Goldrausch im hohen Norden

Hintergrund. Das Eis der Arktis schmilzt – und damit beginnt ein Rennen um die Bodenschätze dieser ökologisch so wichtigen Region

Von Lasse van Aken und Sabine Wils

Es ist mittlerweile allgemein akzeptiert, daß der Klimawandel ein von Menschen verursachtes Problem ist. Nur noch wenige unter den Politikern oder Wissenschaftlern fallen weiterhin mit pseudowissenschaftlichen Verschwörungstheorien auf und verleugnen die Rolle des Menschen. Selbst langjährige Skeptiker wie George Bush haben eingesehen, daß der anthropogene Klimawandel real ist und ein »ernsthaftes Problem« darstellt.

Dennoch sind viele Menschen irritiert über den Widerspruch zwischen der eigenen Wahrnehmung – etwa der in vielen Regionen der Nordhalbkugel sehr kalten Winter in den letzten Jahren – und den abstrakten Folgen des Klimawandels in den kommenden Jahrzehnten. Sogenannte Skeptiker wie der RWE-Manager Professor Fritz Vahrenholt wittern Morgenluft (siehe auch jW vom 15.2. und 1.3. – d. Red.). Sie nutzen die Unsicherheit und machen Stimmung gegen Klimaschutzmaßnahmen.

Vahrenholt steht dabei exemplarisch für das Lager derjenigen, die sich bestimmte Daten herauspicken, die isoliert betrachtet, ihre Thesen stützen. So etwa die Aussage, daß sich die Erde seit 1998 nicht mehr signifikant erwärmt hat. Das ist korrekt. Die Schlußfolgerung, daß damit der Klimawandel gestoppt sei, ist aber so offensichtlich falsch, daß Vahrenholts Versuch als plumpes Lobbying zu erkennen ist. Auch andere Aussagen des RWE-Managers zur angeblich gefälschten »Hockeystick«-Kurve, zu Manipulationen des Weltklimarates IPCC und zur Rolle der Sonne sind eher als Polemik denn als ernstzunehmende Argumentation zu werten.1

Vorab sei gesagt, daß ein oder mehrere harte Winter keinen Beweis gegen die globale Erderwärmung darstellen. Wer das glaubt, verwechselt die Begriffe Klima und Wetter. Genau das macht Vahrenholt. Das Klima ist – grob ausgedrückt – nicht der zwölfjährige Durchschnitt des Wetters, sondern der 30jährige. So lautet die Definition in der Klimaforschung. Tatsächlich bestätigen und vervollständigen kalte Winter unser Bild des Klimawandels.

Vladimir Petoukhov vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) sowie Vladimir Semenov vom Kieler Leibniz-Institut für Meereswissenschaften konnten nachweisen, daß das Schmelzen des Meereises in der Arktis in Verbindung mit extrem kalten Wintern auf der Nordhalbkugel steht. Das geschwundene Eis der Arktis beeinflußt die Wärmebilanz in den hohen Breiten, zonale Winde werden schwächer und ermöglichen Kaltluftausbrüche. So erhöht sich die Wahrscheinlichkeit extrem kalter Winter in Europa, die in unregelmäßigen Abständen auftreten. Fakt ist, daß der globale Aufwärtstrend der Temperaturen seit Jahrzehnten ungebrochen ist. Daran ändern auch regionale Wetterlagen nichts, die öfter vom globalen Trend abweichen.

Globale Auswirkungen

»Das Land unter dem Sternbild des Großen Bären«, wie Arktis übersetzt heißt, ist ein Gebiet, das größtenteils aus dem von Eis bedeckten Nordpolarmeer sowie den nördlichen Teilen Europas, Asiens und Nordamerikas besteht. Trotz der eisigen Bedingungen lebt eine vielfältige Pflanzen- und Tierwelt über und unter dem Wasserspiegel. Die Arktis ist z.B. neben der Antarktis und dem Amazonas einer der Dirigenten der Naturprozesse auf der Erde. Verändern sich die Bedingungen, hat das Auswirkungen auf das globale Klima und die Natur.

Doch das ewige Eis taut. Nach aktuellen Prognosen des US-amerikanischen »Snow and Ice Data Center« wird das Nordpolarmeer in 20 bis 30 Jahren in den Sommern eisfrei sein. Die Eismassen unterliegen zwar jährlichen Schwankungen, aber die Tendenz ist offensichtlich. Das Eis nimmt in seiner Ausdehnung deutlich ab, die Arktis erwärmt sich, genau wie die Antarktis, im globalen Vergleich besonders stark. Mittlerweile unterschreitet die Ausdehnung des arktischen Meereises die Vorhersagen der Rechenmodelle der Klimawissenschaftler deutlich.

