Kultur des Wegschauens

Wieso konnten Autohersteller über Jahre hinweg Autos verkaufen, die bestimmte Grenzwerte nur auf dem Prüfstand einhielten, nicht aber auf der Straße? Wie war es möglich, dass weder das Kraftfahrtbundesamtes (KBA) noch das Verkehrsministerium einschritten, als es deutliche Hinweise von Umweltverbänden wie der Deutschen Umwelthilfe gab? Dies sind einige der wichtigen Fragen, die sich nach dem Auffliegen der Betrügereien bei VW im September 2015 stellten. Der Dieselskandal zeigte ein massives Versagen des KBAs und der Bundesregierung, weshalb der Deutsche Bundestag auf Antrag von DIE LINKE und Bündnis 90/Die Grünen in der letzten Legislaturperiode einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss zum Abgasskandal unter Vorsitz von Herbert Behrens (LINKE) einsetzte. Die achtmonatige Aufklärungsarbeit des Parlaments zeigte auf, dass erhebliche strukturelle Defizite bei der behördlichen Aufsicht durch das KBA über die Automobilindustrie bestehen. Darüber hinaus belegte sie eine Kultur des Wegschauens innerhalb der Bundesbehörde und des Verkehrsministeriums. Die Einflussnahme der mächtigen Automobilkonzerne auf Ministerien und Behörden wurde überdeutlich.

Die Regierungsfraktionen von CDU/CSU und SPD wollten im Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses das Bild einer Politik malen, die im Umgang mit den Autoherstellern alles richtig gemacht hat. Der Skandal sei alleine das Problem eines betrügenden Konzerns und nicht der Politik. Genau in diesem Sinne äußerte sich auch die Bundeskanzlerin vor dem Ausschuss »Wir haben ja keinen Skandal, VW hat einen Skandal«. Es scheint, die Regierungsfraktionen im Bundestag haben vergessen, dass das KBA eigentlich eine kontrollierende Rolle spielen sollte. Die Realität stellt sich anders dar: Die Verklärung des Regierungshandelns hatte Vorrang vor der Aufklärung eines Skandals. Betrogen haben nicht nur VW, BMW, Daimler, Opel und Renault. Auch anderen Herstellern konnte mittlerweile die Verwendung illegaler Abschalteinrichtungen nachgewiesen werden.

Einen Abschlussbericht, in dem sich Regierung und Autoindustrie mit blütenweisser Weste präsentierten, konnte DIE LINKE nicht mittragen und erstellte daher ein eigenes Sondervotum. Darin fordern wir, die Zuständigkeiten für die Zulassung und die Überwachung der Fahrzeuge zu trennen. Die Kumpanei zwischen dem seit Jahren von der CSU geleiteten Verkehrsministerium und der Autoindustrie muss beendet werden. Die Kontrolle der Fahrzeuge sollte daher beim Umweltbundesamt liegen. Eine weitere Forderung ist die Verpflichtung der Hersteller auf Hardware-Nachrüstungen an den manipulierten Diesel-Fahrzeugen. Es darf nicht sein, dass die Besitzer von Diesel-Fahrzeugen für die Manipulationen der Hersteller mit Fahrverboten büßen müssen, obwohl sie die Fahrzeuge in gutem Glauben an deren Umweltverträglichkeit gekauft haben. Mit Hardware-Nachrüstungen können Fahrverbote und Wertverlust von Diesel-Fahrzeugen vermieden werden. Das Abgasproblem in unseren Städten würde deutlich entschärft.

Zudem fordern wir, dass die Hersteller für den betrügerischen Einsatz von Abschalteinrichtungen Bußgelder zahlen müssen. Es ist skandalös, dass die Regierung die gesetzlich vorgesehenen Bußgelder in Höhe von 5.000 Euro pro Fahrzeug bisher nicht verhängt hat. Diese Ungleichbehandlung stellt die Legitimation des Rechtsstaates in Frage: Jeder Ladendieb wird angeklagt, die Autoindustrie lässt man aber laufen.  

 

Der Artikel erschien im DISPUT: https://www.die-linke.de/fileadmin/download/disput/2019/disput_januar2019.pdf