Recycling von Schiffen

Die Schiffsrecycling-Verordnung der EU (Ratsdoknr. 08151/12) soll die gegenwärtige Praxis des Abwrackens von EU-Schiffen, vor allem in Südasien, verbessern. Jedes Jahr werden mehr als 1.000 ausgediente große Handelsschiffe wie Tank- und Containerschiffe verschrottet. Zumeist in Werften in Indien, China, der Türkei und in Bangladesh sowie Pakistan. Bislang erfolgt dies unter katastrophalen Arbeitsbedingungen, die die menschliche Gesundheit und die Umwelt stark gefährden.
Die Lage dürfte sich noch weiter verschlechtern, weil damit zu rechnen ist, dass in den kommenden Jahren eine große Anzahl Schiffe aufgrund der derzeitigen Überkapazität der weltweiten Flotte, die nach Schätzungen noch mindestens fünf bis zehn Jahre anhalten wird, abgewrackt wird.

In den letzten Jahren, insbesondere seit 2010 bis heute wurden verstärkt Neubauten in den Markt eingeführt - darunter viele Megacontainerschiffe mit 13.000 und mehr Standardcontainer (TEU). Diese drängen nun kleinere und ältere Schiffe aus dem Markt. Die Entwicklung wird voraussichtlich 2015 ihren Höhepunkt erreichen, weil dies das endgültige Ausmusterungsdatum für Einhüllen-Öltankschiffe darstellt.
Aufgrund der Weltwirtschafts- und Finanzmarktkrise 2008/2009 kam es zu einem starken Einbruch des Gütertransportaufkommens, dramatisch sinkende Tarife und großen Überkapazitäten. Laut Infodienst Alphaliner wuchs die Gesamtkapazität der global stillliegenden Container-schiffflotte zu Beginn des Jahres auf 595.000 TEU an.
Um dies zu unterbinden, wurde im Mai 2009 von der Internationalen Maritimen Organisation (IMO) die International Convention for the Safe and Environmentally Sound Recycling of Ships oder kurz Hong Kong Convention (HKC) verabschiedet, die jedoch noch nicht in Kraft getreten ist. Vor 2015 ist dies auf Grund des Zustimmungsquorums laut Experteneinschätzung auch unwahrscheinlich, denn bisher hat noch kein Land die HKC unterzeichnet. Es liegen nur „Signierungen“ von Frankreich, Italien, den Niederlanden, Saint Kitts and Nevis und der Türkei vor. Allerdings will China im nächsten Jahr ratifizieren, ebenso Frankreich. Zusätzlich arbeiten Norwegen, die Türkei, Japan und einige andere Länder an der Ratifizierung. Das Abkommen tritt in Kraft, 24 Monate nachdem es 15 Länder ratifiziert haben, die über 40 % der Tonnage der weltweiten Handelsflotte verfügen. Der Zeitpunkt der Ratifizierung von Deutschland ist nicht bekannt.
Weltweit würde die HKC zirka 50.000 Schiffe über 500 Bruttoraumgehalt (Ladevolumen von Handelsschiffen) betreffen. Über 40% davon gehören europäischen Reedern.  Es würde  Umwelt- und Arbeitsstandards vorschreiben, die Bauwerften, Hersteller, Zulieferer, Reeder und Abwrackwerften betreffen.
Bereits heute werden Schiffe unter EU-Flagge nach der geltenden EU Abfallverbringungs-ordnung 1013/2006  als gefährliche Abfälle eingestuft, die nur unter bestimmten Standards in den OECD-Ländern abgewrackt werden dürfen. Sie wird jedoch systematisch umgangen, 2009 wurden über 90% dennoch außerhalb abgewrackt. Die neue Verordnung soll die bestehende Verordnung in diesem Punkt ersetzen.
Die EU fordert ihre Mitgliederstaaten (MS)  in Ratsdok. 8173/12 dazu auf, das HKC Abkommen zu ratifizieren und will damit das globale Inkrafttreten beschleunigen. Parallel dazu soll in der Übergangszeit mit der Verordnung 08151/12 erreicht werden, dass die bestehende Praxis, Schiffe vor dem Abwracken auszuflaggen oder aus einem außer-europäischen Hafen auf eine Abwrackwerft zu schicken, bereits in der Übergangszeit unterbunden werden. Dazu wurde u.a. eine Selbstverpflichtung der Industrie angeregt, diese bereits vorher freiwillig anzuwenden, aber auch in bessere Recycling-Technologien zu investieren. In der Verordnung soll der gesamte Lebenszycklus von Schiffen unter EU-Flagge geregelt werden.  Schiffseigner sollen die MS rechtzeitig über Verschrottungspläne informieren, so das diese überprüft werden können.Verstöße sollen sanktioniert werden.
Viele Vorschläge basieren bereits auf dem 2007 verabshiedeteten Grünbuch zur Verbesserung der Abwrackung von Schiffen (Ratsdok. 10224/07) und der Mitteilung "EU-Strategie für eine Verbesserung des Abwrackens von Schiffen" (Ratsdok. 16220/08). Darin wurde bereits ausführlich beleuchtet, das die meisten Schiffe unter einer Flagge der EU unter umwelt- und gesundheitsschädlichen Bedingungen in Südostasien abgewrackt werden.
