Investitionen beschleunigen? Eisenbahn ausbauen – Autobahnneubau stoppen!

Es ist gut, dass der Aufbau von Windrädern und die Modernisierung von Eisenbahnstrecken einfacher und schneller gehen soll. Das Problem ist aber, dass die Investitionen des Bundes noch immer zum großen Teil in die alte fossile Infrastruktur fließen. Und dagegen hilft ein bisschen Beschleunigung bei der Elektrifizierung von Bahnstrecken wenig. Für die Energiewende dürfen keine neuen Kohlemeiler ans Netz gehen. Und für die Verkehrswende dürfen keine neuen Autobahnkilometer ans Netz gehen.

Hier die Rede von Sabine Leidig am 11.9. im Plenum des Deutschen Bundestags:

 Rede als Text:

Guten Morgen, Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste!

Wir behandeln heute etliche Gesetzesänderungen, die den Bau oder den Umbau von Infrastruktur beschleunigen sollen. Dazu sollen Genehmigungsverfahren abgekürzt werden. Okay. Nun stellt die Koalition ja selber fest – wir haben es gehört –, dass bereits in der Vergangenheit eine ganze Reihe solcher Maßnahmen beschlossen worden sind – das stimmt –; aber leider ist bis heute nicht ersichtlich, welche Wirkung eigentlich damit erzielt worden ist.

Sie haben – übrigens gegen die Stimmen der Linken – demokratische Beteiligung erschwert, Sie haben Umweltschutz abgebremst, Sie haben Entscheidungen zentralisiert, Sie haben Einwände ausgeschlossen. Was ist dabei herausgekommen? Sind die Umsetzungen schneller geworden? Wir wissen es nicht. Es gibt keine Untersuchung und keine Auswertung. Das ist ein Kritikpunkt, der nicht nur von uns kommt, sondern auch von den beteiligten Verbänden. Wir fordern von der Bundesregierung, endlich eine ordentliche Evaluation vorzulegen. Das ist das Mindeste.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Jetzt steht also das nächste Beschleunigungspaket auf der Tagesordnung. Immerhin: Dieses Mal liegt der Schwerpunkt der Koalition nicht beim Straßenausbau, dieses Mal geht es nicht gegen Klimaschutz und Nachhaltigkeit. Mit dem neuen Gesetz sollen die Genehmigungsverfahren für den Aufbau von Windrädern, für die Modernisierung von bestehenden Schienenstrecken und für Lärmschutzmaßnahmen vereinfacht werden. Da haben wir zwar im Detail noch Änderungsbedarf, aber im Großen und Ganzen sind wir einverstanden. Wir werden das im Verkehrsausschuss noch diskutieren; dort wird auch eine Anhörung stattfinden. So weit, so gut.

Allerdings bleibt ein ganz gravierendes Problem, was die Investitionen des Bundes angeht, völlig ungelöst, nämlich dass diese Investitionen immer noch zum großen Teil in alte fossile Infrastruktur fließen. Und dagegen hilft ein bisschen Beschleunigung bei der Elektrifizierung des Schienennetzes wenig.

