Dorothée Menzner in Japan: 17.02.2012 Hiroshima

Nach dem Frühstück in der 16. Etage unseres Hotels, das mitten in der Innenstadt liegt und einen traumhaften Blick über die Stadt und die sie umgebenden Berge gewährt, geht es zum Hiroshima Dome. Der Dome war eigentlich das Außenhandelszentrum in Hiroshima, 1905 von einem tschechischen Architekten erbaut und  ist so ziemlich das einzige Gebäude in der Innenstadt, dass zumindest als Ruine die Bombe überlebt hat. Heute ist es eines der weltweit bekannten Wahrzeichen von Hiroshima. Ich bin zum dritten Mal hier, aber dieses Mal ist es eingerüstet. Die Ruine, die Welterbe der UNESCO ist wird saniert und neu gesichert.

Wir sind mit Herrn Keisaburo für ein Interview verabredet. Er hat als kleines Kind  den Bombenabwurf überlebt, weil er sich zu dem Zeitpunkt außerhalb der Stadt bei seinen Großeltern aufhielt. Er suchte tagelang mit seinem Großvater nach seiner Mutter und dem kleinen Bruder und schließlich fanden sie die beiden in einem der Notlazaretts. Aber hätte sein kleiner Bruder sie nicht erkannt, hätten sie sich nicht gefunden, denn weder das Kind noch sein Großvater erkannten die beiden von der Strahlung entstellten und verbrannten Menschen. Trotz seiner eigenen gesundheitlichen Beeinträchtigungen ist der ehemalige Oberschullehrer Herr Keisaburo als Hibakusha bis heute in der Friedensbewegung aktiv und berichtet als Zeitzeuge in Schulen und bei anderen Gelegenheiten. Nach den Aufnahmen gehen wir gemeinsam noch einen Kaffee trinken und erzählt er von dem langen jursitischen Kampf, bis eine kostenfreie medizinische Versorgung der Hibakusha geregelt war und dass es noch Jahre länger dauerte bis dieses Recht auch den koreanischen Opfern zugestanden wurde. Denn zum Zeitpunkt des Bombenabwurfs waren auch viele koreanische Zwangsarbeiter in der Region und wurden so zu Opfern.

Als wir nach dem Kaffee zum Dome zurückkommen, um Sami unseren Kameramann abzuholen, stockt uns der Atem. Mit Bauhelm auf dem Kopf und Kamera in der Hand steht er innerhalb der Absperrung um das Mahnmal und diskutiert mit den mit der Sanierung befassten Bauingenieuren. Wie ihm gelungen ist, was selbst japanischen Kamerateams fast nie gelingt, nämlich eine Drehgenehmigung für das Innere der Ruine zu bekommen erschließt sich uns nicht ganz, aber irgendwie ist es ihm gelungen. Und durch diesen Vorgang ist es dann in der Folge ein leichtes eine Drehgenehmigung für das A- Bomb Museum zu bekommen. Sie ermöglichen sogar, dass Ralph und Sami nach der regulären Öffnungszeit über eine Stunde ganz in Ruhe drehen können.

Yuko und ich machen uns mittags dann auf den Weg zu Prof. Tanaka Toshiyuki. Er ist Geschichtsprofessor an der Universität von Hiroshima und hatte schon die Veranstaltung am Abend zuvor organisiert. Er ist aktiv in der Friedensbewegung und seine bekanntesten Forschungsarbeiten beschäftigen sich mit japanischen Kriegsverbrechen während des 2. Weltkriegs, der Zwangsprostitution koreanischer Frauen in dieser Zeit in Japan und anderen Fragen aus dieser Zeit.  Eine in der japanischen Gesellschaft bis heute weitgehend totgeschwiegenen Epoche.

Es folgt ein fast dreistündiges atemberaubendes Gespräch was wirklich den Namen Diskussion verdient hat.

Er erläutert mir, dass bis heute die Friedens- und die Anti AKW Bewegung kaum Berührungspunkte haben.

