„Lass die Finger davon“

Bericht vom Gorleben-Untersuchungsausschuss 1. Juli 2010

"Lass die Finger davon, das ist nicht Euer Bier." So umschrieb der ehemalige Präsident der Physikalische-Technischen Bundesanstalt (PTB) Prof. Dieter Kind, was seine Mitarbeiter als klare Weisung empfunden haben. Sinngemäß lautete so eine Anordnung des Bundesinnenministeriums vom Mai 1983.

Die Empfehlung, andere Standorte neben Gorleben zu erkunden, wurde auf diese Weisung hin aus dem Zwischenbericht der PTB, der für die Kabinettsentscheidung vom selben Jahr von zentraler Bedeutung war, gestrichen. Der Zwischenbericht der PTB zu den Untersuchungsergebnissen der obertägigen Erkundung von Gorleben verzichtete also in seiner endgültigen Fassung auf die Forderung, weitere Endlagerstandorte zu erkunden. Darin folgten die Wissenschaftler klar dem Willen ihres Dienstherrn, dem Bundesinnenministerium. In der Kabinettsentscheidung wenige Monate später wurde festgelegt, Gorleben als einzigen Endlager-Standort zu erkunden.

Bis in die Abendstunden waren Präsident Kind und seine zuständigen Mitarbeiter Prof. Helmut Röthemeyer und Dr. Heinrich Illi vor dem Gorleben-Untersuchungsausschuss als Zeugen gehört worden. Ob es nun eine dienstliche Anordnung oder eine Weisung war, darüber waren sich Röthemeyer und Illi nicht einig. Dass der Wunsch des Bundesinnenministeriums jedoch befolgt wurde, stand für alle Beteiligten außer Frage, denn es war eine politische Vorgabe von höchster Stelle und der wurde nicht widersprochen. Es wurde im übrigen von den Zeugen nicht als fachliche Einmischung empfunden. Es habe ja schließlich auch nicht im Auftrag gestanden, darüber zu urteilen, ob andere Standorte erkundet werden sollten, so Röthemeyer.

Nach Angaben der PTB-Mitarbeiter waren zu einem Arbeitstreffen unter Fachleuten am 11.05.1983 plötzlich ungebeten Vertreter der betroffenen Ministerien (Wirtschaft, Innen und Forschung) erschienen und - wie Illi es beschrieb - erstmalig auch ein Vertreter des Bundeskanzleramtes, "die sonst nie dabei waren". Statt wie geplant die öffentliche Veranstaltung in Hitzacker vorzubereiten, ging es nunmehr hauptsächlich um Änderungswünsche am Zwischenbericht der PTB.

Ein offizielles Protokoll dieses "Überfall-Termins" liegt nicht vor, lediglich neun Seiten der persönlichen Mitschrift von Illi, die durchaus aufschlussreich sind. Auf die Frage, wer denn die Ministerialen aus Bonn wohl von dem Arbeitstreffen informiert hätte, wurde gemutmaßt dies könne jemand von der DBE  (Deutsche Gesellschaft für den Bau und Betrieb von Endlagern) gewesen sein, da diese strickt gegen die Erkundung weiterer Standorte eingestellt war.

Heinrich Illi hält im übrigen die Bezeichnung „Gutachten“ für den Zwischenbericht für falsch. Denn die PTB war nicht unabhängig, sondern den Weisungen des Bundesinnenministers verpflichtet. Außerdem sagte er: „Die PTB war keine wissenschaftliche Einrichtung, sondern hatte Behördencharakter.“ Deshalb war es auch so natürlich für die Mitarbeiter, den Anordnungen von oben Folge zu leisten.

In fachlicher Hinsicht habe es aber dennoch keinen Einfluss gegeben, so Röthemeyer. Die sicherheitstechnische Bewertung sei nicht verändert worden. Für den Gorleben-Befürworter Röthemeyer hat das Gerede über die damalige Zeit sowieso nur den Wert von „ollen Kamellen“. Was man bei der untertägigen Erkundung vorgefunden habe, sei so positiv, dass die damalige Bewertung keine Relevanz mehr habe, so Röthemeyer. Für Röthemeyer mag der wendländische Salzstock so etwas wie sein Lebenswerk sein. Auch wenn man bis heute nicht endgültig wissen könne, ob er geeignet sei.

Wenn man genau hinsieht, sieht man durchaus fachliche Veränderungen zwischen den verschiedenen Entwürfen und der Endfassung. So ist die Bewertung der „Eignungshöffigkeit“ in den Entwürfen durchaus mit „Risiken“ und „Unsicherheiten“ verbunden. Im Endbericht wird dem Salzstock grundsätzlich „Eignungshöffigkeit“ bescheinigt.