Für die Energiewende ist es schädlich, wenn neue Kohlemeiler ans Netz gehen. Für die Verkehrswende ist es schädlich, wenn neue Autobahnkilometer gebaut werden. Ich habe dafür ein ganz konkretes und anschauliches Beispiel: Hier in Berlin wird der nördliche Berliner Ring von vier auf sechs Spuren erweitert. Dafür müssen alle 38 Brücken, die die Autobahn kreuzen, abgerissen und durch Neubauten ersetzt werden. Eine dieser Brücken ist eine viergleisige Eisenbahnbrücke für die S-Bahn, Regionalbahn und den Schienenfernverkehr zwischen Berlin und Oranienburg. Hier sind normalerweise jeden Tag Tausende Pendlerinnen und Pendler klimafreundlich unterwegs. Die haben jetzt über Jahre immer wieder Scherereien, müssen umsteigen, den Schienenersatzverkehr nutzen usw. Am Ende werden 650 Millionen Euro Baukosten in den Straßenverkehr geflossen sein. Das sind Fehlinvestitionen im doppelten Sinn: Erstens ist das Geld falsch eingesetzt, zweitens wird es bei der Modernisierung und beim Ausbau der Bahn fehlen. – Das muss endlich ein Ende haben.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Es ist doch ganz klar: Der Versuch, mehr Verkehr auf die Schiene zu bringen, bleibt halbherzig, wenn gleichzeitig der Straßenverkehr zunimmt. So werden die Klimaschutzziele nicht erreicht, erst recht nicht, wenn für neue Autobahnabschnitte wertvoller Waldbestand zerstört wird, unsere einzige CO2-Senke. Genau das aber steht in meinem Heimatland Hessen gerade bevor. Eine Fläche von hundert Fußballfeldern Größe soll demnächst für den Weiterbau der A 49 abgeholzt werden. 250 Jahre gewachsener Wald, noch dazu im Wasserschutzgebiet. Dahinter stehen Planungen, die 40 Jahre alt sind; Planungen, die überhaupt nichts zur Lösung heutiger Probleme beitragen, im Gegenteil. Deshalb sind ja in der Region auch längst Alternativen erarbeitet worden. Die werden auch von Kommunen unterstützt. Dazu gehört zum Beispiel die Reaktivierung von Bahnstrecken.

Es ist also völlig widersinnig, am Bau dieser Autobahn festzuhalten. Es ist kein Wunder, dass immer mehr junge und ältere Menschen Widerstand dagegen leisten, mit Demonstrationen, Waldspaziergängen, Mahnwachen,

(Timon Gremmels [SPD]: Drahtseilen!)

Protestcamps und Baumbesetzungen.

(Timon Gremmels [SPD]: Drahtseilen! Da haben Sie sich nicht von distanziert!)

Als Linke stehen wir an der Seite dieser Menschen – draußen, aber auch hier im Parlament.

(Beifall bei der LINKEN – Timon Gremmels [SPD]: Äpfel mit Birnen vergleichen! – Gegenruf der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Das ist ja ein origineller Spruch! – Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Brauchen wir keine Autobahnen mehr? Meine Güte!)

Ich sage Ihnen voraus, dass mit dieser Bewegung ein ähnliches Symbol entsteht wie mit der Bewegung für den Erhalt des Hambacher Waldes, für den Kohleausstieg. Wir brauchen den Ausstieg aus dem Autobahnbau. Dass der zuständige hessische grüne Minister Tarek Al-Wazir als Vollstrecker der klimaschädlichen A 49 in Erscheinung tritt, ist ein Problem für die Grünen, aber es ist auch ein Problem für die Demokratie.

(Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lasst doch mal eure Heuchelei! Haben Sie schon mal was davon gehört, dass das eine Bundesautobahn ist? Sie sitzen doch im Verkehrsausschuss! – Gegenruf der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Warum regen Sie sich denn so auf, Herr Kollege Hofreiter? – Gegenruf des Abg. Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Gesetze kennt ihr nicht! Die interessieren euch nicht!)

Die Mehrheitsverhältnisse im Hessischen Landtag sind ja inzwischen andere, weil so viele Bürgerinnen und Bürger eine umweltverträgliche Wirtschafts- und Verkehrspolitik wollen.

(Sören Bartol [SPD]: Also bitte, Frau Leidig!)

Es muss möglich sein, solche alten Bundesverkehrswegepläne aufzugeben und zu ändern.

(Beifall bei der LINKEN)

Unsere Orientierung lautet: Eisenbahn statt Autobahn und Wald statt Asphalt.

(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU – Sören Bartol [SPD]: Frau Leidig, das ist total billig!)

Das ist eine Neuausrichtung der Investitionspolitik im Sinne der Linken und im Sinne des Großteils der Bevölkerung. Eine solche Neuausrichtung der Investitionspolitik wollen wir, und zwar mit großer Beschleunigung.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

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