Aufgrund der relativ dünnen Schicht von weniger als zwei Metern auf dem Nordpolarmeer kann das Eis dort infolge der Erderwärmung rasch und weitläufig abschmelzen. Anders als Eis, das bis zu 90 Prozent der einfallenden Sonnenstrahlen reflektieren kann und sich quasi selbst kühlt, reflektiert offenes Wasser nur zirka zehn Prozent. Wasser ist ein sehr effizienter Wärmespeicher. Es trägt zur Erwärmung von unten bei und verzögert die Eisbildung im Herbst. Die Folge der Schmelze ist also ein überproportionaler Temperaturanstieg in der Arktis.

Auch das Festland-Eisschild in Grönland verliert rapide an Masse. Anders als bei dem des Nordpolarmeers, das ja im Wasser schwimmt, führt die Schmelze hier zu einem Anstieg des Meeresspiegels. Zuletzt trug der Eisverlust Grönlands etwa 0,7 Milimeter pro Jahr zum globalen Meeresspiegelanstieg bei. Bleibt es bei diesem Trend, werden die schwindenden Festland-Eisschilde2 der dominante Treiber des Meeresspiegelanstiegs sein.

Die sommerliche Eisfläche in der Arktis ist seit Beginn der Satellitenbeobachtung 1972 um 50 Prozent zurückgegangen. Im September 2011 erreichte die Ausdehnung des arktischen Meereises ein historisches Rekordminimum.3 Diese Entwicklung hat neben der Auswirkung auf das globale Klima auch einen verheerenden Effekt auf die regionale Tier- und Pflanzenwelt.

Am Wahrzeichen der Arktis wird das Leid der Tiere deutlich. Forscher berichten, daß immer mehr Eisbären ertrinken, weil die Distanzen zwischen den Eisschollen zu groß sind. Andere müssen immer länger hungernd an Land warten, bis das Meer am Ende des Sommers wieder zufriert. Zum ersten Mal wurde bei Eisbären Kannibalismus beobachtet, weil es nicht genug Nahrung gab. Auch Kleinlebewesen an der Unterseite des Eises, die Ausgangspunkt der Nahrungskette für Fische, Säugetiere und Menschen sind, bleibt immer weniger Raum und Zeit zum Wachsen. Die Tiervielfalt der Arktis hängt gänzlich vom Eis ab und wird sich nicht innerhalb weniger Jahrzehnte an die veränderte Umwelt anpassen können.

Selbst wenn große Gebiete im Winter wieder zufrieren, ist dieses Eis deutlich dünner als jenes, das mindestens einen Sommer überstanden hat. Selbst bei unverändertem Klima braucht die Eisdecke lange Zeit, um sich von einem Negativrekordjahr wie 2007 zu erholen. In der Summe ist eine massive Reduzierung des arktischen Meereises sowohl in der Fläche als auch in der Stärke zu beobachten.

An dem »Frühwarnsystem« Arktis und deren Anrainerstaaten lassen sich besonders gut die Folgen beobachten, die wir global unbedingt vermeiden müssen. Was dort heute geschieht, wird so ähnlich auch in anderen Teilen der Welt passieren. Kleine Siedlungen auf den umliegenden Landmassen der Arktis kämpfen bereits verzweifelt um ihre Existenz. Der Permafrostboden4 taut auf und wird zu Matsch. Dadurch können große Mengen von Methan freigesetzt werden, das einen deutlich stärkeren Treibhauseffekt als CO2 hat. Gleichzeitig ist eine Erosion der Küsten zu beobachten, die bereits zur Umsiedlung mehrerer Dörfer führte.

Tanker und Industriefischer

August 2011. In Murmansk, einer russischen Hafenstadt am Polarkreis, macht sich der Tanker der Panamax-Klasse5 »STI Heritage« auf den Weg nach Map Ta Phut in Thailand. Doch statt die übliche Route gen Süden durch den Suez-Kanal zu nehmen, fährt der Tanker über die kürzere Nordostpassage. Das Schiff ist ohne begleitenden Eisbrecher unterwegs und stellt dabei auch noch einen Rekord auf. Nie zuvor hat ein Tanker die Nordostpassage in nur acht Tagen bezwungen. Geladen hatte der Tanker 61000 Tonnen Gas. Die Route wird im Sommer mittlerweile häufig genutzt. Reeder haben bereits angekündigt, demnächst schon deutlich größere Tanker durch die Arktis fahren zu lassen.

