Höchste Zeit für Klimagerechtigkeit

IMG 5816Der CO2-Anteil in der Atmosphäre hat einen neuen Höchststand erreicht, die Folgen der Klimakrise sind nicht nur weltweit, sondern mittlerweile auch in Deutschland zu spüren. Der Weltklimarat hat kurz vor dem Weltklimagipfel seine Warnungen erneuert: Die bisherigen Maßnahmen reichen nicht aus, um zu verhindern, dass die Menschheit in eine Katastrophe schlittert. Das haben die Menschen begriffen, die letzte Woche zu Zehntausenden in Köln und Berlin für Kohleausstieg und Klimagerechtigkeit auf die Straße gehen. Das haben die „Gilets jaunes“, die Gelbwesten, in Frankreich verstanden: Es geht um Klimagerechtigkeit – bezahlen sollen die Verursacher der Klimakrise, nicht die „kleinen Leute“.

Bezahlen sollen die großen Konzerne, die von einer zerstörerischen Handelspolitik begünstigt werden. In die Verantwortung genommen werden muss eine Politik, die jahrelang nicht gehandelt, falsche Anreize durch klimaschädliche Subventionen gesetzt hat. Die Konzerne entlastet und die Kosten auf die Verbraucher*innen abgewälzt haben. Genau gegen diese Politik richten sich die Forderungen der Gelbwesten in Frankreich: Verlagert den Güterverkehr von der Straße auf die Schiene, setzt ein nationales Programm zur Wärmedämmung auf, aber sozial gerecht. Besteuert Kerosin für Flugzeuge und Treibstoff für Schiffe. Macht die Steuererleichterungen für Unternehmen rückgängig. Strom und Gas müssen zurück in die öffentliche Hand. Das sind die Forderungen für Klimagerechtigkeit, an denen deutlich wird, wo sich soziale und neoliberale Klimapolitik voneinander unterscheiden.

Auf dem Weltklimagipfel wird es peinlich für Deutschland

Vor diesem Hintergrund bekommt die UN-Klimakonferenz in Katowice eine besondere Bedeutung: Für die Bundesregierung wird es peinlich. Denn sie steht quasi mit leeren Händen da - jedenfalls, was den Klimaschutz im eigenen Land angeht. Berlin hat die Entscheidung über das Enddatum der Kohleverstromung, und noch wichtiger, über den zeitnahen Einstieg in den Kohleausstieg seit Jahren vertagt. Die so genannte Kohlekommission berät nun darüber, und auch die hat sich vertagt. Mindestens zwei Jahre Verzögerung gegenüber einer Entscheidung schon 2018 sind vorprogrammiert. Zeit, die vielleicht das Kanzleramt hat, nicht aber die Menschen in Bangladesch, auf den Pazifikinseln oder die Bauern in den von Dürre betroffenen Regionen Deutschlands.

Das klimapolitische Versagen ist auch durch eine falsche Sozialpolitik bedingt

Das klimapolitische Versagen Deutschlands in der Energiepolitik wie im Verkehrs- oder Gebäudebereich ist nicht nur Resultat unterlassenen Handelns in den letzten Jahren. Die Blamage in Katowice hat auch eine aktive Seite, und zwar eine brutal sozialpolitische: In den letzten zwei Jahrzehnten haben die verschiedenen Bundesregierungen zu Gunsten von Konzernen, Finanzfonds und Immobilienbesitzern den Niedriglohnsektor ausgeweitet, Löhne gedrückt und von Arbeitnehmer*innen zeitliche und räumliche Flexibilität in einem Ausmaß abgepresst, dass Millionen an der Armutsgrenze entlangschrammen, obgleich manche von ihnen Jobs weit weg vom Wohnort annehmen mussten. Auch jenen droht Abstieg, die sich etwa in einem städtischen mittelständischen Milieu verorten, hier weil die Miete explodiert oder der Zeitjob ausläuft. Das alles hat mit Klimapolitik scheinbar wenig zu tun. Der soziale Kahlschlag erschwert aber jeden Strukturwandel hin zu einer klimagerechten Welt: Es müssen für die Akzeptanz der Energiewende Jobs für die verbliebenden Kumpel in der Lausitz her, zu gleichen Konditionen. Die Autoindustrie muss sich endlich auf die Herausforderungen neuer, emissionsfreier Antriebe umstellen. Mieter*innen wiederum wehren sich nicht grundsätzlich gegen Gebäudeeffizienz. Doch muss sichergestellt werden, dass Sanierungen nicht zur Entmietung genutzt werden. Es braucht einen Plan zur Wärmedämmung, der soziale gerecht ist. Da hilft auch eine Mietpreisbremse, die wirksam ist, wie sie DIE LINKE vorschlägt.

