Lieber den Spatz in der Hand…

Dr. Paul Krull kleinDer Zeuge Dr. Paul Krull ist Geologe und hat die sogenannte Salzstudie der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) von 1995 mitverfasst. Darin wird für Salzstöcke, die als Atommülllager dienen sollen, unter anderem ein gutes Deckgebirge (möglichst Tonschichten über dem Salzstock) als Eignungskriterium formuliert. Zudem wird eine eiszeitliche Rinne (wasserführende unterirdische Schicht über dem Salzstock) negativ bewertet. Der Salzstock Gorleben besitzt kein solches Deckgebirge, das als gute Barriere gegen aufsteigende Radionuklide dienen kann - dafür aber eine eiszeitliche Rinne, die über dem Salzstock fließt und ihn ständig ablaugt. Gorleben erfüllt also zwei wichtige von den staatlichen Geologen geforderte Bedingungen nicht.

Allerdings wurde es 1995 überhaupt nicht mituntersucht, denn es sollte um Alternativen gehen, falls Gorleben sich als nicht geeignet herausstellen sollte. Dass man nun aus Versehen, sozusagen „by the way“ Kriterien formuliert, denen Gorleben nicht standhalten würde, war sicher nicht unbedingt beabsichtigt. 1995 hatte man sich ja schon längst auf Gorleben festgelegt, Schächte gebaut und sich mit der Situation arrangiert. Längst wusste man um das unzulängliche Deckgebirge und hatte von offizieller Seite damit begonnen, die Bedeutung des Deckgebirges klein zu reden. Auch die Subrosion durch die Gorlebener Rinne, die ständig an dem Salzstock „nagt“, wurde klein gerechnet. Längst war man geübt, alle Widrigkeiten in Gorleben als unwichtig zu erachten.

Kein Killerkriterium

Als 1995 die Salzstudie einigen Wirbel verursachte, war man von BGR-Seite bemüht, Gorleben auf keinen Fall in Frage zu stellen. „Es besteht keine Notwendigkeit, Ersatzstandorte zum Salzstock Gorleben zu untersuchen,“ so die offizielle Stellungnahme der BGR von 1995. Dabei hätte genau das passieren müssen. Denn wäre Gorleben in der Salzstudie mituntersucht worden, hätte der wendländische Salzstock als „nicht untersuchungswürdig“ aussortiert werden müssen, so der Geologe Detlef Appel, der sich damit intensiv beschäftigt hat. Statt dessen verstieg man sich zu der Aussage „Alle untersuchten Ersatzstandorte haben sich entweder als nicht geeignet oder jedenfalls weniger geeignet als Gorleben herausgestellt.“ Eine glatte Lüge. Denn an anderer Stelle sagte die BGR, es dürften aus den Untersuchungen „keine  Vergleiche mit Gorleben“ gezogen werden, da der Kenntnisstand über Gorleben und die übrigen untersuchten Standorte zu unterschiedlich sei. Das leuchtet nicht wirklich ein, denn immerhin konnte man die Qualitäten der Deckgebirgsschichten untereinander durchaus vergleichen. Auch wusste man wo eine eiszeitliche Rinne anzutreffen ist, und wo nicht. Es ist für einen Geologen kein Zauberwerk, zu erkennen, dass Gorleben einige äußerst ungünstige Bedingungen besitzt. Das gibt auch der Zeuge Krull zu. In „Tabelle 14“ der Salzstudie hat er die untersuchten Salzstöcke mit Ampelfarben markiert: Grün bedeutet „untersuchungswürdig“, Gelb „mit Einschränkungen“ und Rot „nicht untersuchungswürdig“. Grün sind die Salzstöcke Wahn, Zwischenahn und Waddekath markiert. Gorleben hätte er die Farbe Gelb gegeben, ein Standort mit Makel, aber durchaus akzeptabel, so Krull.

Krull hat sich somit den BGR-Kanon zu eigen gemacht, dass ein Deckgebirge nicht so wichtig sei. Obwohl er nicht zu der „Clique“ in der BGR gehörte, die sich damals bereits seit Jahrzehnten vornehmlich um Gorleben „kümmerten“. Ein schlechtes Deckgebirge sei kein „Killerkriterium“. Der heute 69-jährige Krull kommt ursprünglich aus dem Osten und war als Geologe viele Jahre beim Zentralen Geologischen Institut (ZGI) der DDR beschäftigt, bis er nach der Wende von der BGR als von wenigen DDR-Geologen übernommen wurde. Seine Kenntnis über die ostdeutschen Salzstöcke prädestinierte ihn 1991 zunächst eine Studie über Salzstöcke als Endlagerstandorte in den Bundesländern  Mecklenburg-Vorpommern, Thüringen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg anzufertigen. Sie diente als Vorstudie für die Salzstudie von 1995.