Die Befürchtung, daß mit den eisfreien Nordwest- und Nordostpassagen im Sommer ein extremer Anstieg des Schiffsverkehrs einhergeht, hat sich bewahrheitet. Und auch die bisher kaum ergründeten Fischvorkommen in der Arktis locken. Die großen, industrialisierten Fangflotten dieser Erde werden in Zukunft immer tiefer in die arktischen Gewässer vordringen. Die meisten anderen Meere sind ja bereits überfischt und geben nicht mehr so viel her.

Mit dem wachsenden Schiffsverkehr werden auch immer mehr Schadstoffe in die Arktis eingetragen. Die Tanker verbrennen in ihren Motoren als Treibstoff den Abfall, der in den Raffinerien übrigbleibt. Dieses Schweröl ist eine zähe, schwarze Masse und enthält Schwermetalle und Schwefel. Während Treibstoff für Lkw und Pkw in der EU nur noch einen Schwefelgehalt von 0,001 Prozent aufweisen darf, sind in Schiffstreibstoffen weiterhin 3,5 Prozent Schwefel erlaubt. Derzeit wird zwar im Europäischen Parlament über strengere Grenzwerte verhandelt6, aber diese beziehen sich lediglich auf wenige Gebiete in der Nähe zu europäischen Küsten. Ein weiteres Problem für die Arktis: Auch wenn es strenge Verbote gibt, werden viele Abfälle entsorgt, indem sie über Bord geschmissen werden.

Und natürlich steigt mit jedem Tanker, der die Arktis durchquert, die Gefahr eines Unfalls. Eine Statistik von Greenpeace zeigt, daß in den letzten 40 Jahren etwa alle zwei Jahre ein Tanker verunglückt ist und dabei riesige Mengen Öl austreten konnten. Ein mahnendes Beispiel ist die Umweltkatastrophe, nachdem die »Exxon Valdez« vor der Küste Alaskas auf ein Riff auflief. Nach über 20 Jahren sind heute noch immer starke Verunreinigungen zu beobachten. In der Arktis sind Tankerunfälle besonders tragisch, da auslaufendes Öl wegen der Kälte von der Natur nur extrem langsam abgebaut werden kann.

Run auf Ressourcen

Die strategisch wichtige Lage zwischen Atlantik und Pazifik, unberührte Fischbestände, Kohle, Öl- und Gasvorkommen verursachen eine Art »Gold-Rush«. Jeder will unbedingt ganz vorne mit dabeisein – allen voran die Anrainerstaaten USA mit Alaska, Rußland, Kanada, Norwegen und Dänemark mit Grönland.

Das zurückgehende Eis eröffnet die Möglichkeit, Öl und Gas zu fördern, was dann den Klimawandel weiter befeuert. Ölkonzerne, Drittstaaten, aber auch die EU streiten seit längerem darum, wer die Rohstoffe ausbeuten darf. Schon jetzt wird der Kohlebergbau in den Anrainerstaaten vorangetrieben, der sich in Mitteleuropa oft nicht mehr lohnt und ausläuft. Ein gravierender Eingriff in die Natur.

Noch mehr Hoffnungen setzen die Anrainerstaaten aber auf die Erdöl- und Erdgasvorkommen in der Region. Rund ein Viertel der weltweit noch vorhandenen Öl- und Gasbestände werden in der Arktis vermutet. Allerdings handelt es sich dabei um Schätzungen, die es noch zu überprüfen gilt.7 Beide Ressouren sind definitiv vorhanden, die Menge ist jedoch offen. Die Möglichkeit, an »neue« fossile Brennstoffe und damit zu mehr Unabhängigkeit gegenüber den großen Ölexporteuren im Mittleren Osten zu gelangen, erklärt die Ambitionen der Anrainer. Gleichzeitig wird Erdöl immer wertvoller und knapper, da zur Zeit jedes Jahr so viel verfeuert wird, wie die Natur im Laufe von einer Million Jahren geschaffen hat.

Die Regierung in Washington vermutet, daß 85 Prozent der US-amerikanischen Ressourcen offshore, also unter dem Meer lagern. Das macht es so schwer und gefährlich, die Bodenschätze zu bergen. Es wurde noch nie unter solchen Bedingungen im großen Maßstab gebohrt. Das Equipment muß teilweise noch erfunden werden oder wird zum ersten Mal eingesetzt. Es ist lediglich eine Frage der Zeit, bis es wieder knallt. Durch Bohrinseln, Tankerunfälle oder Raffinerieabwässer gelangen weltweit jährlich etwa sechs Millionen Tonnen Erdöl ins Meer. Eine Umweltkatastrophe riesigen Ausmaßes wie die im Golf von Mexiko leckgeschlagene Ölbohrinsel »Deepwater Horizon« ist hier noch nicht mit einbezogen.

