstadium zur Zerstörung der Eisenbahnen im Fernverkehr ist. Die berühmte Greyhound-Gesellschaft, die US-flächendeckend diese alternativen Busverkehre angeboten hatte, ging in den 1990er Jahren pleite. Heute gibt es in den USA nur noch einen eingeschränkten Buslinienfernverkehr im Linienbetrieb. Vor allem gibt es kein staatsweites – auch nur im Ansatz flächendeckendes - Schienennetz für den Personenverkehr mehr. Der Buslinienfernverkehr war das Übergangsmodell, mit dem die Schiene als flächendeckende Alternative zerstört wurde. Die Leute wurden in Pkw und Flugzeuge gezwungen.


9. Wo steht die Bahn heute? Welche Wirkung hat zusätzliche, unlautere Konkurrenz?
Die Bahn in Deutschland hat Jahrzehnte lang Verkehrsmarktanteile verloren. Dort, wo sie in jüngerer Zeit ihre Anteile verteidigen konnte, erfolgte dies weitgehend durch gestiegene staatliche Unterstützungszahlungen. Das trifft auf den Schienenpersonennahverkehr zu. Im Schienenpersonenfernverkehr droht der Bahn ohnehin ab diesem Jahr mit der EU-weiten Öffnung des Eisenbahnmarktes enorme
neue Konkurrenz durch private Betreiber, die auch hier als "Rosnenpicker" auftreten und auf einzelnen lukrative Strecken Schienenfernverkehr in Konkurrrenz zur DB AG anbieten werden. Die gesamten Anteile der Schiene im Verkehrsmarkt liegen inzwischen bei sieben Prozent (im Personenverkehr); in einzelnen EU-Ländern nur bei fünf Prozent. Ganz offensichtlich ist es hier entscheidend, ob die Schiene noch ein paar Prozentpunkte verliert – um dann marginalisiert zu sein. Es wird eine Situation wie im Land der unbegrenzten Unmöglichkeiten angestrebt: In den USA
liegt der Anteil der Schiene bei 0,3 Prozent.


Spätestens ab Mai, nach der NRW-Wahl, wird die Bundesregierung mitteilen, daß jetzt "rigoros gespart" werden müsse. Dabei wird sehr wahrscheinlich auch ein Abbau der Regionalisierungsgelder – der staatlichen Unterstützungszahlungen für den Schienenpersonennahverkehr – auf der Tagesordnung stehen. Das stand schon einmal im Zentrum von Sparpläneneiner Art geheimen großen Koalition, einer von Edmund Stoiber (CSU) und Peer Steinbrück (SPD) 2004/2005 angeführten Sparkommission.

Die Bahn im besonderen und der Schienenverkehr im allgemeinen wird spätestens ab 2011 bereits in dreifacher Weise angegriffen: Erstens durch neue private Anbieter, zweitens durch reduzierte öffentliche Unterstützungszahlungen, drittens durch die Privatisierung der Deutschen Bahn (oder ihres Zweigs DB ML) selbst. Wenn unter diesen Bedingungen zusätzlich ein Buslinienfernverkehr zugelassen wird, dann befindet sich die Schiene in einem fast aussichtslosen Vier-Fronten-Krieg.


10. Cui bono – wem nützt es?
Die Debatte über Busfernverkehre wird aktuell weitgehend wie im luftleeren Raum geführt. Wir befinden uns jedoch innerhalb eines politischen Systems, genannt Kapitalismus, und innerhalb eines verkehrspolitischen Rahmens, genannt Öl-Auto-Luftfahrt-Verkehrsgesellschaft.

Alle bisherigen Analysen für den Schienenpersonenverkehr besagen, dass dieser weitere Marktanteile verlieren wird. Vor allem sind sich fast alle Fachleute einig, dass eine Bahnprivatisierung zu einem weiteren Ausdünnen des Netzes und damit zu einem nochmaligen Rückgang der Anteile der Schiene im Gesamtverkehr führen werde. Vor diesem Hintergrund kann die Offensive für Busfernverkehre als Todesstoß für die Schiene betrachtet werden.


Das gilt auch europaweit. Europa ist der einzige Kontinent, auf dem es noch ein weitgehend flächendeckendes Schienennetz gibt. Wenn in Deutschland die Schiene als grundsätzliche Verkehrsalternative ausgeschaltet wird, dann wird das übrige Europa diesem "Vorbild" weitgehend folgen. Das wäre – mit Blick auf die Umwelt- und Klimadebatten und vor dem Hintergrund des Versagens der Kopenhagener-Klima- Konferenz – ein Umwelt- und Klimaverbrechen.


In der Kriminalistik gilt als Klärung der Täter- und Schuldfrage die Regel: Cui bono – wem nutzt es? In der aktuellen Verkehrsdebatte wird dies meist komplett
ausgeklammert. Dazu ist dreierlei festzustellen:

Erstens gibt es im real existierenden Kapitalismus eine Gruppe, die die mit Abstand mächtigste ist. Das ist die Öl-Auto-Flugzeugbau-Airline-Gruppe. Diese Formation konzentriert allein unter den 500 größten Konzernen der Welt rund ein Drittel des addierten Umsatzes auf sich.


Zweitens wurde die Profitabilität dieser Gruppe in jüngerer Zeit im allgemeinen und durch die weltweite aktuelle Krise im besonderem außerordentlich reduziert. Der Pkw-Verkehr in den OECD-Ländern wächst kaum mehr. In der weltweiten Krise ging im Zeitraum 2007 bis 2009 die Herstellung von Kraftfahrzeugen von 72 Millionen (2007) auf weniger als 60 Millionen (2009) oder um rund 25 Prozent zurück. Insgesamt liegen Anfang 2010 die nicht ausgelasteten Kapazitäten im weltweiten Nutzfahrzeugbau bei 40 Prozent. Solche Margen sind mit jährlichen Verlusten in Höhe von Dutzenden Milliarden Euro verbunden. Diesartige Verluste sind in aller Regel mit einem aggressiven Marketing zugunsten einer Wiederlebung dieses spezifischen Marktes verbunden.


Drittens würde in Europa eine Ausschaltung der Schiene als Alternative zum Flugverkehr und zum Autoverkehr (Pkw und Lkw) eine erhebliche Ausweitung
des Verkehrsmarkts für den Straßenverkehr und für den Flugverkehr mit sich bringen. Das wäre pro Jahr mit vielen Dutzenden Milliarden Euro an Extraprofiten
verbunden. Die davon profitierenden Konzerne wären zugleich diejenigen, die in der weltweiten Ökonomie und besonders in der BRD-Wirtschaft maßgebend sind.


Wenn Busfernverkehre eine nicht unwichtige Rolle dabei spielen, die Schiene in Richtung Abseits zu zwingen, haben daran die Autokonzerne, die Flugzeughersteller und die Airlines ein Interesse. Originellerweise sind es dann sogar vor allem Daimler (Mercedes- Busse) und VW (MAN-Busse; MAN ist inzwischen de facto eine VW-Tochter), die sogar direkt von der Ausdehnung der Busverkehre profitieren werden.


Letzten Endes geht es jedoch um die indirekten Gewinne, um eine Umwandlung des europäischen Verkehrsmarkts auf US-amerikanischen Standard – mit entsprechenden gewaltigen Gewinnen für die Ölkonzerne, für die Autohersteller, für die Flugzeugbauer und für die Airlines.


Ach ja. Und natürlich auch für die FDP-CDU-CSUKlientel der privaten Busbetreiber.

 

von Winfried Wolf