Die Fernbus-Liberalisierung ist das Eingeständnis, keine sinnvolle Planung von Fernverkehrsverbindungen hinzubekommen

Zur Einigung in Sachen Liberalisierung von Fernbusverkehren, die zwischen CDU/CSU, SPD, FDP und Grünen unter Einbeziehung wichtiger Länderministerien erzielt wurde, erklärt Sabine Leidig, verkehrspolitische Sprecherin der LINKEN (ausführliche Thesen hier):

In völliger Verkennung der Tatsachen soll jetzt der Fernbusverkehr liberalisiert werden. Bereits jetzt können Busse das Fernverkehrsangebot der Bahn auf Antrag sinnvoll ergänzen. Im zu erwartenden Wettbewerb werden jedoch nur die lukrativen Hauptverkehrsstrecken in Konkurrenz zur Bahn angeboten werden. Ein fairer Wettbewerb wird es dann auch nicht sein: für Züge fallen Trassenentgelte an, Busse werden hingegeben von der Maut befreit; zudem sind die Tarifverträge für Busfahrer deutlich schlechter - wenn überhaupt vorhanden. Die Einigung zur Barrierefreiheit ist zudem halbherzig. Aufgabe der Politik ist es, ein attraktives und für alle bezahlbares ökologisches Mobilitätsangebot auch im Fernverkehr zu gewährleisten. Das kann dann auch mal mit Bussen erfolgen. Die Liberalisierung des Fernbusverkehrs verbessert jedoch nicht das Angebot, sondern führt zu Dumping auf Kosten der ökologischeren Schienenverbindungen und der Löhne.

 

Es ist verblüffend und erschreckend zugleich, dass in der Frage „Fernbus-Verkehre“ die Oppositionsparteien SPD und Grüne mit Schwarz-Gelb gemeinsame Sache machen und dabei in ihrer gemeinsamen Erklärung vom 14. September all die Unwahrheiten wiederholen, die insbesondere die Neoliberalen der FDP seit anderthalb Jahrzehnten verbreiten.

DIE LINKE lehnt die Fernbus-Liberalisierung ab und erkennt vier grundsätzliche Unwahrheiten, mit denen dieses neuerliche Zurückdrängen der Schiene und der weitere Vormarsch des Straßenverkehrs begründet wird.

Erstens ist es unwahr, dass die bestehende gesetzliche Regelung „grundsätzlich“ eine „Genehmigung für Fernbuslinien versagt“ habe.  Dies gilt nur für den Fall, wenn Eisenbahnverbindungen bereits bestehen und wenn die neuen Busangebote keine „wesentliche Verbesserung der Verkehrsbedienung“ mit sich bringen.

Zweitens ist es unzutreffend, dass es mit der Busfernverkehrs-Liberalisierung „ein völlig neues Verkehrsangebot“ für „preissensible Kunden“ geben und damit einen verbesserten öffentlichen Verkehr geben würde. Richtig ist vielmehr, dass Busbetreiber auf den Hauptverkehrsstrecken des Schienenpersonenfernverkehrs konkurrierende Busverkehre anbieten und die Bahn ihr Angebot in diesem Segment weiter reduzieren wird – nicht zuletzt dadurch, dass die DB AG selbst, wie längst der Fall, mit Fernbus-Verkehren aktiv werden wird.

Drittens trifft nicht zu, dass es „fairen Wettbewerb“ zwischen Schiene und Straße geben wird. Richtig ist, dass Züge erhebliche Summen für Trassenentgelt aufzubringen haben, Busse hingegen explizit von der Autobahn-Maut befreit sind und bereits damit ein erhebliches Preisdumping betreiben können.

Viertens ist es unwahr, dass „das neue Angebot auch für mobilitätseingeschränkte Menschen nutzbar“ sein wird. Richtig ist vielmehr, dass auch nach der Einigung unter den vier genannten Parteien bis zum 31. Dezember 2019 Fernlinienbusse nicht barrierefrei sein müssen, dass neue Fernbusse nur zwei Plätze für Rollstuhlfahrer anzubieten haben und dass es keinerlei Vorgaben für Toiletten für mobilitätseingeschränkte Menschen gibt. Wir reden wohlgemerkt von Fernverkehren.

 

Alles in allem wird mit der völligen Freigabe für Fernbus-Linienverkehre der Verkehrsmarkt erneut zu Gunsten der Straße verändert und die Nische, die der Schiene verbleibt, ein weiteres Mal eingeengt.

