Verspätungen im Schienenverkehr und ihre Gründe

Auszug aus dem Alternativen Geschäftsbericht zur 2010er Bilanz der Deutschen Bahn AG, veröffentlicht durch dass Bündnis Bahn für Alle – BfA. Unten findet sich der Auszug aus einem Beschwerdebrief zu Zugverspätungen in Thüringen - mit angehängter Statistik zu den Jahren 2007-2010.

Die Folgen der Politik einer systematischen Unterinvestition zeigen sich an der Verspätungsstatistik: Die Bahn weigert sich zwar seit Jahren, ausreichend aufschlussreiche Statistiken über Verspätungen bekannt­zugeben[1], allerdings hat Stiftung Warentest aus diesem Grunde eine eigene Untersuchung durchgeführt

und die Daten für 90.000 Züge ausgewertet. Das Ergebnis dieser Untersuchung ist desolat: Mehr als ein Drittel der Züge ist um vier oder mehr Minuten verspätet, jeder siebte Zug sogar um mehr als zehn Minuten. Dadurch kann jeder vierte Anschlusszug nicht erreicht werden[2]. Diese Zahlen sollten das DB-Manage­ment eigentlich alarmieren.

 

Die Nachbarn in der Schweiz beweisen z. B., dass eine weit höhere Pünktlichkeit möglich ist: Bei der SBB erreichten 2009 91,4% der Züge ihr Ziel mit höchstens unter drei Minuten Verspätung[3], erreicht also trotz einer rigideren Definition einen sehr viel besseren Wert als die DB. Diese Leistung wird sogar bei einer um etwa ein Drittel höheren Streckenauslastung erreicht, während die SBB im Vergleich zur DB AG nur ein Drittel der Zuschüsse pro Personenkilometer erhält.

Der DB AG fehlen seit Jahren Reservekapazitäten in erheblichem Umfang, um auf technische Probleme wie den Ausfall von Zügen oder auch auf ein erhöhtes Reisendenaufkommen wie z.B. vor Feiertagen reagieren zu können. Besonders fatal wirkt sich hierbei aus, dass einsatzbereite Waggons und Lokomotiven von der DB AG verschrottet wurden, anstatt diese zu verkaufen.[4] Offensichtlich hatte man Angst davor, dieses Material den Konkurrenten zur Verfügung zu stellen.

Die Deutsche Bahn AG hatte einmal einen Bahnchef, über den wie folgt geschrieben wurde: „Johannes Ludewig macht der Deutschen Bahn Dampf. ‚Kundenzufriedenheit ist der alles entscheidende Punkt‘, sagte der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bahn AG gestern vor Journalisten (...) Deshalb will er vor allem dafür sorgen, dass die Züge exakt zur angegebenen Zeit abfahren. (...) ‚Es kommt auf die Sekunde an‘, sagt Ludewig. ‚Der Zug muss beim Zeigersprung losfahren.‘ Weil das so sein muss und weil die Pünktlichkeit oft bei weniger als 90 Prozent liegt, setzt Ludewig auf finanziellen Druck. Werden die Verspätungen von 1995 bis zum Fahrplanwechsel 198/99 nicht halbiert, wird die Jahresvergütung von 4000 Bahnmanagern um 12,5 Prozent gekürzt. ‚Wir brauchen Druck‘, sagt der Bahnchef. Was das bedeutet, soll den Bahnbenutzern bereits von Dezember (1997; d. Red.) an ins Auge springen: In den großen Bahnhöfen wird von da an angezeigt, welche Verspätungen es am Vortag gab.“[5]

Ludewig konnte sich nur zweieinhalb Jahre im Amt halten. Unter der rot-grünen Regierung wurde er abgelöst – durch Hartmut Mehdorn. Mehdorn war bereits 1997 für den scheidenden Bahnchref Heinz Dürr der Favorit für die Nachfolge in seinem Amt. Kanzler Kohl berief jedoch einen biederen Beamten. Es war dann Kanzler Gerhard Schröder, der mit Mehdorn wieder einen Mann aus dem Daimler-Kader berief. Die erste Maßnahme von Mehdorn bestand in einer Verdopplung seines Gehalts. Die zweite in einer Abschaffung der Top-Orientierung auf Pünktlichkeit. Die dritte darin, dass der den Bahnkonzern zum Kurs auf den Börsengang trimmte. Die drei Maßnahmen bilden tatsächlich eine gewisse innere Einheit.



[1] Eine der ersten Amtshandlungen von Hartmut Mehdorn war es, die von seinem Vorgänger Johannes Ludewig angeregten Tafeln mit den täglichen Verspätungsstatistiken wieder von den großen Bahnhöfen zu entfernen.

