Am Rand, in der Mitte, oben und unten – die „neue“ Anti-AKW-Bewegung

Ursel-Atomfaesser-kleinDie Hochzeiten der Anti-AKW-Bewegung seien vorbei, so schien es noch vor wenigen Jahren. Mit dem Atomkonsens von 2000 hatte die damalige rot-grüne Bundesregierung einen jahrzehntelangen Konflikt befriedet. Zwar gab es Einige, die den Konsens kritisierten. Die darauf hinwiesen, dass er kein Ausstieg, sondern eine Bestandsgarantie für die laufenden Anlagen war. Die davor warnten, dass die Betreiber ihre Atomkraftwerke bis zum nächsten Regierungswechsel hinüber retten würden. Aber viele, die sich engagiert hatten, schienen froh, dass die Kämpfe ein Ende hatten. Und wenn schon die Grünen in der Regierung nicht mehr erreichen konnten, dann musste man eben mit einem Auslaufen der Atomenergie erst 2025 oder später zufrieden sein.

Die "alte" Anti-AKW-Bewegung war erfolgreich gewesen, hatte jedoch ihre eigene Kraft und ihre eigenen Erfolge meist negiert. Ende der 70er bis Ende der 80er Jahre gab es spektakuläre Kämpfe an den Bauplätzen. Whyl, Grohnde, Gorleben, Kalkar, Brokdorf, Wackersdorf - bei diesen Namen steigen Erinnerungen an Bauplatzbesetzungen, Hüttendörfer und eine alternative Lebenskultur auf, aber auch an Hubschraubereinsatz, Wasserwerfer und Tränengas. Obwohl den AtomkraftgegnerInnen die Übermacht des „Atomstaates“ (Robert Jungk) mit all seinem paramilitärischen Gerät und politischen Propagandamitteln gegenüberstand, waren sie erfolgreich: Whyl wurde nicht gebaut, Kalkar nicht in Betrieb genommen und das Projekt, eine Wiederaufarbeitungsanlage in Deutschland zu bauen, ganz aufgegeben. Von den 598 ins Auge gefassten Atomkraftwerken und Wiederaufarbeitungsanlagen in West-Deutschland (KfA Jülich 1978) waren im Jahr 2000 gerade mal 19 in Betrieb. Doch nicht die Erfolge waren im kollektiven Bewusstsein der Bewegung verankert, sondern die Misserfolge.[1]

 

Einen entscheidenden Einschnitt in der gesellschaftlichen Haltung zur Atomenergie brachte die Katstrophe von Tschernobyl. Was laut Betreiber und Politik niemals geschehen konnte, war passiert: der Super Gau, die Zerstörung eines Reaktordruckbehälters und die Freisetzung der todbringenden Radioaktivität eines Reaktorkerns. Anfangs konnte die politische Führung in Deutschland noch von der Informationsblockade der sowjetischen Regierung profitieren, später wurde die Unfallursache auf den sowjetischen Schlendrian und Pfusch geschoben mit dem die westlichen Reaktoren und Betreiber nicht zu vergleichen seien. Doch es nutzte nichts. Die unmittelbare Erfahrung, dass ein Unfall tausend Kilometer weiter östlich dazu führte, dass man in Deutschland das Gemüse aus dem Garten nicht mehr essen sollte und Molke als radioaktiver Abfall durch die Lande rollte, war unauslöschbar. Seitdem gibt es eine konstante Mehrheit in diesem Land, die Atomenergie ablehnt. Allerdings führte die Verbreiterung auch zum Verlust eines Teils der Bewegung. Als plötzlich der Ausstieg aus der Atomenergie quer durch alle politischen Lager denkbar wurde, war klar, dass die Atomfrage keine Staatsfrage mehr war. Es war klar, dass der bundesrepublikanische, kapitalistische Staat und die energiewirtschaftliche Kapitalfraktion auch einen Ausstieg aus der Atomenergie überleben würden. Das war im Juni 1986 bei der Anti-Atom-Konferenz in Frankfurt für Einige Anlass, sich aus der Bewegung zu verabschieden.

