"Wochenmarkt statt Weltmarkt"

Dr. Kirsten Tackmann, Agrarexpertin der Fraktion DIE LINKE, findet, dass die Internationale Grüne Woche, die derzeit in Berlin stattfindet, zwei Gesichter hat. Im Interview der Woche äußert sie sich zu den Zielen LINKER Agrar- und Nachhaltigkeitspolitik und der Kritik an industrieller Lebensmittelproduktion, globalem Hunger, Freihandelsabkommen und Agrarexporten.

Kirsten Tackmann, derzeit findet in Berlin wieder die Grüne Woche statt. Sie lädt ihre Besucherinnen und Besucher zu einem "Festival der Sinne" ein. Werden die Deutschen, deren liebste Einkaufsstellen Discounter sind, doch langsam zu Genießern, wenn es um Ernährung geht? Und inwieweit stimmt das romantische Bild von Naturnähe, Handarbeit und Kuschelkälbchen mit dem Alltag der Lebensmittelproduktion in Deutschland überein?

Kirsten Tackmann: Nun ja, das „Festival der Sinne“ ist vor allem ein cleverer Werbespruch der Messe Berlin. Die Branche will sich den 400.000 Menschen natürlich gut verkaufen, die jährlich durch die Messehallen unterm Funkturm schlendern und staunen. Die Botschaft einer heilen Welt wird vor allem auf dem Erlebnisbauernhof zelebriert.  Doch so heil ist die Agrar-Welt nicht, denn den sozial und ökologisch blinden Markt beherrschen die Discounter mit Dumpingpreisen und Druck auf ihre Belegschaften. Deshalb teile ich die Kritik am illusionistischen und kommerzialisierten Konzept der Internationalen Grünen Woche. Andererseits hält sie damit aber auch Alternativen lebendig und motiviert durch eine beeindruckende Vielfalt regionaler Produkte das Interesse, genauer hinzuschauen und andere Kaufentscheidungen zu fällen. Insofern hat die Grüne Woche unterschiedliche Gesichter, die durchaus widersprüchlich sind.

Am Samstag protestierten ebenfalls in Berlin, nur wenige Kilometer von den Messehallen der Grünen Woche entfernt, dreißigtausend Menschen nun schon zum vierten Mal gegen diese Agrarindustrie. Ist den Menschen also bewusst, was schief läuft?

Ja, die Kritik wächst besonders bei der städtischen Bevölkerung. Manche Skandalisierung ist überzogen oder wenig sachlich. Es ist ja nicht alles schlecht, aber einiges läuft doch gehörig schief. Auch immer mehr Landwirtinnen und Landwirte wollen nicht einfach so weiter machen. Die deutsche Agrarpolitik haben viele satt, weil sie den notwendigen Veränderungen oft im Wege steht. Zehntausende haben am Samstag zum vierten Mal die mediale Aufmerksamkeit zu Beginn der Grünen Woche genutzt und gegen Agrar- und Saatgutkonzerne protestiert. Es wehten dort auch rote Fahnen, weil DIE LINKE zum sehr wichtigen Dialog auf Augenhöhe zwischen Landwirtschaft, Verbraucherschaft und Agrarpolitik beitragen will. Ich finde es gut, wenn immer mehr Menschen wissen wollen, woher ihre Lebensmittel stammen und wer sie wie produziert. Es bleibt aber wichtig, das politisch verursachte Marktversagen als wirkliche Ursache der Probleme zu benennen und nicht bei der Kritik individuellen Fehlverhaltens stehen zu bleiben. Dieser gesellschaftspolitische Aspekt unterscheidet uns von der gesamten politischen Konkurrenz.

Welche Einflussmöglichkeiten haben Bürgerinnen und Bürger denn zwischen den jährlichen Demos?

Der dänische Dokumentarfilmer Frank Poulsen hat mal in einer von uns organisierten Filmdiskussion gesagt, der Supermarkt sei nicht der richtige Platz, um die Welt zu verändern. Ja, es braucht andere politische Mehrheiten. Dennoch kann jede und jeder beim Einkauf dazu beitragen. Wer auf regionale und saisonale Ware achtet, wer Bio-Siegel oder Fair-Trade-Logos im Auge behält und sich nicht jeden Tag an der Fleischtheke bedient, leistet einen wichtigen Beitrag zu regionaler Wertschöpfung, schont Umwelt und Klima. Vielleicht noch wichtiger ist, möglichst wenig Lebensmittel wegzuwerfen.

Was muss sich in der Politik ändern, welche Konzepte hat DIE LINKE?

Die Politik muss das unterstützen, z. B. mit besseren Regeln zur Kennzeichnung, Maßnahmen gegen Lebensmittelverschwendung oder Förderung der regionalen Verarbeitung und Vermarktung. Darüber hinaus kritisiert DIE LINKE die Exportorientierung der Agrarpolitik. Und wir fordern eine Politik, die dazu beiträgt, dass sich nicht nur Tiere in den Ställen und auf den Weiden oder Pflanzen und Bienen auf den Äckern wohler fühlen, sondern auch die Beschäftigten in der Landwirtschaft, auf den Schlachthöfen und im Einzelhandel. Hier müssen sich auch die Parlamente engagieren. Agrarproduktion muss Schritt für Schritt sozialer, umweltfreundlicher und ressourcensparender werden. Mit unserem PLAN B haben wir dazu ein, finde ich, plausibles Konzept für unseren Weg bis 2050 vorgelegt: Wochenmarkt statt Weltmarkt.

Parallel zur Grünen Woche tagen Agrarminister aus aller Welt und beraten darüber, wie künftig Krisen gemeistert und Ernährung gesichert werden kann - also über die Seite von Agrarpolitik, die jenseits des "Festivals der Sinne" mehr als eine Milliarde Menschen betrifft, die derzeit Hunger leiden. Haben Sie Erwartungen an dieses Treffen?

Es ist gut, dass Agrarministerinnen und Agrarminister aus aller Welt beim globalen Forum über Ernährungssicherung und ländliche Entwicklung diskutieren. Auch der neue Agrarminister Friedrich hat zum traditionellen Agrarministergipfel eingeladen. Ich hoffe, dass es bei diesen Terminen nicht nur um Schnittchen und den Austausch von Visitenkarten geht. Zu viele wichtige Fragen stehen dringlich auf der globalen Agenda, beispielsweise die Auswirkungen des EU-US-Freihandelsabkommen oder die Frage, warum der Weltagrarbericht von wichtigen Staaten immer noch nicht unterschrieben wurde, obwohl er ein guter Wegweiser ist. Deutschland gehört leider dazu. Für mich ist die globale Ernährungssicherung mit einer weltweiten nachhaltigen Agrarpolitik und direkt mit der Agrarwirtschaft in der ersten Welt verbunden. Durch die indirekte Landnahme zum Anbau von Futterpflanzen für Europas Tröge leisten wir einen Beitrag zur Waldabholzung, Vertreibung Indigener und Kleinbauern und zum Wachstum von Monokulturen, oft auch noch gentechnisch verändert. Das muss ein Ende haben. Daher setzen wir LINKE auf mehr regionale Produktion, Wertschöpfung und Konsum. Die internationale Verantwortung der EU-Mitgliedsstaaten sehen wir weniger im Agrarexport als vor allem in der Unterstützung der Landwirtschaft vor Ort, vor allem der Frauen. Dazu gehört mehr Agrarforschung, Aus- und Weiterbildung sowie die Unterbindung von Boden- und Nahrungsmittelspekulationen.

Quelle: Linksfraktion.de

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