Aufs platte Land?!

Gleichwertige Lebensverhältnisse in allen Landesteilen sind keine Wohltätigkeit, sondern eine Frage der Zukunftsfähigkeit der GesellschaftDorfteich, Foto: Ruth Rudolph www.pixelio.de

In einem sehr ländlichen Wahlkreis sind die »Wege übers Land« einer Sommertour während der Parlamentsferien weit. Sie sind umso wichtiger, will frau am Puls der Zeit bleiben. Im Bundestagswahlkreis 57 (1) leben auf 5.000 Quadratkilometern etwa 200.000 Menschen, 40 pro Quadratkilometer. Nach EU-Normen ist die Region nahezu unbewohnt. Da ist viel Platz für LINKE-Politik für gleichwertige Lebensverhältnisse in allen Landesteilen. Doch dieser verfassungsgebende Konsens ist gefährdet in einem Land, in dem die städtische Bevölkerungsmehrheit unterdessen mit 73 Prozent angegeben wird und »teile und herrsche« erfolgreiches Machtprinzip ist. Weder Landflucht noch demografischer Wandel seien politisch beeinflussbar, wird behauptet. In diesem politischen Klima wird der Anspruch auf gleichwertige Lebensverhältnisse schnell infrage gestellt. Zumal es von den Metropolen und ihren Speckgürteln aus gesehen so scheint, als würden in den Dörfern und kleinen Städten nur noch die Menschen wohnen, die nicht rechtzeitig weggekommen sind. Die zu träge, zu doof oder zu alt sind. Das ist ein Irrtum.

Es ist noch viel Leben drin

Auf den »Wegen übers Land« trifft frau die vielen »positiv Bekloppten«, denen ihre Lebensqualität auf dem flachen Land so wertvoll ist, dass sie andere Beschwerlichkeiten aufwiegt. Die hier tief verwurzelt sind und bleiben wollen, obwohl sie dafür niedrigere Einkommen und weite Wege in Kauf nehmen müssen. Deren Kinder gern zurückkommen würden. Die neue Einkommensquellen suchen, zum Beispiel mit der Produktion von exotischen Stören oder Afrikanischen Welsen für den heimischen Markt. Und frau trifft die Neuen. Wie den Roboterkunst-Verein, der eine Jahrhundert alte Hofstelle am Elbdeich gemeinsam mit Einheimischen restauriert als neue Künstlerbegegnungsstätte, weil es unter der Autobahn in Hannover zu laut geworden ist.

Es ist also noch viel Leben drin. Aber vier Anker werden gebraucht zum Bleiben im oder zum Kommen in den ländlichen Raum: Bildung (inkl. Kita!)/Kultur, Gesundheitsversorgung, Mobilität und Kommunikation als öffentliche Daseinsvorsorge.

Das kostet Geld, und leere öffentliche Kassen sind als Totschlagargument sehr verführerisch. Ja, ein Zug ist pro Kopf billiger, wenn ihn mehr Menschen benutzen. Rein rechnerisch ist die Lehrerin für 15 Schülerinnen und Schüler teurer als für eine 25er Klasse, eine Landarztpraxis unrentabel, eine Investition für das schnelle Internet amortisiert sich langsamer. Betriebswirtschaftlich »rechnet« sich öffentliche Daseinsvorsorge in den ländlichen Räumen oft nicht.

Aber Menschen wollen nicht auf eine Variable in der Haushaltsrechnung reduziert werden. Gerade DIE LINKE muss sie in diesem Anspruch unterstützen, auch wenn klamme Kassen nicht ignoriert werden dürfen.

Dazu vier »LINKE Dorf-Thesen«.


These I: Wir brauchen lebendige ländliche Räume gesellschaftspolitisch.

Friedrich Engels machte sich 1894 Gedanken über die »Bauernfrage«. Auch wenn heute nur noch wenige »Bauern« in den ländlichen Räumen leben, lohnt sich die Lektüre. So schreibt Engels: »Um aber die politische Macht zu erobern, muß diese (sozialistische) Partei vorher von der Stadt aufs Land gehn, muß eine Macht werden auf dem Land.« (Engels, 1894 (2)). Noch Grigori Kossonossow(3) scheiterte an diesem Anspruch. Heute hat sich die Entfernung zwischen Stadt und Land durch Mobilität, Medien und Internet relativiert. Auch die Bevölkerungsstruktur nähert sich an. Der politische Erfolg der LINKEN setzt daher mehr denn je ihre gesellschaftliche Verankerung auch in den kleinen Städten und Dörfern voraus. Sie dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Wo die demokratische Interessensvertretung funktioniert, können auch national befreite Zonen verhindert werden.


