"CDU zeigt Kleinbauern die Harke"

Interview mit Dr. Tanja Busse, Autorin des Buches "Die Ernähungsdikatur (erschienen im Neuen Deutschland am 25. Februar 2013)

Am Mittwoch haben Sie im Parlamentarischen Beirat für Nachhaltige Entwicklung des Bundestages als Expertin von DIE LINKE über "Nachhaltige Lebensmittelproduktion" debattiert. Vom "Acker bis zum Teller" geschaut: Hat die Landwirtschaft Mensch, Natur und Wirtschaftlichkeit gleichermaßen im Auge?

 

Dr. Tanja Busse: Der Begriff Nachhaltigkeit ist in den letzten Jahren spürbar verwässert. Und droht zur Farce zu werden. Zwar wird immerzu von Nachhaltigkeit geredet, aber keine echte Nachhaltigkeit praktiziert. Dabei steigt die Nachfrage nach Biolebensmitteln in Deutschland. Gleichzeitig aber auch der Import von Biolebensmitteln für den deutschen Markt. Darunter sind auch Waren, die regional angebaut werden könnten. Bio-Kürbiskerne aus China sind natürlich nicht die Krone der Nachhaltigkeit. Was beim Nachhaltigkeitsbegriff zudem immer gerne unter den Tisch fällt sind ökonomische und soziale Belange. Nachhaltigkeit heißt eben nicht nicht nur grün. Das seit Jahrzehnten anhaltende Höfesterben zeigt doch, dass die ökonomisch-soziale Situation vieler Betriebe ausgesprochen nicht-nachhaltig ist. In Ostdeutschland haben nach der Wende viele zehntausende LPG-Beschäftigte ihre Arbeit verloren, viele Dörfer in Ostdeutschland sehen aus wie ausgestorben. Auch hier wäre es sehr wichtig, dass auch kleine Betriebe eine Chance bekämen.

 

Tausende Landwirte schließen pro Jahr Stall und Scheune, die Zahl der Höfe ist von 2003 bis 2013 um fast 30 Prozent auf knapp 300.000 eingebrochen. Ausgerechnet von Seiten der alten Bauernpartei CDU hieß es bei der Anhörung, Bauern würden ihre Höfe freiwillig aufgeben, die Heugabel in Wahrnehmung ihrer persönlichen Freiheit in die Stallecke stellen ...


Das ist nicht nur Unsinn, sondern den Landwirten gegenüber böse und arrogant. Die meisten leiden sehr darunter, dass ausgerechnet sie es nicht geschafft haben, das Hoferbe an die nächste Generation weiterzugeben. Aber das ist in den allermeisten Fällen nicht ihre eigene Schuld! Heute gilt zu oft das Motto: Möglichst viel, möglichst billig, möglichst standardisiert. Da können immer weniger mithalten. Nein, das dramatische Höfesterben ist struktureller Natur. Dahinter steht nicht die Unfähigkeit der Betriebsleiter. Deren Höfe sind schlicht nicht mehr rentabel. Weil sie nicht groß genug sind, um bei fallenden Preisen die Riesen-Investitionen in neue Technik und neues Land stemmen zu können. Der Pferdefleischskandal hat das wieder exemplarisch vorgeführt. Die economy of scale des Big Business, wo wenige Konzerne und Großhändler den Ton angeben, führt zur nicht-nachhaltigen Industrialisierung der Agrarproduktion. Und damit auch zum Ende der bäuerlichen Landwirtschaft, die das soziale Leben auf dem Land über Jahrhunderte geprägt hat. Das Höfesterben hat eklatante Folgen für die soziale Struktur der Dörfer. Der bäuerliche Familienbetrieb sollte nicht als rein ökonomische Größe, sondern auch in seiner ökologischen und sozialen Funktion verstanden werden. Mein Vorschlag bei der Anhörung ist auf Regierungsseite auf wenig Gegenliebe gestoßen: Höfesterben oder Hoferhalt als Indikator der deutschen Nachhaltigkeitsstrategie einzuführen, um die Nachhaltigkeit von Landwirtschaft in Politik und Gesellschaft abzubilden.

 

Ist mehr Klasse statt Masse sowie Stärkung von Nahrungsmittelsouveränität durch mehr Produkte aus der Region weltweit die Landwirtschaft der Zukunft?

 

Über Erzeugerpreise kann viel verändert werden. Das Modell der "fairen Milch" hat da Vorbildcharakter: Ausgehend von Vollkostenrechnungen für ihre Milchproduktion bestimmen die Landwirte, wie viel Milch sie pro Liter brauchen, um ihre Höfe rentabel zu bewirtschaften. Solidarische Preise ermöglichen nachhaltige Landwirtschaft, etwa über die Zahlung einer Lebensmittelpauschale an einen Bauernhof in der Nähe. Die Konsumenten schätzen den Mehrwert echter Nachhaltigkeit und des Höfeerhalts. Fördern könnte man dieses Umdenken schon bei Kindern, etwa über das Schulessen. Auch bekäme der Verbraucher wieder Vertrauen in die Lebensmittelproduzenten.

 

Dr. Tanja Busse (Die Ernährungsdiktatur. Warum wir nicht länger essen dürfen, was uns die Industrie auftischt. Karl Blessing, München 2010) ist Radio-Journalistin und Buchautorin.

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