SOZIALÖKOLOGISCHER AUFBAU nach Corona

Milliardenhilfen müssen die Weichen auf nachhaltige Mobilität stellen.

Für eine NEUE Normalität: Mobilität und gute Arbeit für alle – mit weniger Verkehr

Die Erfahrungen und Auswirkungen der Corona-Krise sind noch „im Werden“. Sicher ist die verbreitete Erkenntnis, dass „der Markt“ weder ein krisenfestes Gesundheitswesen schafft, noch dazu taugt, Wirtschaft und Gesellschaft durch Krisenzeiten zu steuern. Das gilt auch für die globale Klima- und Biokrise. Schlussfolgerungen und Maßnahmen zur Corona-Krisenbewältigung sind schon jetzt Gegenstand gesellschaftlicher und politischer Auseinandersetzungen. Das chinesische Zeichen für Krise bedeutet Gefahr und/oder Gelegenheit – und das gilt auch für den Verkehrssektor: Es besteht die Gefahr, dass Konjunkturpakete die fossile Industrie restaurieren, dass Abwrackprämien Kaufprämien oder Steuervergünstigungen die Automobilgesellschaft verfestigen, während im Öffentlichen Verkehr die erzwungenen Einschränkungen und Einnahmeausfälle zu dauerhafter Reduzierung des Angebotes führen kann. Aber die anstehenden staatlichen Hilfen und Eingriffe, die Millardensummen, die jetzt vom Bund ausgegeben werden bieten auch die Möglichkeit, Strukturwandel in großen Schritten voran zu bringen. Eine wirkliche Mobilitätswende hin zu guten und preiswerten Verbindungen per Bus und Bahn, mit guten Bedingungen für Fuß und Fahrrad, schafft viele neue Arbeitsplätze, verbessert Luft und Lebensqualität und trägt zu Umwelt- und Klimaschutz bei. Wir setzen auf diese Gelegenheit.

 

1) Öffentlich ist wesentlich: Aufbauhilfen für Bahn und ÖPNV

Da Mobilitätsverhalten hat sich in der Coronakrise zwangsläufig verändert: In Städten wird das Fahrrad mehr genutzt und der ÖPNV verliert große Teile seiner Fahrgäste. Obwohl es auch einen deutlichen Rückgang von Kfz-Fahrten gibt, wächst ihr Verkehrsanteil derzeit.
Die Einbrüche bei den Fahrgastzahlen wirken sich dramatisch auf die Fahrgeldeinnahmen aus. Verdi geht von 60-90% Einnahmeverlusten aus. Hinzu kommen höhere Kosten für Reinigung und Gesundheitsschutz. Der ÖPNV als systemrelevante Branche muss ausreichend und verlässlich Personal vorhalten, um die notwendige Mobilität zu gewährleisten und zudem werden mehr Fahrzeuge für weniger Fahrgäste benötigt, damit das Distanzgebot von 1,5 Metern eingehalten werden kann.

Wir fordern:

  • Die Einnahmeausfälle im ÖPNV sowie bei der Bahn müssen vollständig vom Bund übernommen werden. Klimafreundlicher Verkehr darf nach Corona nicht benachteiligt sein.
  • Beschäftigten, die den Verkehr seit Wochen während der Corona-Krise aufrechterhalten und sich z.T. damit einem erhöhten Infektionsrisiko aussetzen, soll ein Gehaltsbonus gezahlt werden. Die zusätzlichen Kosten für Bonus, häufigere Reinigung/Desinfektion der Fahrzeuge und Haltestellen etc., müssen vollständig vom Bund übernommen werden.
  • Zur Sicherung der Liquidität sollen u.a. die Mittel für den Schülerverkehr 2020 sofort komplett an die Kommunen und Unternehmen ausgezahlt werden.

Dieses Notfallprogramm muss an folgende Bedingungen geknüpft werden:

  • Erhalt der Arbeitsplätze, Sicherung der Einkommen der Beschäftigten und Tarifbindung.
  • Der Fahrplan des ÖPNV muss mindestens auf das reguläre Niveau von vor der Krise gebracht werden, damit die Abstandregeln eingehalten werden können.