Siehe den Antrag der LINKEN „Keine Liberalisierung des Buslinien-Fernverkehr“, BT-Drs. 17/7487


 


 

Thesen zur Fernbus-Liberalisierung

von Sabine Leidig, verkehrspolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag

 

Die Einigung in Sachen Liberalisierung von Fernbusverkehren, die zwischen CDU/CSU, SPD, FDP und Grünen unter Einbeziehung wichtiger Länderministerien am 14. September 2012 erzielt wurde, bedeutet, dass die Novellierung des Personenbeförderungsgesetzes (PBefG), wie sie von seitens der FDP seit langer Zeit angestrebt ist und wie sie von CDU/CSU und FDP im Koalitionsvertrag vom Oktober 2009 vereinbart wurde, weitgehend eins zu eins und mit Zustimmung der Oppositionsparteien SPD und Grüne noch in diesem Jahr in Bundestag und Bundesrat verabschiedet werden wird. SPD und Grüne hatten, insbesondere durch den Bundesrat, die Chance, diese neoliberale Gesetzesänderung auszubremsen. Sie verzichteten darauf. Der Zeitpunkt, dies noch vor Beginn des Jahres 2013 mit dem beginnenden Bundestagswahlkampf durchzuziehen, verweist auf ein schlechtes Gewissen, das Parteien, die sich ökologischen und sozialen Zielsetzungen verpflichtet  sehen sollten, bei dem Vorhaben plagt.

 

1. Der Schienenverkehr befindet sich in der EU und auch in Deutschland in einer kritischen Situation. Die Fernbus-Liberalisierung verschärft  diese.

Der Schienenpersonenfernverkehr (SPFV) lag 2011 beim Aufkommen nur auf dem Niveau von 1994 und bei der Verkehrsleistung nur leicht darüber. Angesichts eines insgesamt deutlich gewachsenen Fernverkehrs hat die Schiene erheblich an Anteilen im Fernverkehrsmarkt – insbesondere an den Flugverkehr – verloren. Das Angebot wird laufend ausgedünnt: Die Deutsche Bahn AG teilte jüngst mit, dass allein seit dem Jahr 2000 12 Großstädte mit mehr als 100.000  Einwohnern und weitere dutzende kleinere Städte vom SPFV abgehängt wurden.

 

2. Der Verkehrsmarkt ist massiv zugunsten von Straße und Flugverkehr geordnet. Die Fernbusliberalisierung verschlechtert die Situation der Schiene ein weiteres Mal.

Allein seit 1995 wurde das Schienennetz um 7500 km gekappt, während das Straßennetz und die Infrastruktur des Flugverkehrs massiv ausgebaut wurden. Der Kraftstoff für Flugzeuge ist bis heute steuerfrei; eine Kerosinsteuer ist nicht in Sicht. Die Preise im SPFV stiegen allein im Zeitraum 2003 bis Dezember 2011 um 31,5 Prozent (einschließlich heimlicher Preiserhöhungen wie der massiv verteuerten BahnCard50 um rund 40 Prozent). Sie stiegen damit deutlich mehr als die Kosten für Pkw-Fahrten. Fliegen hat sich im letzten Jahrzehnt sogar deutlich verbilligt.

 

3. Die Durchsetzung der Fernbusliberalisierung wird durch bewusst falsche Behauptungen über die Gesetzes-Wirklichkeit vorangetrieben

Es ist unzutreffend, dass die seit dem 21. März 1961 bestehende gesetzliche Regelung in §13 des Personenbeförderungsgesetzes „grundsätzlich“ eine „Genehmigung für Fernbuslinien versagen“ würde. Vielmehr gibt es in diesem Gesetz einen Genehmigungvorbehalt. Eine Genehmigung ist dann zu untersagen, wenn „der beantragte Verkehr ohne wesentliche Verbesserung der Verkehrsbedienung Verkehrsaufgaben übernehmen soll, die vorhandene Unternehmen oder Eisenbahnen bereits wahrnehmen“ (§ 13, Absatz 2, Nummer 2, Buchstabe b PBefG). Es handelt sich hier um eine sinnvolle gesetzliche Regelung wie sie bisher (!) beispielsweise auch sinngemäß das Taxigewerbe reguliert. Wenn diese Regelung in der Praxis zur Blockade von sinnvollen Busfern-Verkehren geführt hat, dann ist die Auslegung dieser gesetzlichen Regelung zu überprüfen und nicht die gesamte sinnvolle Bestimmung zu streichen.

 

4. Fairer Wettbewerb sieht anders aus.

Verwiesen wurde bereits auf den grundsätzlich zuungunsten der Schiene geordneten Verkehrsmarkt. Diese Grundtendenz wird mit der Busfernverkehrs-Liberalisierung nochmals deutlich verstärkt. Das beginnt bei den Kosten für das Fahrpersonal – Busfahrer werden deutlich niedriger als Lokführer oder anderes Zugpersonal bezahlt.