2007 war ein wichtiges Jahr für die Entstehung der „neuen“ Anti-AKW-Bewegung. Nachdem der Betreiber des Atommülllagers ASSE II verkündet hatte, dass er die Anlage zur Schließung fluten wolle, regte sich erstmals seit vielen Jahren mehr als nur ein kleiner Widerstand vor Ort. Ein Salzbergwerk mit Atommüll fluten zu wollen, erschien vielen als abstrus und gefährlich. Diskussionen, Recherchen und Aktionen führten letztlich dazu, dass der grob fahrlässige Umgang mit dem Atommüll und der katastrophale Zustand des Atommülllagers ASSE II inzwischen in der bundesrepublikanischen Öffentlichkeit breit bekannt ist. ASSE II ist zum Synonym für die gescheiterte Endlagerpolitik geworden. Doch nicht nur bei den Endlagern „brannte“ es, sondern auch bei den Atomkraftwerken und zwar ganz real. Brand in Krümmel, Kurzschluss in Brunsbüttel - im Sommer 2007 beherrschten die Störanfälligkeit der Atomkraftwerke und die Vertuschungsversuche der Betreiber die Medien. Im Dezember des selben Jahres rüttelte die „KiKK-Studie“ die Öffentlichkeit auf. Sie hatte eine signifikante Erhöhung des Kinderkrebsrisikos in der Umgebung von Atomanlagen festgestellt.

Erstmals deutlich wurde das Erstarken der Bewegung beim Castor-Transport 2008. Zur Demonstration nach Gorleben waren 16.000 Menschen gekommen, so viele wie seit vielen Jahren nicht mehr. Dass es sich nicht nur um eine neue Quantität, sondern auch um eine ganz neue Qualität von Bewegung handelte, zeigte die Lichterkette Braunschweig – ASSE II – Schacht KONRAD. An einem Donnerstag im Februar 2009 haben sich 20.000 Menschen bei scheußlichem, kaltem, windigem Wetter um punkt 19.00 Uhr mit Fackeln auf die 52 Kilometer lange Strecke begeben um ein Zeichen gegen die verfehlte Atommüll-Politik zu setzen. Die Beteiligung reichte von den klassischen Akteuren aus der Umweltbewegung und den Parteien über Kirchen, Landwirte und Gewerkschaften hin bis zur Damengymnastik des MTV Denkte, den Bücherfreunden Thiede und dem Kleingartenverein Bleckenstedt.

Neu ist das ökonomische Interesse, das sich mit dem Ausstieg aus der Atomenergie verbindet. Die Anti-Atom-Bewegung hat nicht nur politische, technische und ökonomische Fehlentwicklungen verhindert. Sie war auch Anstoß für das Entstehen einer neuen Branche der erneuerbaren Energien mit 340.000 Arbeitsplätzen (Stand Ende 2009, Quelle: BMU). Während die Branche der Erneuerbaren sich aber über viele Jahre mit politischen Äußerungen zu Atomkraft zurück hielt, spitzt die Laufzeitverlängerung den Systemkonflikt zwischen den Erneuerbaren und der Atomenergie derart zu, dass sie inzwischen zu einem wichtigen Faktor der Protestbewegung geworden ist. Ebenso wie die Gewerkschaften, die zwar zurecht die untertariflichen Entlohnung und die Behinderung von Betriebsräten in Unternehmen der Branche kritisieren, insgesamt jedoch die Entstehung der neuen Arbeitsplätze im ökologischen Sektor begrüßen.

Die Kritik an der Atomenergie hat inzwischen sogar die CSU erreicht - zumindest ihre Basis. So hat der CSU-Ortsverband von Landshut im August 2010 die Abschaltung von Isar 1 gefordert und sich sehr „enttäuscht“ über die Laufzeitverlängerung geäußert.

Der Protest ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Die Menschenkette Brunsbüttel-Krümmel, die Demonstrationen am 18. September in Berlin und am 8. Oktober in München, der Castor-Protest im November - immer wieder gingen im letzten Jahr 50.000, 100.000 und mehr Menschen auf die Straße, jung und alt, bunt und phantasievoll. Gleichzeitig entstehen überall im Land neue Initiativen und es findet eine unüberschaubare Anzahl von Aktionen vor Ort statt.