Die immense Belastung der öffentlichen Haushalte darf nicht dazu führen, dass dringend notwendige Investitionen in die ÖV-Infrastruktur oder Angebotsverbesserungen verschoben werden. Zur Belebung der Konjunktur und zur Unterstützung des sozialökologischen Umbaus bleiben wir bei unseren Forderungen:

  • Ein Investitionsprogramm zur Stärkung des öffentlichen Nahverkehrs in Ländern und Kommunen: zunächst 1 Milliarde Euro, dann sukzessive auf 6 Mrd. Euro jährlich.
  • Ein erweitertes Finanzierungsprogramm für die Schiene: Aufstockung um neun Milliarden Euro pro Jahr. Dies beinhaltet ein Sonderprogramm Elektrifizierung, Instandsetzung und Engpassbeseitigung, sowie neue und reaktivierte Strecken, mehr Kapazität, Nachtzüge und Barrierefreiheit.
  • Dazu ein Förderprogramm für den Ausbau eigener Anlagen zur Produktion erneuerbarer Energien für Betreiber von ÖV-Netzen. Das würde Arbeitsplätze in der Solar- und Elektro-Branche schaffen, bzw. sichern und es den ÖV-Betreibern (Bahn, Tram, U-Bahn) ermöglichen, benötigte Energie auf Bahnhofsdächern, an Schallschutzwänden und anderen Flächen, selbst zu erzeugen.
  • Damit Planungs- und Baukapazität auch kurzfristig erweitert werden können, soll der Neu- und Ausbau von Autobahnen und Bundesstraßen zu Gunsten von Bahnprojekten eingestellt werden.

 

2) Autobauer*innen können auch ander(e)s: Produktkonversion fördern

Die Forderung der Automobilindustrie nach einer pauschalen Autokaufprämie ist aus klima-, verkehrs- und ordnungspolitischen Gründen abzulehnen. Sinnvoll wäre hingegen, die Produktpalette grundlegend zu verändern und zugleich Beschäftigungsbrücken in Bereiche mit hohem gesellschaftlichen Bedarf und Arbeitskräftemangel anzubieten. 

Dass Autozulieferer jetzt Mundschutze herstellen, statt Lederbezüge für Premiumwagen oder dass VW oder Daimler in die Medizintechnikproduktion einsteigen wollen, ist keine Alternative auf Dauer. Aber dass in der Industrie über Produktkonversion nachgedacht wird, dass Möglichkeiten und Hindernisse analysiert werden, wie es der VDI getan hat[1], ist ein Anfang. Jetzt darf diese Tür nicht wieder zu fallen.

Wir fordern:

  • Ein Sonderprogramm des Bundes für die Umstellung der Produktion auf sozial und ökologisch nachhaltige Erzeugnisse. Dazu ein Initiativrecht für Betriebsräte (BetrVG ändern). Die Ausrichtung soll zweierlei besonders betonen: Erstens  die Umstellung auf kleine, leichte und sparsame Elektrofahrzeuge  und zweitens Fahrzeuge und Technik für Bahn und ÖPNV.
  • Ein Förderprogramm zur Umstellung folgender Flotten auf E-Mobilität: Busse, Taxis, öffentliche Fuhrparks, Car Sharing in Höhe von 1 Mrd. Euro pro Jahr, zunächst bis zum Jahr 2025.
  • Ein Förderprogramm öffentliche Ladestationen für E-Mobilität in Form einer Anschubfinanzierung in Höhe von jährlich 500 Mio. Euro zunächst bis zum Jahr 2025.
  • Damit die Entwicklung der Automobilindustrie nicht der Profitlogik von Konzernvorständen und Großaktionären verhaftet bleibt, fordern wir, dass transparent arbeitende, regionale Transformationsräte aus Industrie, Gewerkschaft, regionaler Politik, Umwelt- und Verkehrsverbänden aufgebaut und mit Initiativrechten für die weitere Transformation ausgestattet werden.
  • Die Versanddienstleister (Corona-Gewinner) werden verpflichtet, in den nächsten drei Jahren ihre Pkw und leichten Nutzfahrzeuge mit Abgasklassen bis Euro 5 durch Elektrofahrzeuge zu ersetzen; bis 2025 sollen auch die Fahrzeuge nach Euro 6 entsprechend ersetzt werden. Ihre Gebäude müssen in den nächsten drei Jahren klimaneutral werden.

Angesichts des Absturzes von Öl- und Treibstoffpreisen, sind unverzüglich die Steuervorteile für den motorisierten Individual- und LKW-Verkehr abzubauen! Statt Pendlerpauschale wollen wir ein sozial gerechtes Mobilitätsgeld.

  • Die zusätzlichen Einnahmen aus der gestrichenen Dieselsteuervergünstigung (derzeit etwa 7 Milliarden Euro jährlich) sollen zur schrittweisen Einführung eines Nulltarif im ÖPNV eingesetzt werden.
  • Eine Kfz-Steuerreform soll den Trend zu immer größeren Autos umkehren: Bonus für Klein(st)wagen und Malus für größere, schnellere, schwerere Pkw (exponentiell steigend als Luxussteuer)

 

3) Himmlische Ruhe: Flugverkehr re-regulieren

Die derzeitige Reduzierung des Flugverkehrs um 80 bis 90 Prozent zeigt, dass die gesellschaftliche Bedeutung des Flugverkehrs für das Funktionieren unserer Gesellschaft weit überschätzt wird. Die Bundesregierung muss mit den europäischen Partnern eine soziale, ökologische und zukunftsfähige Re-Regulierung des europäischen Luftverkehrs vornehmen. Statt Förderung des Wachstums des Flugverkehrs durch Dumping-Löhne und durch Umgehung von arbeits-und sozialversicherungsrechtlichen Regeln muss die Verlagerung des Flugverkehrs so weit wie möglich auf die Bahn das Ziel sein.