[2] Stiftung Warentest: „Test“, Ausgabe Februar 2008.

[3] „SBB: Sehr teuer – dafür sehr pünktlich“. Blick.ch vom 15.1.2010

[4] Vgl. hierzu die Kleine Anfrage der Abgeordneten Horst Friedrich, Patrick Döring u.a. an die Bundesregierung, Drucksache 16/2989 vom 18.10.2008.

[5] Rolf Obertreis, „Der Chef macht Dampf“, in: Südwestpresse vom 21. November 1997.

 


Beschwerdebrief zu Zugverspätungen an die thüringische Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht
(vollständiger Brief als pdf) 

 

Erfurt, 5.1.2011

Erhebliche Verspätungen im Zugverkehr zwischen Erfurt und Weimar –
Untätigkeitsbeschwerde über den Freistaat Thüringen


Sehr geehrte Frau Lieberknecht,

seit 8 Jahren nutze ich für meinen täglichen Weg zur Arbeit von Erfurt nach Weimar Zugverbindungen der Deutschen Bahn. In den letzten Jahren kam es dabei immer häufiger zu erheblichen Verspätungen. Trotz zahlreicher Beschwerden bei der Bahn sowie den zuständigen Thüringer Behörden konnte die Verspätungsproblematik bislang nicht gelöst werden. Ich wende mich daher nochmals an Sie als Trägerin des höchsten Amtes im Freistaat und hoffe auf eine umgehende Lösung.

Für meine täglichen Zugfahrten führe ich seit 4 Jahren eine Statistik, in welcher jeder verspätete Zug registriert wird.

(...)

Trotz der Tatsache, dass die benannten Thüringer Behörden seit langem Kenntnis von der Problematik haben, hat sich innerhalb der letzten Jahre keine Veränderung der Situation ergeben. Es ist bis heute nicht erkennbar, dass die zuständigen Behörden geeignete Maßnahmen ergriffen hätten, die zu einer Lösung oder zumindest Verbesserung geführt hätten. Das Petitionsverfahren im Thüringer Landtag von 2009 ist nach sechs Monaten ergebnislos abgebrochen worden. Ein Antrag auf Fortführung des Verfahrens bis zu einer Lösung der Problematik wurde abgelehnt.

Mit Schreiben vom 30.7.2010 habe ich mich daher persönlich an Sie, Frau Lieberknecht, gewandt, und darum gebeten, in Zusammenarbeit mit der Nahverkehrsservicegesellschaft Thüringen mbH sowie der Bahn folgende Fragen zu klären:
1. Was waren die Ursachen der bisherigen Zugverspätungen?
2. Welche Maßnahmen wurden seitens der Bahn zur Lösung der Verspätungsproblematik bisher veranlasst?
3. Warum waren diese Maßnahmen wirkungslos?
4. Welche Maßnahmen sind erforderlich, um zeitnah zu einer Lösung zu kommen?
5. Wann werden diese Maßnahmen wie und durch wen umgesetzt?

Leider wurde Ihnen o.g. Schreiben – entgegen meiner ausdrücklichen Bitte – nicht vorgelegt. Stattdessen wurde es an das Thüringer Ministerium für Bau, Landesentwicklung und Verkehr weitergeleitet, das sich bislang jedoch außer Standes sah, die aufgeworfenen Fragen zu beantworten.

Ich bitte Sie daher nochmals, persönlich in der Angelegenheit tätig zu werden. Als Bahnkunde habe ich keine wirksamen Möglichkeiten, Einfluss auf das Unternehmen auszuüben; der Freistaat Thüringen als Auftraggeber und Vertragspartner sehr wohl.

Vorsorglich bitte ich Sie zu prüfen, ob die mit der Bahn abgeschlossenen Verkehrsverträge aufgrund der überaus hohen Unzuverlässigkeit und der Tatsache, dass das Unternehmen den Leistungsanforderungen und Qualitätsparametern noch nicht einmal ansatzweise gerecht wird, vorzeitig gekündigt und die Dienstleistungen stattdessen an andere, kompetente Eisenbahnverkehrsunternehmen vergeben werden können.

Mit freundlichen Grüßen

Thomas Meyhöfer


Anlage – Verspätungsstatistik Bahn Erfurt-Weimar 2010 (mit Diagrammen)
(vollständiger Brief als pdf) 


Aus der Anlage:

Bilanz für den Zeitraum vom 1.1. bis 31.12.2010
genutzte Züge: 411
davon pünktlich: 62
davon verspätet: 349
Pünktlichkeitsquote: 15 %
Verspätungsquote: 85 %
Gesamtverspätung: 2.096 Minuten (ca. 35 Stunden)

Zugverspaetung1

Zugverspaetung2

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