Tagebuch Klimakonferenz Lima - Tag 3

Warten auf das Lima-Momentum
Donnerstag, 11. Dezember 2014: Ein Tag im Zeichen von Yasuní

Gestern habe ich noch eine halbe Stunde nach Mitternacht am Klimakonferenz-Tagebuch geschrieben. In Deutschland ging da schon langsam die Sonne auf, sechs Stunden Zeitverschiebung liegen zwischen Ingolstadt und Lima. Gestern Abend noch ein Treffen mit den Klimazeugen, auf die Beine gestellt von Brot für die Welt, direkt am Pazifikufer, in einem kleinen Lokal. Die kalte Meeresbrise lässt mich für eine Minute vergessen, dass ich in einer Neun-Millionen-Metropole bin. Für mich ist der Austausch mit den Menschen aus aller Welt ein besonderes Highlight. Sie erzählen uns von ihren existenziellen Nöten, Dürren, Hunger, Überschwemmungen und Stürmen. Der Klimawandel wird damit konkret, direkt greifbar und gibt mir Mut, weiter zu machen. Denn immer wieder sind alljährlichen Klimakonferenzen mehr als ernüchternd, was Kraft kostet, sich weiter auf dieser Ebene gegen die Erderwärmung einzusetzen.


Am Donnerstag läutet der Wecker, es ist 6.30 Uhr. 8 Uhr steht wieder Delegationsbesprechung an. Wir werden auf den neuesten Stand gebracht, in welche Richtung es an den Verhandlungstischen gegangen ist. Wieder fällt mir auf, dass die Sprache der Klima-Diplomatie hoch technokratisch ist, für Außenstehende ein Buch mit sieben Siegeln. Es heißt, ein Text für Paris 2015 sei fast fertig verhandelt. Die schlechte Nachricht: Das Papier strotzt voller Forderungen. Alles läuft darauf hinaus, dass über das Sammelsurium erst in zwölf Monaten abgestimmt wird. Wieder einmal kein Konsens, wieder einmal werden Entscheidungen auf die lange Bank geschoben.

Umweltministerin Barbara Hendricks spricht vor kaum besuchter VollversammlungAngedeutet hatte sich die Situation schon gestern. Die Entwicklungsländer bestehen auf weiteren finanziellen Zusagen. Wie sie den Umstieg auf Erneuerbare und Klimafolge-Schäden bezahlen sollen bliebe unklar. Sie bestehen auf einer „überzeugenden“ Darstellung, wann Projekte aus dem Grünen Klimafonds noch vor Paris beschlossen werden. Und wie es nach 2020 überhaupt weitergehen soll. Die Position der Industrieländer ist, dass alle Länder ihren „fairen“ Beitrag zur CO2-Reduktion leisten sollen, ein Novum in der Geschichte der Klimadiplomatie. Ich bin weiter davon überzeugt, dass die Hauptverantwortung für den Klimawandel, und damit für den Klimaschutz, bei den reichen Ländern liegt. Natürlich verstecken sich große Verschmutzter wie Saudi Arabien hinter ihrem alten Entwicklungsland-Status. Das geht natürlich nicht!

Was wir brauchen sind faire Wirtschafts- und Handelsordnungen, Grundbedingung für Klimaschutzpolitik durch alle. Den schwachen Ländern muss geholfen werden, sich zu entwickeln, und Armut zu überwinden. Auch die USA und China müssen sich bewegen, und zwar richtig. Allein flammende Reden von US-Außenminister John Kerry für die News helfen dem Klima auch nicht weiter. Von einem „Lima-Momentum“ ist wenig zu spüren. Trotz der schönen Worte von Umweltministerin Barbara Hendricks vor der Gipfel-Vollversammlung, dass Deutschland seine Klima-Hausaufgaben zu Hause erledigt habe. Die Klimaschutzlücke, Deutschland wird ohne weniger Kohlekraft und Energie-Effizienz seine Klimaziele bis 2020 wohl um bis zu acht Prozentpunkte verfehlen, erwähnt Hendricks nur zwischen den Zeilen. Nach ihrer nüchternen Rede der Umweltministerin, die schon morgen nach Hause fliegt, obwohl der Gipfel wohl auf den Sonnabend verlängert wird, eifrige Pressearbeit der Abgeordneten.

Der Stau macht kurze Wege zu langen Reisen – Lima erstickt an der BlechlawineAuch in Lima beschäftigt uns der Ecuador-Eklat weiter. Eine Journalistin von der Tageszeitung El Universal aus Quito befragt uns im schattigen COP20-Park nach den Umständen des diplomatischen Affronts. Wir geben Auskunft, stellen fest, dass die Pressefreiheit in Ecuador anscheinend intakt ist. Und sind uns einig, dass wir nicht zum Spielball innenpolitischer Reibereien missbraucht werden wollen, schließlich ist El Universo ein wichtiger Akteur im nördlichen Nachbarland Perus.

Dann in den Bus, 45 quälende Autominuten vom Konferenzgelände nach Miraflores. Nach unserer Ausladung (siehe Tag 1) treffen wir Alberto Acosta, einstiger Weggefährte von Präsident Raphael Correa, Ex-Energieminister und unterlegener Präsidentschaftskandidat (2013: 3,2 Prozent). Acosta hat viel Interessantes zu erzählen: Der deutschsprachige Soziologe und Träger des Bundesverdienstkreuzes gilt als Vordenker von Naturrechten. Als Vorsitzender der Verfassungsgebenden Versammlung in dem Andenland hat er mit dafür Sorge getragen, dass Ecuador neben Bolivien die Rechte von Mutter Erde als einziges Land in sein Grundgesetz geschrieben hat. Sein Rat an die deutschen Abgeordneten: Setzt euch weiter für Umweltschutz auch in meiner Heimat an. Lasst euch nichts vorschreiben. Aber setzt auf Deeskalation, um bilaterale Beziehungen, Amazonas-Wald und Umweltschützer nicht zu schaden. Statt Öl zu bohren sollen die Regierungen lieber die Reichen zur Kasse bitten. Das unterschreibe ich natürlich sofort!

Anschließend wieder eine halbe Stunde im Bus, für ein ausführliches Gespräch mit Vertretern der Jugendorganisation YASunidos (ein Wortspiel aus Yasuní und dem spanischen Wort für „vereint“). Am Rande des alternativen Gipfels der Völker im Stadtzentrum, berichten die drei jungen AktivistInnen von ihrem Kampf für eine Volksbefragung, das Öl vom Yasuní-Amazonasgebiet im Boden zu lassen. Das Wahlgericht lehnte die Durchführung einer consulta popular am Ende aus formalen Gründen ab, doch machen die Regenwald-Schützer weiter. Wir bestärken sie, sich für Waldschutz einzusetzen. Und erklären, dass wir stark an einer Weiterführung deutscher Amazonas-Projekte in ihrer Heimat interessiert sind. Nach einem kurzen Schlendern über den Alternativ-Gipfel, wo Bauern und Bäuerinnen Quinoa-Eis, Chips aus blauen Kartoffeln und Bio-Honig anbieten lassen wir einen langen Tag bei einem Empfang der EU-Botschaft in Peru ausklingen. Um kurz vor Mitternacht klappe ich meinen Laptop zusammen, und falle in einen tiefen Schlaf.

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