Beim Betrieb der Plattformen wird immer auch Wasser mitgefördert und vor dem Weiterleiten des Öls oder Gases abgetrennt. Die meisten Offshore-Anlagen leiten das Wasser und den Schlamm ins Meer, obwohl sie immer noch bedeutende Anteile Öl enthalten. Erlaubt sind 40 Gramm Öl pro Kubikmeter Wasser, kontrolliert wird aber kaum. Je länger eine Lagerstätte ausgebeutet wird, desto mehr Wasser enthält das geförderte Öl. Bei alten Feldern kann die Förderung aus rund 95 Prozent Wasser bestehen. Die daraus resultierenden Schäden sind in der Arktis besonders groß. Wegen der niedrigen Temperaturen ist die Tätigkeit von Bakterien, die auslaufendes Öl zersetzen können, sehr gering.

Shell hat in den letzten fünf Jahren vier Milliarden US-Dollar ausgegeben, um trotz der Proteste von Naturschützern und Bewohnern Alaskas das Recht zu erhalten, vor der Küste in großer Tiefe nach Öl zu bohren. Mit Erfolg. Im Sommer 2011 hat Obama trotz der Katastrophe im Golf von Mexiko dem Konzern die Erlaubnis dazu erteilt. Das ursprünglich verhängte Moratorium war nicht mehr als eine Beruhigungspille für die Umweltschützer. Shell arbeitet seit Jahren daran, immer tiefer in die Arktis vorzudringen. Eine ganze Serie von Probebohrungen an verschiedenen Orten wird mit dem Ziel durchgeführt, bis Ende des Jahrzehnts kommerziell Öl und Gas zu fördern.

Werden die Bodenschätze der Arktis ausgebeutet, bereitet dies ganz besondere ökologische Probleme. In dieser empfindlichen Umwelt, in welcher sich schon der Abdruck eines Wanderschuhs im Moos erst nach Jahrzehnten wieder verflüchtigt, Eisen kaum rosten will, sich sogar organische Abfälle nur langsam zersetzen, im Wasser schwebende Stoffe langsamer abgebaut werden als andernorts – hier »verzeiht« die Natur Umweltsünden besonders schwer.

Die Europäische Union könnte über Dänemark sowie als wichtiger Abnehmer fossiler Brennstoffe intervenieren oder zumindest bestimmte Standards vorgeben. Auch für die Rechte der Arktisbewohner könnte sie sich einsetzen. Die EU könnte zeigen, daß sie aus ihrer grausamen Kolonialgeschichte ein klein wenig gelernt hat. Das macht sie aber nicht. Im November 2008 veröffentlichte die Kommission die Mitteilung »Die Europäische Union und die Arktis«8, in der sie die europäischen geostrategischen Ziele für die Region vorstellte. Es heißt darin: »Die Ressourcen der Arktis könnten dazu beitragen, die Energieversorgungssicherheit und die allgemeine Rohstoffversorgungssicherheit in der EU zu verbessern.« Brüssel sucht derzeit nach Möglichkeiten, dieses Ziel auch ohne unmittelbaren Anrainerstatus zu erreichen. Die Mitgliedsstaaten haben die Ausrichtung der europäischen Arktispolitik ausdrücklich begrüßt.

Unklare Besitzansprüche

Ursache des »Gold-Rush« ist nicht allein der potentielle Ressourcenreichtum der Arktis. Grund für die Hektik der Staaten und erste Muskelspiele sind die offenen Besitzansprüche. Seit jeher galt der Grundsatz, daß die Arktis, genau wie der Mond, niemandem gehört. Die Anrainerstaaten hatten im Norden ihre natürlichen Grenzen, und aufgrund der harschen Bedingungen gab es einfach kein geo- oder sicherheitspolitisches Interesse an der Arktis. All das ändert sich derzeit: Das Eis verschwindet – und die Arktis gewinnt rasant an Bedeutung. Es geht um wirtschafts- und sicherheitspolitische Interessen. Spätestens mit dem Hissen der russischen Flagge auf dem Grund des Nordpolarmeeres im Sommer 2007 wurde die Polregion zum Politikum.