Und obwohl ich in den zurückliegenden Monaten viel gelesen habe zu der Frage wie es geschehen konnte, dass Japan, das Hiroshima und Nagasaki erlitten hat, sich so begeistert in die Atomenergie stürzen konnte, werden mir erst in diesem Gespräch die Zusammenhänge wirklich klar.

Wie bei fast allem was in den 50 er Jahren geschah, muss man die globale Lage des kalten Krieges berücksichtigen. Die USA taten in den Jahren alles, und zwar hoch professionell um Japan an sich zu binden und nicht in den Einflussbereich der Sowjetunion und Chinas gelangen zu lassen. Dazu zogen sie alle Register und bedienten sich aller Mittel. Die tragende Rolle des CIA bei diesem Prozess kann mir Prof. Tanaka belegen.

Und auch die sich uns immer wieder aufdrängende Frage, wieso Japan auch nach dem Desaster von Fukushima so stur an der Atomtechnik festhält, obwohl täglich der Beweis erbracht wird, dass die Energieversorgung des Landes auch ohne AKWs funktioniert, erfährt eine schlüssige wie bedrückende Antwort.

Japan ist weltweit das einzige Land mit einem schnellen Brüter und einer Wiederaufarbeitungsanlage obwohl es (bisher) keine Atombombe besitzt. Beide Anlagen sind notwendig um eine A- Bomb zu produzieren und Prof. Tanaka ist überzeugt dass Japan in der Lage wäre binnen 6 Monaten eine zu bauen. Und er berichtet, dass der Wirtschaftsminister vor wenigen Wochen öffentlich kund getan hat, diese Option wolle und müsse Japan sich erhalten.

Wenn man die dramatische Wirtschaftslage Japans, dass seit den 90 er Jahren in einer Rezession steckt und eine enorme Staatsverschuldung aufgehäuft hat, das angespannte Konkurrenzverhältnis zu China aber auch die schwierigen Beziehungen etwa zu Korea einrechnet, so entsteht ein Bild das alles andere als beruhigend ist und wo es dann fast schon egal ist ob 5 oder 10 Meiler mehr oder weniger laufen.

Mir wird klar, diese Zusammenhänge allgemeinverständlich aufzuarbeiten muss eine meiner nächsten Aufgaben sein. Und man wird das was in dieser Region geschieht nicht verstehen können ohne demnächst in Korea zu recherchieren und auch in China.

Abends hat Prof. Tanaka rund ein Dutzend Professorenkollegen der unterschiedlichsten Disziplinen zur Diskussion mit mir geladen. Alles Aktive in Friedensfragen, die seit dem 11.3.2012 erkannt haben, dass sie die Frage der Atomenergie nicht ausklammern können und angefangen haben die Zusammenhänge zu hinterfragen und nach Alternativen zu suchen. Es ist glaube ich nicht zu viel gesagt, wenn ich sage, es handelt sich um eine Runde von Wissenschaftlern die der in der Entstehung befindlichen Bewegung den wissenschaftlichen und historischen Background geben können und wollen.  Wir diskutieren Technologien der erneuerbaren Energien, soziologische und gesellschaftspolitische Rahmenbedingungen und Voraussetzungen, aber auch die Frage wie muss Bildung organisiert sein, damit Menschen befähigt werden sich kritisch mit den Gegebenheiten auseinander zu setzen.

Bevor wir nach 2 stündiger Diskussion zu einem gemeinsamen Abendessen aufbrechen, zu dem dann auch wieder alle Mitglieder der Crew stoßen, erhalte ich noch einen Anruf aus Deutschland. Es ist die Redaktion eines Politmagazins eines großen deutschen Fernsehsenders. Wir hatten bereits in den letzten Tagen Kontakt und nun sind sie sich sicher, dass sie Filmmaterial von uns kaufen wollen- und zwar deutlich mehr, wie ursprünglich angedacht. Wenn das klappt, und alles sieht danach aus, so haben wir unsere Kosten drin. Eine nicht unwichtige Voraussetzung um beginnen zu können über eine Fortsetzung dieses Projekts und über das neue Projekt nachzudenken, dass mir seit Tagen durch den Kopf geht.

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