These II: Starke Dörfer und starke kleine Städte sind volkswirtschaftlich sinnvoll.

Landflucht löst keine Probleme, sondern schafft zusätzliche. Weil zum Beispiel Infrastruktur rück- und woanders neugebaut werden muss. Kleinere Klassen verbessern das Bildungsergebnis. Bahnlinien werden rentabler, wenn sie gleichzeitig als Personen-, Güterverkehrs- und Stromtrassen fungieren. Eine kluge Strategie für die »Provinz« ist deshalb mittel- und langfristig volkswirtschaftlich klüger, als sie aufzugeben.


These III: Die ländlichen Räume sind Motor des sozial-ökologischen Umbaus.

Viele Teile des PLAN B der Bundestagsfraktion(4) werden nur mit lebendigen Dörfern und kleinen Städten umsetzbar sein. Zum Beispiel die Energiewende mit dezentralen Erzeugungs- und Versorgungsstrukturen oder die regionale Ernährungssouveränität. PLAN B schafft gleichzeitig neue Erwerbsmöglichkeiten in den ländlichen Räumen, die dringend gebraucht werden, denn Dörfer sollen nicht nur zum Schlafen und zur Freizeit bewohnt sein. Das platte Land ist längst zu einem dynamischen gesellschaftlichen Experimentierfeld geworden. Neue Formen des solidarischen Zusammenlebens und gemeinsamen Wirtschaftens entstehen, wie Ökodörfer oder die solidarische Landwirtschaft. Und auch die für den Umbau so wichtigen neuen Elemente der direkten demokratischen Teilhabe zeigen sich hier als zarte Pflänzchen, wie die Dorfbewegung. Anderswo in Europa ist sie längst fest etabliert.(5)


These IV: Dörfer müssen ihre Rolle in der Gesellschaft neu finden, und DIE LINKE sollte aktiver Teil dieses Prozesses sein.

Die Vernetzung zwischen dem platten Land und den Metropolen braucht aus sozialen und ökologischen Gründen einen völlig neuen Stellenwert. Ein lebendiges Umland ist nicht nur ein attraktives Ausflugs- und Urlaubsziel, sondern gleichzeitig Voraussetzung zum Beispiel für die Versorgungssicherung mit Lebensmitteln und Energie.

Aus all diesen Gründen sind gleichwertige Lebensverhältnisse in allen Landesteilen keine Wohltätigkeit, sondern eine Frage der Zukunftsfähigkeit der Gesellschaft.

Politik allein nach klammer Kassenlage macht keinen Sinn. DIE LINKE muss im Gegenteil weiter auch für mehr Einnahmen streiten, zum Beispiel durch eine gerechte Steuerpolitik. Nicht aus Neid, sondern damit die öffentlichen Haushalte wieder gemeinwohlorientiert handlungsfähig werden. Dann klappt es auch mit dem sozial-ökologische Umbau. In der Stadt und auf dem Land.

Anmerkungen

(1) Nordwestbrandenburg (Prignitz, Ostprignitz-Ruppin sowie die Ämter Rhinow und Friesack, Havelland)
(2) Die Bauernfrage in Frankreich und Deutschland, Karl Marx und Friedrich Engels, Werke, Bd.22, Berlin/DDR, S. 483-505
(3) Populäre Figur in einer sowjetischen Satire. www.bruhaha.de/kuh_im_propeller.html
(4) www.plan-b-mitmachen.de. Siehe auch DISPUT 7/2012, Cornelia Möhring: Science Fiction mit der LINKEN – Politik zum Mitmachen.
(5) www.rosalux.de/nachhaltigkeit/specials/gespraechskreis-laendlicher-raum/erca.html

Die Veterinärmedizinerin Dr. Kirsten Tackmann ist Agrarpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion und wohnt in einem märkischen 60 Seelen-Dorf. Dieser Artikel erschien in der September-Ausgabe von DISPUT.

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