Die Bundesregierung will in der Klimapolitik nicht die soziale Frage stellen

Jede Menge Herausforderungen. Zu bewältigen werden sie nur sein, wenn wir die soziale Frage stellen. Genau das will die Bundesregierung nicht. Klimapolitisch weicht sie allem aus, was diese Konflikte kurzfristig verschärfen könnte, seien es Kohleausstieg, Klimasanierungen oder Regeln, die den Autoverkehr bremsen bzw. den Pkw-Absatz mindern. Dass dabei auch Konzerninteressen bedient werden, wird niemanden überraschen. Doch die Mischung aus Feigheit und Lobbyismus löst kein einziges Problem, sie verschärft sie vielmehr und schafft ständig neue. Das gilt genauso für vermeintlich sichere heimische Jobs, die keine Zukunft haben, wenn die deutsche Politik nicht jetzt das Ruder herumreißt, wie für die Lebensbedingungen vor allem in jenen Weltregionen, die kaum etwas zum Klimawandel beitragen. Tatsächliche Lösungen liegen vielmehr in einem zeitnahen klimagerechten Umbau von Wirtschaft und Infrastruktur, welcher die sozialen Schieflagen dieser Gesellschaft ernsthaft bekämpft, den Strukturwandel begleitet und Beschäftigung sichert und ausbaut.

Da hilft es auch nicht, dass Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) nun den deutschen Anteil am Weltklimafonds auf 1,5 Milliarden Euro verdoppeln will. Mehr Geld für den Globalen Süden ist gut. Aber der Kern der UN-Klimaverhandlungen nach dem Paris-Abkommen dreht sich darum, wie letzteres so umgesetzt werden kann, dass jeder Staat einen angemessenen Beitrag dazu leistet, die Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad, möglichst 1,5 Grad zu begrenzen. Nach dieser Messlatte müsste Deutschland seine Kohlekraftwerkskapazitäten eigentlich schon bis 2020 halbieren. So wie es momentan aussieht, werden bis dahin wohl nur 10 oder 15 Prozent vom Netz gehen – wenn überhaupt.

Die Aufgaben beim Weltklimagipfel

Der Weltklimagipfel in Katowice hat drei Hauptaufgaben. Erstens soll das so genannte Regelbuch zu Paris verabschiedungsreif gemacht werden. Dort soll drinstehen, wie und nach welchen Standards die Erfassung und Berichterstattung von Emissionen und Klimaschutzplänen erfolgen soll. Wie garantiert man beispielsweise, dass das CO2-Äquivalent einer Tonne der gemeldeten unterschiedlichen Treibhausgase auch wirklich einer Tonne entspricht - und nicht mehr oder weniger? Wie also organisiert man das System so, dass Emissionen und Ambitionen zwischen den Staaten vergleichbar werden und sich niemand durch „kreative Buchführung“ unbillige Vorteile verschaffen kann? Zweitens wird weiter hart darüber verhandelt, wie das Versprechen der Industriestaaten umgesetzt werden soll, ab 2020 jährlich 100 Milliarden Dollar in den Süden fließen zu lassen. Mit dem Geld soll dort Klimaschutz und Anpassung finanziert werden. Und drittens wollen die Staaten innerhalb des so genannten Talanoa-Dialogs beginnen, die bislang vorgelegten (im Übrigen unverbindlichen) Minderungsziele so anzuschärfen, dass das globale Paris-Ziel erreichbar wird. Momentan befinden sich nur eine Hand voll Länder auf Zielkurs, Deutschland gehört nicht dazu. In der Summe steuern wir auf eine Welt zu, die gegen Ende des Jahrhunderts mindestens 3,6 Grad wärmer werden könnte. Das wäre eine Erde, wie wir sie nicht kennen und zu der diesjährige Hitze- und Dürresommer hierzulande, die wiederholten Überflutungen in Italien oder die Waldbrände weltweit nur harmlose Vorboten sind.

Nie war es derart deutlich, wie eng Umwelt- und Sozialpolitik, wie sehr die Menschheitsaufgaben einer gerechten Weltwirtschaftsordnung und echter Klimaschutz zusammengehören. Nie war klarer, wie sehr die Jahrzehnte Neoliberalismus in Europa nicht nur schreiende Ungerechtigkeit produziert haben, sondern auch den Kampf gegen die Erderwärmung enorm erschweren. Die Uhr für die Weltgemeinschaft tickt, der Zeiger steht auf wenige Sekunden vor 12. Zeit zu handeln, auf dem Weltklimagipfel, in der internationalen Klimabewegung, auf der Straße und in den Köpfen.