Insbesondere trifft dies auf die Wegekosten zu. Der SPFV und der SPNV werden seit Ende der 1990er Jahre mit Trassenentgelten belastet. Lkw müssen – aus unserer Sicht in unzureichender Höhe – seit einigen Jahren Autobahnmaut bezahlen. Letzteres wird richtigerweise u.a. damit begründet, dass Lkw in wesentlich höherem Maß Straßen und Brücken belasten als Pkw. Busse belasten in vergleichbarem – sehr großen – Maß das Straßennetz. Dennoch sollen Busse komplett von den Autobahn-Mautgebühren befreit bleiben. Noch am  3. August 2011 hieß es dazu in einer Pressemitteilung von Toni Hofreiter, dem Vorsitzenden des Verkehrsausschusses: „Die Ermöglichung fairer Konkurrenz zwischen Bus und Bahn ist (…) an die Aufstellung fairer Wettbewerbsregeln zu binden. Das beinhaltet (…) dafür zu sorgen, dass nicht nur die Bahn Trassenentgelte bezahlen muss, sondern dass für den Bus auch Maut zu entrichten ist.“ Nach dem geltenden Autobahnmautgesetz ist der Bus von der Autobahnmaut befreit. Unter diesen Bedingungen kann nicht von eine gerechten ´Entfesselung´ wie von Herrn Ramsauer genannt, gesprochen werden, die ´der Schiene keine Kunden abjagt´“.

 

5. Die Busfernlinien-Liberalisierung wird in der verkehrlichen Realität zu einer Reduktion der Angebote im öffentlichen Fernverkehr führen.

Eine Untersuchung im Auftrag des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung vom November 2010 kam zu dem Ergebnis, dass im Fall einer Liberalisierung des Buslinien-Fernverkehrs der Marktanteil desselben von derzeit nahe Null auf 15 bis 30 Prozent ansteigen kann und der Anteil der Schiene weiter sinken wird. Dabei würde, so die Studie (der Planungsgesellschaften BVU Beratergruppe Verkehr+Umwelt GmbH, itp Intraplan Consult GmbH) das Wachstum der Busfernverkehre insbesondere (zu 60 %) aus Verlagerungen vom SPFV auf Busse bestehen. Nur 20 % der neuen Busfernverkehre würden aus Verlagerungen vom Pkw-Verkehr bestehen.

Die Studie belegt dies mit der Verkehrspraxis (auf den bereits bestehenden Fernbus-Verbindungen Hamburg-Berlin und Berlin-Dresden). Die Praxis folgt damit der unternehmerischen Logik. Es gab in jüngerer Zeit kaum Anträge auf Busfernverkehrsverbindungen für Strecken mit keinem SPFV oder stark ausgedünntem SPFV. Und es zeichnet sich aktuell ab, dass große Busbetreiber sich dafür rüsten, nach der Busfernlinien-Liberalisierung Rosinenpickerei zu betreiben. Lukrativ sind vor allem Busfernverkehre auf Strecken mit hohem Fahrgastpotential und möglichst wenigen Zwischenhalten in Städten. Dadurch wird die Deutsche Bahn AG ermutigt, ihrerseits SPFV abzubauen und auszudünnen und ihre längst bestehende Ressourcen für Busfernverkehre anstelle von SPFV einzusetzen: Die Deutsche Bahn AG ist in Deutschland der mit Abstand größte Betreiber für Busfernverkehre und darüberhinaus als Eigentümer der britische Bus- und Bahnbetreibergesellschaft im europäischen Maßstab führender Fernbus-Linienverkehrs-Betreiber

 

6. Die Liberalisierung des Busfernverkehrs verschlechtert die Situation von mobilitätseingeschränkten Menschen.

In der Vier-Parteien-Erklärung vom 14. September 2012 heißt es:  „Das neue Angebot wird auch für mobilitätseingeschränkte Menschen nutzbar“ sein. Verwiesen wird darauf, dass „neue Fernbusse bereits ab dem 1. Januar 2016 mit mindestens zwei Plätzen für Rollstuhlfahrer und den entsprechenden Einstiegshilfen (Hublifte) ausgestattet werden.“ Erst nach einer „angemessenen Übergangsfrist bis zum 31. Dezember 2019“ sollen Fernlinienbusse grundsätzlich „barrierefrei“ sein.

Das heißt zunächst: Bis zum 31. Dezember 2019 werden Fernlinienbusse nicht barrierefrei sein. Einige Busse werden ab 2016 zwei Plätze für Rollstuhlfahrer anbieten. Weder ab 2016 im Fall neuer Busse noch nach dem 31. Dezember 2019 im Fall des gesamten Fuhrparks von Fernbussen wird es Vorgaben für das Vorhalten von Toiletten für mobilitätseingeschränkte Menschen geben. Es geht wohlgemerkt um Fernverkehre.

Dabei wird insbesondere ausgeblendet, dass die Bahn in jüngerer Zeit erhebliche Fortschritte bei der Verwirklichung der Forderung nach Barrierefreiheit erzielte. Grundsätzlich gilt: Die technischen Möglichkeiten zur umfassenden barrierefreien Gestaltung sind bei Eisenbahnen deutlich besser als bei Fernbussen. Indem, wie unsere Analyse zeigt, die Liberalisierung des Fernbuslinienverkehrs grundsätzlich zu einer weiteren Zurückdrängung der Schiene zu Gunsten der Straße führt, wird damit die Mobilität von Menschen mit Mobilitätseinschränkungen reduziert.

 

Sabine Leidig, MdB;
Redaktion: Winfried Wolf

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