Atomsubventionen für Hinkley Point: Union und SPD zu feige, zu klagen

Großbritannien möchte ein neues Atomkraftwerk errichten - und extrem subventionieren. Österreich und Luxemburg gehen dagegen mit Klagen genauso auf die Barrikade wie Ökostromanbieter und Kommunen. Allein die deutsche Bundesregierung kneift. Eine Anhörung im Bundestag auf Initiative der LINKEN beleuchtete gestern die Details.

Die zwei Reaktoren von Hinkley Point C mit insgesamt 3,3 GW (der erste britische Atomkraftwerks-Neubau seit rund 20 Jahren) sollen in Südwestengland ab 2023 ans Netz gehen und dann etwa 60 Jahre lang Strom liefern. Gebaut werden die sogenannten Europäischen Druckwasserreaktoren (EPR) von der NNB Generation Company Limited (NNBG), einer hundertprozentigen Tochtergesellschaft des französischen Energieriesen Electricité de France (EDF) mit Unterstützung von chinesischen Partnern.

Die britische Regierung fördert dieses Projekt mit einem „rundum-sorglos-Paket" über Subventionen und Garantien. Überraschenderweise hat die EU-Kommission diese am 8. Oktober 2015 genehmigt, nachdem sie zuvor die Beihilfen sehr kritisch kommentiert hatte. Die staatliche Unterstützung für den Bau und den Betrieb entspreche den europäischen Regeln, teilte die Kommission nach einer Prüfung des Falls seinerzeit in einer Presseerklärung mit. Die schriftliche Begründung wurde erst am 28. April 2015 nachgeliefert. (Beschluss SA.34947, Amtsblatt L 109/44). Österreich und Luxemburg haben angekündigt, gegen diese Entscheidung vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) zu klagen. Die Fristen dafür laufen Mitte Juli 2015 aus. Deutschland wird sich wohl nicht an den Klagen beteiligen, obwohl die Bundesrepublik aus Brüssel in der Vergangenheit mehrere blaue Briefe wegen angeblicher unerlaubter Beihilfen bei der Ökostromförderung erhalten hat. Dies lassen jedenfalls die Debatten im Bundestag zum Thema erkennen.

Der letztliche Ausgang dieser Klagen wird enorme Bedeutung für den europäischen Elektrizitätsbinnenmarkt haben. Denn Hinkley Pont ist erst der Anfang, die Entscheidung der Kommission hat präjudizierende Wirkung auf andere geplante AKW-Vorhaben in Europa. Wird der Unsinn nicht vom EuGH gestoppt, könnten Betreiber auch in anderen Staaten mit Verweis auf die Hinkley-Point-Entscheidung Subventionen von ihren Regierungen verlangen. Eine Renaissance der Atomkraft zu Lasten des Ausbaus erneuerbarer Energien wäre nicht auszuschließen.

Worum geht's genau? Die britische Regierung will der französischen Betreiberfirma EDF staatlich einen Preis von 92,5 Pfund pro Megawattstunde (entspricht heute 12,9 Cent je kWh) plus einem Inflationsausgleich 35 Jahre lang garantieren. Das ist bereits heute drei Mal so viel wie der gegenwärtige Großhandelspreis für Strom. Es liegt auch über den Einspeisevergütungen beispielsweise die Windkraft onshore oder mittlere Photovoltaik im deutschen EEG. Zudem werden letztere nur 20 Jahre gewährt, nicht inflationiert, und sinken für Neuanlagen entsprechend der gesetzlichen Degression. Ab 2017 sind zudem Ausschreibungen für die Ermittlung der Förderhöhe vorgesehen, während die Subventionen für das britische AKW frei vergeben werden.

Im Fall Hinkley Point C zahlt der Staat jeweils die Differenz zum tatsächlichen Marktpreis über den so genannten Differenzvertrag („Contract for Difference" – CfD). Ferner stellt die britische Regierung Kreditgarantien zur Verfügung. Konkret will London der EdF eine staatliche Bürgschaft für sämtliche Darlehen erteilen, die sie auf den Finanzmärkten für den Bau des Kraftwerks aufnimmt. Die Baukosten für das Atomkraftwerk werden auf rund 31,2 Mrd. Euro geschätzt, eine Fremdfinanzierung soll in Höhe von rund 21,6 Mrd. Euro erforderlich sein.

Vorgesehen ist zudem eine Art Versicherung für EDF, sollten künftige britische Regierungen ihre Energiepolitik ändern. Mit dieser „Versteinerung" der Vereinbarung müssten die Steuerzahler also beispielsweise selbst dann einspringen, um die Entlohnung der Betreiberfirma bis zum Ablauf der 35 Jahre zu garantieren, wenn UK aus der Atomkraft aussteigen sollte. Ein Kostenbeitrag von EDF etwa für die Entsorgung des Atommülls findet sich hingegen nirgends.