Das HOC legt Umweltanforderungen für die Demontage von Schiffen mit mehr als 500 BRT fest und umfasst Anforderungen an Planung, Konstruktion, Wartung und Vorbereitung der Demontage sowie Anforderungen an Demontageanlagen. Danach müssen europäische Schiffe künftig ein Inventar der an Bord befindlichen Gefahrstoffe aufstellen und mitführen (Art. 5). Die an Bord befindlichen Gefahrstoffe (einschließlich Frachtrückständen, Schweröl usw.) müssen reduziert werden, bevor das Schiff an eine Abwrackwerft überführt wird (Art.6). Abwrackwerften werden künftig eine Reihe vom Umwelt- und Sicherheitsauflagen erfüllen müssen (Art. 12 und 13), um in eine Liste der zugelassenen Abwrackwerften aufgenommen zu werden. Europäische Schiffe dürfen nur in Anlagen verschrottet werden, die auf dieser Liste stehen (Art. 14 - 16).
Die gegenwärtige Praxis der Schiffsverschrottung ist völlig untragbar. Die Schiffseigner der Industrieländer lassen ihre ausgemusterte Flotte fast ausschließlich in Abwrackwerften in Entwicklungsländern unter katastrophalen Arbeitsbedingungen und schädlichen Umweltausirkungen verschrotten. Am bekanntesten sind Alang (Indien), in Chittagong (Bangladesch) und in Gadani (Pakistan). Dabei ist Werft eigentlich das falsche Wort. In der Praxis sieht es so aus: Die Schiffe werden einfach bei voller Fahrt auf den Strand gefahren (beaching) und dann von Arbeitern von Hand zerlegt, was ca. zwei Monate dauert.
Alles Brauchbare wird ausgeschlachtet und der Stahl weiterverkauft. Viele alte Schiffe sind stark mit Asbest und anderen gesundheitsgefährdenden Schadstoffen belastt. Die Arbeitszeiten der Arbeiter können bis zu 95 Wochenarbeitsstunden betragen, meist haben sie keine Schuhe und Helme, sondern nur T-Shirts und kurze Hosen. Immer wieder kommt es zu schweren Unfällen mit Toten und Verletzten durch Explosionen oder herabfallende Metallteile. Allein in Chittagong soll es in den letzten 20 Jahren über 1.000 Todesfälle bei der Verschrottung gegeben haben.
Wie schon beim Seearbeitsübereinkommen der ILO hat Dtld. wieder einmal die Chance verschlafen, durch eine frühzeitige Ratifizierung internationaler Seehandelsabkommen eine Vorreiterrolle in der Umsetzung von Umwelt- und Arbeitsstandards zu setzen. Wieder einmal wartet ein internationales Abkommen bis heute darauf, in Kraft zu treten, weil die Industrieländer, die das Problem verursachen, dass das Abkommen lösen soll, es nicht umsetzen.
Es ist gut, dass die EU mit der Verordnung den Ratifizierungsprozess jetzt endlich ins Rollen bringen will und bis dahin eine Übergangslösung schaffen will. Es hat ja mal wieder ein halbes Jahrzehnt gedauert. Es steht auch zu befürchten, dass die Übergangslösung nicht greifen wird, eine freiwillige Selbstverpflichtung der Industrie, die bis zum Inkrafttretens des HKC die Standards bereits jetzt einzuhalten, ist illusorisch. Dadurch würden sich die Abwrackkosten enorm erhöhen und der Konkurrenzdruck im Transportgewerbe wird diese Einsicht sicher unterbinden. Es kann auch nicht verhindert werden, dass die Schiffseigner die Vorschriften umgehen, indem sie ihre Schiffe vor dem Abwracken einfach unter Nicht-EU-Flaggenländer ausflaggen. Dann gelten die Rechtsvorschriften des Billigflaggenlandes und die Umwelt- und Arbeitschutzvorschriften von Singapur, Panama oder den Bahamas bringen uns nicht weiter. Diese unsägliche Praxis muss endlich aufhören. Wie auch bei anderen Regelungen, wie z.B. der Steuersubvention der Tonnagebesteuerung, muss endlich eine konsequente Rückflaggung der deutschen Handelsflotte unter unserer Flagge erreicht werden, mindestens jedoch unter EU-Flagge. Es kann nicht sein, dass uns die Reeder in einem Maritimen Bündnis auf der Nase herum tanzen und ihre Zusagen nicht einhalten. Nur unter hoheitlicher Flagge können auch unsere Gesundheits-, Umwelt- und Arbeitsbedingungen in der Seeschifffahrt umgesetzt werden. Damit nicht nur vor Gericht sondern auch auf hoher See künftig Rechtssicherheit herrscht. DIE LINKE. unterstützt eine sofortige Ratifizierung der Hong Kong Convention und fordert die Bundesregierung dazu auf, innerhalb der EU darauf hinzuwirken, dass auch in der Übergangszeit bis zum Inkrafttreten nicht auf eine Selbstverpflichtung sondern auf eine verbindliche Einhaltung gedrängt wird.