Bisher beschränkte sich die Auseinandersetzung darauf, geologische Beweise zu sammeln, um Ansprüche mit Hilfe der UN-Seerechtskonventionen durchzusetzen. Darauf einigten sich die Anrainer, auch »Arctic Five« genannt, bereits 2008. Die Staaten versuchen jeweils nachzuweisen, daß die Kontinentalsockel ihrer Gebiete unter Wasser weit ins Polarmeer reichen. Der Meeresboden dort ist gebirgig und erlaubt unterschiedliche Interpretationen. So haben russische Geologen bereits »festgestellt«, daß der Sockel ihres Landes einmal quer über den Nordpol bis zur anderen Seite des Eismeeres reicht. Genau dort sind Dänen aktiv und versuchen, das Gleiche andersherum zu belegen. Über die Gebietsansprüche entscheidet die UN-Sockelkommission, verweist aber auf bilaterale Verhandlungen, wenn zwei Staaten aufgrund geologischer Daten Ansprüche auf dasselbe Areal erheben.

Einer der höchsten NATO-Generäle, der amerikanische Admiral James Stavridis, hat bereits vor möglichen Konflikten gewarnt. Differenzen wurden bis dato friedlich ausgeräumt. Der Klimawandel mit seinen Folgen gefährdet nun das alte Gleichgewicht. In einem Papier der britischen Regierung9 warnte Stavridis davor, die Arktis als eine Zone des Wettbewerbs zu sehen, da damit die Schwelle, daß aus ihr eine Konfliktzone gemacht wird, sehr niedrig wird.

In den vergangenen vier Jahren wurde in der Region mächtig aufgerüstet. Die Anrainerstaaten investieren massiv, um ihr Militär fit für die Arktis zu machen. Es wird spezielles Kriegsmaterial angeschafft, und die Armeen bilden eigene Einheiten für die dort herrschenden Bedingungen aus. Neu sind in ihrem Umfang auch die zahlreichen Patrouillenfahrten von Kriegsschiffen. Es werden militärische Übungen durchgeführt.

Auch die EU sieht europäische Sicherheitsinteressen durch die neuen Möglichkeiten in der Arktis berührt. Die Kommission will sich dafür einsetzen, die »Exploration, Förderung und Beförderung der Kohlenwasserstoffressourcen der Arktis zu erleichtern«. Brüssel bekennt, daß dies »Streitigkeiten über Handelsrouten, Meeresgebiete und vormals unerreichbare Ressourcen auslösen« kann und nimmt damit militärische Konflikte in Kauf.

Was tun?

Die Arktis steht unter massivem »Beschuß«. Das wärmere Klima, steigender Schiffsverkehr, die Ausbeutung der Ressourcen, Umweltkatastrophen, aber auch das Ozonloch und Rußwolken aus Europa gefährden sie.

Die Arktis muß geschützt werden, da sie für das globale Klima eine elementare Rolle spielt und das Abschmelzen der Polkappe ein Desaster für die Menschheit wäre. Die Anrainerstaaten und die EU müssen ihre rein profitorientierten Interessen aufgeben und sich um den Schutz der Region bemühen. Brüssel macht sich unglaubwürdig, wenn es gleichzeitig den Klimaschutz vorantreiben und in einem extrem sensiblen Umfeld Öl und Gas abbauen will.

Die Ölkonzerne verwenden nur zwei Prozent ihrer Investitionen für erneuerbare Energiequellen und stecken noch immer 98 Prozent in die Erschließung von Öl- und Gasvorkommen. Die Manager verkünden ihre Botschaft vom ewigen Überfluß und verschließen die Augen vor der Tatsache, daß die Ressource nicht erneuerbar ist. Hier ist EU-Politik gefordert, mit einer strengen Regulierung dafür zu sorgen, daß die Konzerne mehr in erneuerbare Energie investieren, statt mit immer höheren Kosten für alle Öl und Gas zu fördern.

Umweltverträglichkeit und Nachhaltigkeit bleiben, auch wenn dies anders kommuniziert wird, bei den Plänen der EU komplett auf der Strecke. Die Europäische Union ist aufgefordert, einen Vertrag durchzusetzen, der militärische Operationen sowie den Abbau von Bodenschätzen in der Region um den nördlichen Pol herum untersagt. Was in der Antarktis möglich war, muß auch in der Arktis möglich sein!

Anmerkungen

Sabine Wils ist seit 2009 für Die Linke Abgeordnete im Europäischen Parlament. Sie ist Mitglied im Ausschuss für Umweltfragen, Volksgesundheit und Lebensmittelsicherheit sowie stellvertretendes Mitglied im Ausschuss für Verkehr und Fremdenverkehr.

Lasse van Aken, Mitarbeiter von Sabine Wils, war vorher für Greenpeace tätig. Seine Schwerpunkte sind Umwelt-, Verbraucherschutz- und Verkehrspolitik.

Erschienen in der jungen Welt vom 05.03.2012