»So oder so: Der Widerstand geht weiter«

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Stuttgart 21: Ja zum Ausstieg und weiter mit dem Widerstand gegen ein extrem riskantes Machtprojek

Von Sabine Leidig, verkehrspolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag

Am kommenden Sonntag sollen die Bürgerinnen und Bürger in Baden-Württemberg darüber abstimmen, ob das Land sein Kündigungsrecht in Bezug auf Finanzierungsvereinbarungen zum Projekt Stuttgart 21 wahrnehmen soll. Nach 17 Jahren Planung und Kritik, Machtpoker und Protest, nach abgewürgten Bürgerbegehren in Stuttgart und abgewählter CDU-Herrschaft im Land sucht die Landesregierung nun den Rat des Volkes.

Doch was wie Basisdemokratie aussieht, ist eine tückische Angelegenheit: Die ganze Bevölkerung des großen Bundeslandes soll über einen Bahnhof in der Landeshauptstadt abstimmen, der für die meisten sehr weit weg ist. Wer zum Beispiel in Weil am Rhein wohnt, hat 2,5 km nach Frankreich, aber 250 km nach Stuttgart.

 

Vom Beschluss bis zur Abstimmung sind es nur gut acht Wochen, was die Mobilisierung in der Fläche noch schwerer macht. Und vielerorts werben Honoratioren in der Lokalpresse für das Nein, weil sie den Tunnelbahnhof durchbringen wollen - koste es, was es wolle. Nicht nur CDU-Landräte und IHK-Präsidenten sind dabei, auch SPD-Bürgermeister, wie der Oberbürgermeister von Mannheim. Dagegen steht ein hoch kompetentes, engagiertes und kreatives Aktionsbündnis, das aber kaum landesweite Strukturen hat.

Und dann das Quorum: Zwar besagt die Verfahrensregel zur Landesverfassung von 1952: "Bei der Volksabstimmung entscheidet die Mehrheit der abgegebenen gültigen Stimmen." Aber 1974 wurde im Zusammenhang mit der Einführung von Volksbegehren ein zweiter Satz angefügt: "Das Gesetz ist beschlossen, wenn mindestens ein Drittel der Stimmberechtigten zustimmt." Wenn sich nur 33,3 Prozent der Stimmberechtigten beteiligen, müssten also alle ausnahmslos mit Ja stimmen. Bei 40 Prozent Beteiligung müssten es 83 Prozent sein, bei 50 Prozent immerhin noch 67 Prozent. Erst bei einer Beteiligung von mindestens 67 Prozent reicht die einfache Stimmenmehrheit aus. Zum Vergleich: Die Landtagswahlbeteiligung lag 2011 bei 66,3 Prozent und 2006 bei 53,4 Prozent.

Ein solches Zustimmungsquorum ist ungerecht und sachwidrig. Im Gegensatz zu Wahlen - wo gar kein Quorum gilt - berührt die Bahnhofsfrage nur einen Teil der Bevölkerung. Wer sich nicht schlau machen will, sollte sich der Stimme enthalten können, ohne dass er kurzerhand dem Nein-Lager zugerechnet wird.

Nun gibt es drei mögliche Ergebnisse. Erstens: Eine Mehrheit stimmt für den Ausstieg und erreicht das 33 Prozent-Quorum. In diesem denkbar unwahrscheinlichen Fall ist die Landesregierung gesetzlich verpflichtet, Kündigungsrechte wahrzunehmen. Möglich ist allerdings selbst dann, dass die Deutsche Bahn AG sich auf ihr Baurecht beruft, weiterbaut und den Finanzierungsanteil des Landes einklagt.

Zweitens: Eine Mehrheit der Stimmen ist für den Ausstieg, aber das Quorum wird nicht erreicht. Dann wäre der Landtag moralisch verpflichtet, durch eigenen Gesetzesbeschluss den Vertrag zu kündigen, um diesem Willen zu entsprechen.

Drittens: Wenn eine Mehrheit gegen das Kündigungsgesetz stimmt, bleibt der Status Quo unverändert. Der Landtag ist so frei wie vorher. Und wenn in der Stadt Stuttgart und/oder in der Region die Ausstiegsbefürworter die Mehrheit hätten, müsste sich die SPD-Fraktion einen Ruck geben und das Kündigungsgesetz beschließen. Es wäre ein Ausdruck demokratischer Sensibilität, ein solches Ergebnis auch als nachgeholten Bürgerentscheid auf kommunaler und Regionsebene zu werten und das Projekt nicht gegen diejenigen durchzusetzen, die es direkt betrifft.

In jedem Fall ist keines der Argumente der Freunde des Kopfbahnhofes widerlegt. Stuttgart 21 würde viele Milliarden Euro verschlingen und mehr Schaden als Nutzen für den Schienenverkehr bringen.

Zu keinem Zeitpunkt hat es eine wirklich demokratische Entscheidungsmöglichkeit gegeben. Die wahren Risiken und Kosten wurden den Parlamenten vorenthalten. Richtig wäre, die beiden Modelle S21 und K21 - der modernisierte Kopfbahnhof - den Bürgerinnen und Bürgern vorzustellen und alternativ zu entscheiden.

Der Protest in Stuttgart hat eine Hochkultur entwickelt mit großer Ausstrahlung. In dieser Woche wurde die 100. Montagsdemo zelebriert, mit über 10 000 Beteiligten. Dazu gratulieren wir.

Mittlerweile werden Polizeikräfte in Stuttgart zusammen gezogen. 9 000 Beamte sollen nach der Volksabstimmung dem Bauherrn zu seinem Recht verhelfen, den Südflügel abzureißen und Bäume zu fällen. Ein Machtkampf steht bevor, bei dem Betonlobbyisten, Börsenbahnmanager und Immobilienprofiteure ihre Vorherrschaft zementieren wollen.

Aber sie werden scheitern. So oder so: Der Widerstand geht weiter - mit unserer praktischen Unterstützung und Solidarität. Das ist gut und wichtig.

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