Die Beihilfen sollen nun laut EU-Kommission keine unerlaubte Staatshilfe darstellen. Die Wende der Kommission erstraunt, hatte sie doch noch bei Einleitung des Beihilfeprüfungsverfahrens im Dezember 2013 (Staatliche Beihilfe SA.34947, Amtsblatt C 69/60), auf weiten Strecken gegenteilig argumentiert.

Die Milliarden Pfund, welche die britische Regierung in Hinkley C pumpen will - vor allem um angeblich bis zu 25.000 Arbeitsplätze zu schaffen -, sind unter u.a. Verweis auf den Euratom-Vertrag von 1957 genehmigt worden. Danach sei die Förderung der Atomkraft ein gemeinsames europäisches Ziel. Es bestehe aber „Marktversagen", weil der Neubau von Atomkraftwerken ohne Staatshilfe nicht mehr zu finanzieren sei, so krude laut ein Argument der Brüsseler Wettbewerbshüter. Um diese Argumentation zu stützen wurden die CfD, die klar Betriebsbeihilfen sind, weil sie je kWh gezahlt werden, und somit in jeder Minute der 35 Jahre den europäischen Strommarkt verzerren, dauerhaft zu Investitionsbeihilfen „umgedeutet", die im Wettbewerbsrecht weniger kritisch beurteilt werden.

Nach Auffassung kritischer Umweltjuristen stehen diese Begründungen aber im krassen Widerspruch zum europäischen Beihilferecht. Das wurde auf der Anhörung im zuständigen Bundestags-Ausschuss für Wirtschaft und Energie zu zwei Anträgen der LINKEN und Grünen in dieser Woche deutlich. Zum einen gebe es kein gemeinsames europäisches Ziel, die Atomkraft zu fördern. Im Gegensatz zu den erneuerbaren Energien, die ein Ausbauziel von 27 Prozent bis 2020 hätten, seien nirgends AKW-Ausbauziele definiert. Es sei in diesem Zusammenhang besonders absurd, dass die Kommission ausgerechnet mit Verweis auf Art. 40 Euratom-Vertrag ein angebliches gemeinsames Interesses des Ausbaus der Atomenergie zur Begründung der Subventionen feststellt, obwohl in den Ausführung exakt dieser Vorschrift des Euratom-Vertrages festgeschrieben wurde, dass keine staatliche Beihilfen in Atomenergieprojekte in der EU fließen sollen (siehe insbesondere Stellungnahme RA Cornelia Ziehm). Es gebe auch kein Marktversagen, sondern nach 60 Jahren Atomkraft offensichtlich ein Technologieversagen. Greenpeace Energy kündigte eine Klage an, da sich durch die Verzerrung des Strommarktes die Einnahmesitutation des Unternehmens verschlechtern werden. Dieser Klage wollen auch einige deutsche Stadtwerke beitreten.

Die derart offensichtlichen Verstöße gegen das EU-Beihilferecht sind es, die Österreich und Luxemburg dazu bringen, gegen die EU-Kommission in dieser Sache zu klagen. Dass sich Deutschland hier nicht anschließt, ist ein Trauerspiel. Es wäre vielleicht dadurch zu erklären, dass die Bundesregierung hier still hält, damit die Kommission weiterhin bei den umfänglichen Industrieprivilegien bei EEG-Umlage und Ökosteuer ein Auge zudrückt.

„Das Rundumsorglos-Paket für neue Atomreaktoren in Hinkley Point muss von der Bundesregierung auch auf dem Klageweg angegangen werden, wie es Österreich vormacht", verlangt dann auch Hubertus Zdebel, atompolitischer Sprecher Bundestagsfraktion DIE LINKE.

Die Abstimmung in der EU-Kommission fiel im Oktober übrigens denkbar knapp aus. Laut Spiegel wurden die Subventionen mit einer Mehrheit von 16 Stimmen gebilligt - notwendig waren mindestens 15 Stimmen. Von den 28 Kommissaren hätten nach Angaben aus EU-Kreisen 16 dafür gestimmt und fünf dagegen. Ein Kommissar habe sich enthalten, sechs weitere Kommissare wären dem Treffen ferngeblieben. In der Regel fällt die EU-Kommission Entscheidungen im Konsens.

Unter der neuen Kommission hätte diese Entscheidung auch ganz anders ausfallen können. Tatsächlich gilt Almunias Nachfolgerin, die Dänin Margrethe Vestager, als weit kritischer gegenüber Atomkraft.