Dorothée Menzner in Japan: 12.02.2012: Fukushima

Der Name Fukushima steht seit Mitte März des letzten Jahres für eine unfassbare Katastrophe, deren wahres Ausmaß immer noch nicht abschließend klar ist. Dabei steht der Name Fukushima eigentlich für dreierlei: für eine ganze Präfektur, berühmt für ihre landschaftliche Schönheit und ihre landwirtschaftlichen Produkte, für eine Großstadt, etwa 50 km Luftlinie vom Meer entfernt - ein wirtschaftliches Handelszentrum, berühmt für seine traditionelle Seidenherstellung und in neuerer Zeit für seine Chemiefasern und Maschinenbauindustrie. Und eben für die beiden Atomkraftwerke, die den Namen der Präfektur tragen und von denen das eine Monate lang die Öffentlichkeit und auch jetzt noch die Fachleute und die Anti-Atombewegung in Atem hält.

Wir wollen uns zumindest die Großstadt, deren Namen zwischenzeitlich für das größte Desaster jenseits von Kriegen und Hunger des noch jungen Jahrhunderts steht, endlich aus der Nähe anschauen.

In rund vier Stunden Autofahrt kommt man von Tokyo nach Fukushima Stadt. Hochgelegen, umgeben von beeindruckenden Bergen, deutlich kühler als Tokyo. Es liegt etwas Schnee und schneit leise vor sich hin. Schon auf der Fahrt zeigt unser Geigerzähler kontinuierlich steigende Strahlungswerte. Sie steigen nicht gleichmäßig - es gibt immer wieder Ausschläge nach oben und unten, aber schon rund 30 km vor der Stadt und bestimmt 90 km vom AKW entfernt sind die Werte in einem durch einen Berg geführten Straßentunnel deutlich geringer als davor und dahinter. Ein deutliches Zeichen, dass es sich bei dem, was wir messen um nicht natürliche Strahlung handelt.

Es ist später Sonntag Vormittag als wir die Stadt erreichen. Aber auch wenn man das berücksichtigt, ist es unnatürlich ruhig und menschenleer in der Stadt. Wir fahren ins Zentrum, wo wir zu einer Art Kontakt- und Beratungsbörse für die Bewohner eingeladen sind. Sie werden von anderen Bürgern, Initiativen und Ärzten beraten, was sie tun können und vor allem, welche Chancen es gibt, die Region zu verlassen. Fukushima Stadt gehört nicht zur Evakuierungszone, und so muss jeder, der nicht bleiben will, Umzug, neuen Job, Schulwechsel der Kinder etc. selbst organisieren und auch finanzieren. Für untere und mittlere Einkommensklassen ein großes Problem, und auch für die, die etwa Wohnungseigentum oder eine berufliche Selbständigkeit zurücklassen. Amtliche Stellen mit Beratungsangeboten sehen wir zumindest an diesem Tag nicht.

Es herrscht reges Treiben, wobei auf mich manches doch noch sehr improvisiert und auch nach fast einem Jahr ziemlich hilflos wirkt. Während das Kamerateam dreht, mache ich mich mit Yuko, unserer Assistentin und Dolmetscherin, auf den Weg zu einem kleinen Spaziergang durch die Innenstadt. Zwischenzeitlich ist es 13:00 Uhr und anders als in anderen japanischen Städten sind hier fast alle Geschäfte sonntags geschlossen. Viele Läden scheinen ihre Jalousien auch nie mehr hochziehen zu wollen. Selbst ein Café zu finden, in dem wir einen Kaffee trinken können, uns von dem eisigen Wind etwas aufwärmen, fällt schwer und dauert lange.

Wie es um diese Stadt steht, die eigentlich wunderschön ist und eine lange Geschichte hat, wird mir spätestens klar, als wir die Mietangebote im Schaufenster eines Maklers studieren. Japan ist berühmt- berüchtigt für seine horrenden Mieten, speziell in großen Städten. Und hier finden wir in Reihen Angebote in einem Preisniveau, was in etwa dem in ländlichen Regionen Niedersachsens entspricht. Es fällt nicht schwer zu schlussfolgern, aber schwer sich vorzustellen, wie diese Stadt in zwei oder drei Jahren aussehen wird.

Danach machen wir nochmals einige Messungen. Die Werte sind stark schwankend, denn es ist sehr böig, hinter jeder Straßenecke anders, aber immer hoch. Der höchste Wert den wir messen sind 0,71 µSv/h. Zum Vergleich: im Veranstaltungsgebäude waren es 0,08 µSv/h. Am Nachmittag machen wir uns auf den Weg von Süden zur eigentlichen Sperrzone. Von Süden! Denn aus Strahlungskarten wissen wir, dass hier mit der geringsten Strahlung zu rechnen ist, und wir haben keine Lust uns unnötiger Strahlung auszusetzen.

Es wird, da wir unterwegs noch eine Verzögerung haben, denn Ralph lernt die Humorlosigkeit bei ausgesprochener Freundlichkeit der japanischen Polizei bei Geschwindigkeitsüberschreitungen kennen, langsam dunkel. Wir fahren durch eine wunderschöne, friedlich bergige Landschaft, und wenn ich nicht den Geigerzähler auf dem Schoß hätte, der leise vor sich hin tickert, könnte man sich glatt überlegen den nächsten Gasthof zu suchen und einige Tage Urlaub zu machen. Aber mit einem Gasthof hätten wir wohl Schwierigkeiten. In den Dörfern, die wir zwischen der 30 und 20 km Zone durchfahren, gibt es nur noch ganz wenige Häuser in denen Licht brennt, und Autos begegnen uns so gut wie keine mehr. Dabei ist hier, wie wir bei Außenmessungen feststellen, die Strahlung deutlich geringer als in Fukushima Stadt. Schließlich kommen wir zu dem Punkt an dem die Welt zwar nicht mit Brettern vernagelt, aber im wahrsten Sinne des Wortes zuende ist. Die Welt der Neuzeit endet mit grell blinkenden Lichtern, Leuchtschrift, Strassensperre und Polizeikette.

Wir nehmen eine letzte Messung vor, die 0,5 µSv/h am Boden und 0,43 µSv/h in einem Meter Höhe ergibt. Wie die Werte an der nördlichen Grenze der Sperrzone sind, mag ich mir jetzt gerade gar nicht vorstellen. Das Kamerateam wird nochmal wiederkommen, entscheiden wir und machen uns sehr nachdenklich auf den Rückweg nach Tokyo. Am Ende des Tages hat sich der Wert auf meinem Dosimeter, das ich bei der Ankunft in Japan eingeschaltet habe, verdoppelt.

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