Heute sagt er, man solle die Salzstudie von 1995 nicht überbewerten. Das Deckgebirge habe keine unmittelbare Barrierefunktion, lediglich eine Schutzfunktion, vergleichbar einem Regenschirm. Damit widerspricht er seiner eigenen Studie, in der das Deckgebirgskapitel sogar überschrieben ist mit dem Titel „Bewertung der Barrierefunktion des Deckgebirges“. Durch Johanna Voß (DIE LINKE) mit diesem Widerspruch konfrontiert, sagt er, dass ein intaktes Deckgebirge mit einer guten Barrierefunktion zwar ideal sei, aber nicht entscheidend. Gorleben habe einen guten Innenaufbau und das sei im Zweifel mehr wert als wenn ein Salzstock einen komplizierten Aufbau habe. Über die in seiner Studie grün markierten Salzstöcke wisse man nicht, ob sie nicht einen solchen problematischen Aufbau hätten. 1995 wusste man allerdings auch über den Innenaufbau von Gorleben auch noch nicht besonders viel, Krull muss diese Kenntnis also offenbar erst später erlangt haben. Auch als DIE GRÜNEN ihm nachweisen möchten, dass Gorleben in seiner Tabelle eigentlich die Farbe Rot bekommen müsste, weil sowohl  die Qualität der Barrieren (Tabelle 8 seiner Studie) als auch die Komplikationen (Tabelle 9) gravierend seien, bleibt der Geologe bei seiner Meinung: Mängel ja, aber diese würden nicht zum Ausschluss von Gorleben führen.

Lieber den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach – so klingen die Worte Krulls. Bei Gorleben weiß man eben was man hat, mit all seinen Macken. Das Ideal werde man sowieso nicht finden, so Krull. Es scheint ihn nicht zu stören, dass man tatsächlich nie einen ersthaften Versuch unternommen hat, einen auch nur optimalen Standort zu finden. Die notwendige Sorgfalt, die es gebieten würde, den Menschen dieser und kommender Generationen eine solche Bürde aufzudrücken, lässt diese Haltung vermissen. Man hat einen einzigen Standort – Gorleben – genommen und war ganz schnell dabei zu sagen, es gebe sowieso keinen idealen Standort. Da wird das faule Ei so lange in den Händen gedreht, bis man es gar nicht mehr so schlecht findet. Man hat schließlich nichts anderes und auch kein Geld etwas anderes zu suchen. Das ist eine arg hemdsärmelige Vorgehensweise.

Die Worte der Ministerin

Wie die damalige Bundesumweltministerin Merkel 1995 seine Studie mit den Worten präsentieren konnte „Gorleben bleibt erste Wahl“, wo doch Gorleben gar nicht untersucht worden sei,  will Krull nicht kommentieren. Er hätte diese Worte so nicht gebraucht. Es sei ja dem BMU freigestellt, was es aus den Forschungsergebnissen mache.  Es sei ja doch immer so, dass die Wissenschaft etwas hervorbringe und die anderen dies dann interpretierten. Dazu will er sich nicht äußern. Nur so viel: „Wir hielten es nicht für sinnvoll, einen Vergleich mit Gorleben herzustellen.“ Ist ein Ministerium wirklich so frei, in der Interpretation von Forschungsergebnissen? Kann es wirklich eine Behauptung aufstellen, die mit der präsentierten Studie rein gar nichts zu tun hat? Behauptet die damalige Ministerin nicht gar das Gegenteil von dem, was die Studie hergibt?

Zu DDR-Zeiten hatte sich Krull auch mit der Prospektion von Erdöl und Erdgas beschäftigt. Von Dorothée Menzner (Obfrau DIE LINKE) danach befragt, ob der Salzstock Gorleben-Rambow durchgängig sei, was von westlichen Geologen oft angezweifelt wurde, sagt Krull verwundert:  „Natürlich ist dies eine durchgängige Struktur, warum sollte die nicht über die Grenze gehen.“

Krull ist die Situation in Rambow durchaus bekannt.  Die Frage, wie es sich mit dem Gas verhalte, was DIE LINKE ausführlich in einer Broschüre dargelegt hat, wurde in der Zeugenbefragung ebenfalls diskutiert. Die DDR habe nach der 1969 havarierten Bohrung Z 12 bei Rambow die Suche nach Erdgas aufgegeben. Die betreffende Bohrung sei nach 2 bis 3 Tagen ausgebeutet gewesen. Es habe keine weiteren Hinweise auf Gas gegeben. Im Übrigen hätte die Havarie die DDR nicht davon abgehalten weiter zu bohren. Krull spricht von förderungswürdigem Gas. Welche Auswirkungen ein Gasvorkommen anderer Zusammensetzung dennoch auf ein Endlager haben könnte, ist damit nicht gesagt. In Gorleben hat man nie in die Tiefe von 3.500 Metern gebohrt. In dieser Tiefe werden weitere Gasvorkommen vermutet. In Gorleben ging man aber nur 1.000 Meter tief. Für die Endlagerproblematik und die Gefährdung spielt es dabei keine Rolle, ob das Gas Qualitätsmerkmale als förderungswürdiges Erdgas erfüllt.  Doch Krull versteigt sich am Ende zu der Aussage „Es gibt kein Gas unter Gorleben.“ Gerade so als hätte er schon nachgesehen.

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