Der Grund für das Vorpreschen der Regierungsvertreter ist für Heinrich Illi überdeutlich: „Man wollte den Atomkonflikt nicht irgendwo hintragen, das ist doch klar.“ Mehrere Standorte hätte denn wohl auch eine Vervielfachung des Protests bedeutet. „Sicher wäre ein Vergleich von Standorten von Wert,“ gibt sogar Röthemeyer zu. Vor allem in anderen Formationen wie etwa Ton. Aber im Salz ist für ihn Gorleben offenbar das höchste aller Gefühle. „Man kann an keinem Ort bessere Ergebnisse erwarten.“ Er sagt „Gorleben ist heute eignungshöffig im Quadrat.“ Er würde dem Salzstock gut und gerne acht Millionen Jahre Isolationspotenzial zubilligen. Illi hingegen hält solche Zukunftsszenarien für „Lesen im Kaffesatz“. „In der Geologie muss man sehr vorsichtig sein, was man prognostiziert.“

NEU!!! Jetzt auch Untersuchungsgegenstand: Pressemitteilungen der Fraktionen

Man sollte meinen, die Grundrechte von Meinungs- und Pressefreiheit gelten auch in Hinsicht auf den PUA. Was man aber am vergangenen Donnerstag noch erleben durfte, bevor hektisch die Öffentlichkeit ausgeschlossen wurde, lässt ein wenig Irrung in diesem Punkt vermuten. Da war eine Vorsitzende Maria Flachsbarth (CDU), die nach Abschluss der Vernehmung des Zeugen Röthemeyer – die Ausschussmitglieder wollten gerade aufstehen, um Pause zu machen – plötzlich nochmal das Wort ergriff und von ihrem gesonderten Befragungsrecht Gebrauch machte: wie denn Herr Röthemeyer die Aussage einer Pressemitteilung bewerte. Einer Pressemitteilung zur gerade abgeschlossenen Vernehmung, deren Urheberfraktion im Saal anwesend wäre. Der Zeuge war irritiert, es entstand Unruhe und Zweifel über die Zulässigkeit der Frage. Dann las Frau Flachsbarth die Mitteilung vor: sie stammte von Sylvia Kotting-Uhl (Grüne). Der Zeuge solle diese bitte bewerten, bei laufendem Protokoll. Resultat: Aufregung und Ausschluss der Öffentlichkeit. Man mag über die Form und Art von Pressearbeit – welcher Fraktion auch immer – trefflich streiten können. Aber Untersuchungsgegenstand ist sie gewiss nicht. Und wo sind wir angekommen, wenn von einer Vorsitzenden suggeriert wird, Pressemitteilungen über die Bewertung der Zeugenaussagen müssten das Wahrheitsbild der Koalition widerspiegeln und bedürften der Zustimmung der Ausschussmehrheit?!

Berliner Stunde - de luxe

Die Berliner Stunde ist das Zeitmanagement, nach dem die einzelnen Fraktionen ihr Fragerecht ausüben dürfen. Sie verteilt sich partiell entsprechend der Fraktionsgrößen, der Aufruf erfolgt im Reisverschlussverfahren: CDU,  SPD, FDP,  LINKE und GRÜNE. Innerhalb dieser Zeit können die Fraktionen ihre Fragen stellen und die Antworten der Zeugen hören. Zu Beginn einer jeden Vernehmung hat die Ausschutzvorsitzende (CDU) das Recht, Fragen zu stellen und Antworten zu hören – ohne Zeitbeschränkung. So gestaltet sich also jede Vernehmung zu Beginn so, dass die Vorsitzende etwa 15 Minuten oder nach Belieben länger befragt, danach 23 Minuten lang die CDU. Abgesehen davon, dass die Berliner Stunde kaum geeignet sein kann, die Minderheitenrechte eines Untersuchungsausschusses zu befördern, wirkt sie sich hier auch noch kontraproduktiv auf die Wahrheitsfindung aus. Denn wenn die Infrastruktur der Wahrheitsfindung an sich bereits parteipolitisch festgeschraubt ist, lässt sich kaum die größtmögliche Objektivität herstellen. Im übrigen sollte sich das Fragerecht der Ausschussvorsitzenden dann aber allenfalls auf Verfahrensfragen beschränken oder dem Zeitkontingent ihrer Partei zu Lasten gehen. Denn es wird langsam langweilig, sich bei jeder Zeugenvernehmung zuallererst eine dreiviertel Stunde die Suggestivfragen der Union anhören zu müssen.

Personalien:

  • Prof. Dr. Helmut Röthemeyer war im Jahr 1983 in der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) als Abteilungsleiter Sicherstellung und Endlagerung tätig. In dieser Funktion war er Mitverfasser des "Zusammenfassenden Zwischenberichts über bisherige Ergebnisse der Standortuntersuchung in Gorleben" vom Mai 1983
  • Dr. Heinrich Illi war im Jahr 1983 in der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt Mitarbeiter von Prof. Dr. Helmut Röthemeyer und hat die Arbeiten an dem "Zusammenfassenden Zwischenberichts über bisherige Ergebnisse der Standortuntersuchung in Gorleben" koordiniert.
  • Prof. Dr. Kind war im Zeitraum 1975 bis 1995 Präsident der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt und stand damit der Behörde vor, der 1983 die Begutachtung des Standortes Gorleben übertragen worden war

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