Beeindruckend ist der gegenseitige Respekt unterschiedlicher Protestformen wie er bei den Aktionen im Wendland deutlich wurde. Weder gab es im Vorfeld quälende Debatten über legitime und nicht-legitime Widerstandsformen, noch gab es vor Ort Konkurrenzen oder Distanzierungen. Im Gegenteil, der Widerstand war geprägt von Respekt und Kooperation. Die Bindung der Polizeikräfte beim Schottern half „Widersetzen“, ihre Schienenblockade durchzuführen. „Widersetzen“ erreichte dann das, was Schottern nicht gelang, nämlich den Castor für mehrere Stunden aufzuhalten.

Beeindruckend ist auch die Konsequenz. Selbst am Ende des Jahres im tiefsten Winter kamen mehr als 3000 Menschen in Greifswald zusammen um gegen den Castor-Transport nach Lubmin zu protestieren. Mit Protesten in Hessen und Magdeburg und Ludwigslust, mit Blockaden und Ankettaktionen kurz vor dem Atommülllager wurde ein deutliches Zeichen gesetzt: Ungestört rollt kein Castor mehr durch Deutschland - auch nicht ins entlegene Lubmin. Und die Proteste haben Erfolg: Der Transport abgebrannter Brennelemente von Ahaus ins russische Majak ist erst einmal abgesagt worden.

Die Laufzeitverlängerung hat den Bundestag und den Bundesrat passiert. Nun bleibt abzuwarten, was das Bundesverfassungsgericht sagt. Aber vor Gericht und auf hoher See …. Deshalb heißt die Losung für 2011 „Ran an die laufenden Anlagen!“. Nach § 17(5) Atomgesetz ist die Genehmigung von Atomanlagen  zu widerrufen, wenn eine erhebliche Gefährdung vorliegt und nicht in angemessener Zeit Abhilfe geschaffen werden kann. In diesem Sinne richten wir den Fokus in 2011 auf die Atomanlagen selbst. Am Ostermontag, den 25. April, einen Tag vor dem 25. Jahrestag der Katastrophe von Tschernobyl werden an den Standorten der Atomkraftwerke und bei Ahaus, Gorleben, Lubmin und Schacht KONRAD Großaktionen stattfinden. Es ist zu erwarten, dass der Widerstand auch 2011 groß, phantasievoll und erfolgreich sein wird.

Ursula Schönberger ist seit 25 Jahren in der Anti-AKW-Bewegung aktiv. Zuerst in der Auseinandersetzung um die Wiederaufarbeitungsanlage in Wackersdorf, dann vor allem zu den Atommüllprojekten Schacht KONRAD, ASSE II und Morsleben. 1987 war sie Mitbegründerin der Arbeitsgemeinschaft Schachht KONRAD e.V..


Dieser Beitrag erscheint in Kürze auch in der Reihe rls papers der Rosa-Luxemburg-Stiftung. 

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[1] Nie vergessen werde ich, wie ich am 2. Juni 1995 zu einer Veranstaltung nach Würgassen fuhr. Der Reaktor war abgeschaltet, da die Aufsichtsbehörde nach dem Fund von Haarrissen am Reaktor-Kernmantel einen Austausch des Stahlzylinders forderte. Just am Tag zuvor hatte die Betreiberin PreussenElektra (inzwischen mit dem Bayernwerk zu E.ON fusioniert) verkündet, dass ein Austausch zu teuer sei und Würgassen endgültig stillgelegt werden würde. Ich kam in den Veranstaltungsraum und erwartete eine kleine Feier. Weit gefehlt. Stattdessen wurde mir bedeutet, es gäbe keinen Grund zum Feiern, denn der Grund für die Stilllegung wäre falsch. Entscheidend sei nicht, ob es an einem Standort technische oder ökonomische Probleme geben würde, sondern dass Atomenergienutzung an sich grundgesetzwidrig wäre. Dieser Auseinandersetzung hätte sich der Betreiber nun mit der Stilllegung einfach entzogen.

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