Wir forden:

  • Der Betriebsrat und die Gewerkschaften sind umfassend an Entscheidungen über restrukturierungsmaßnahmen zu beteiligen. Für die Dauer der Inanspruchnahme von Staatshilfen ist eine erweiterte Mitbestimmung für die Beschäftigten und ihre Gewerkschaften nach dem Vorbild der Regelungen über die Montanmitbestimmung einzuführen.
  • Ein Programm speziell zur Verlagerung von Kurzstrecken auf die Bahn. Der Nutzen: weniger Klimabelastung, Luftverschmutzung und Lärm; die Lufthansa und andere Airlines würden sich die Flüge sparen, mit denen sie schon vorher teilweise rote Zahlen geschrieben haben. 
    Dafür braucht die Bahn mehr Züge, insbesondere für zusätzliche (Sprinter-)Verbindungen.
  • Im Gegenzug werden Kurzstrecken-Flüge (bis 500 Kilometer oder 5 Stunden Bahnfahrt) untersagt und damit ein erheblicher Anteil der Umweltbelastung durch Starts und Landungen eingespart.

 

4) Spielraum in den Städten und Entschleunigung im Straßenverkehr

Nicht nur in Zeiten von "Physical distancing" ist es wichtig, dass die Menschen sich im Freien bewegen können. Gerade in dicht bebauten innerstädtischen Wohnvierteln sind die Fußwege häufig so schmal, dass Abstand halten kaum angemessen möglich ist. Auch der Platz in Grünflächen und auf Spielplätzen reicht häufig nicht aus – schon gar nicht, um ausreichend Abstand zu halten. Straßenraum sollte deshalb zunächst provisorisch (ohne großen Aufwand, ganz einfach mit Baustellenmarkierungen) zu Fuß- und Radverkehrsflächen und/oder Erholungsflächen umfunktioniert werden.

Wir fordern:

  • Die Straßenverkehrsordnung ist so zu verändern, dass es den Kommunen erlaubt wird, solche Umwidmungen von Verkehrsflächen probehalber und auch dauerhaft zu vollziehen.
  • Geschwindigkeitsbegrenzungen 30 / 80 / 120  – zur Verhinderung schwerer Unfälle und zur Entlastung der Krankenhäuser. Genauso, wie wir zum Schutz vor Corona als Gesellschaft weitreichende Einschränkungen akzeptieren, sind Einschränkungen nötig, um tausende Tote und Verletzte im Straßenverkehr zu verhindern

Darüber hinaus:

  • Die Bereitstellung von zunächst 500 Mio, sukzessive jährlich 4 Mrd. Euro zunächst bis 2025 für den Ausbau des Radwegesystems und zur Förderung des Fußverkehrs, einschließlich des notwendigen Stadtumbaus.
  • In allen Städten mit einer Einwohnerzahl von über 100.000 muss mindestens ein zentrales Depot (City-Hub) für die Auslieferung mit Lastenfahrrädern und Elektrotransportern geschaffen werden.

 

5) Anders arbeiten: soziale Sicherheit, faire Löhne, kurze Vollzeit
und neue Berufsperspektiven fördern

  • Transformations-Kurzarbeitsgeld
  • Umschulungsangebote mit Einkommensverlustausgleich (gestaffelt) für den Wechsel aus einer klimaschädlichen Branche in einen gesellschaftlich wichtigen Beruf, in dem Arbeitskräfte gebraucht werden (z.B. Pflege).
  • Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen
  • Höchstarbeitszeit reduzieren (Arbeitszeitgesetz) und Arbeitszeitverkürzung anreizen: kurze Vollzeit von 30-Stunden-/4 Tage-Woche)
  • Videokonferenzen statt Business-Reisen / Homeoffice auf eignen Wunsch und für maximal die Hälfte der Arbeitszeit

 

Nachtrag: in allen Fällen wollen wir öffentliche Finanzhilfen (Kredite und Bürgschaften) verknüpfen mit Beteiligung der öffentlichen Hand, Arbeitsplatzgarantie und Einkommenssicherung für alle Beschäftigten, Verzicht auf Dividendenausschüttung und Begrenzung der Vorstandsgehälter. Das gilt auch für die DB-AG.

[1] https://www.vdi.de/news/detail/was-hindert-die-automobilindustrie-an-einer-schnellen-umstellung

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